Vertrauensurlaub - 28. September 2023

Freizeit in eigener Verantwortung

Eine neue Form des Urlaubs ist in vielen Unternehmen hierzulande bisher kaum verbreitet. Und doch werden sich die Arbeitgeber auch mit dem Vertrauensurlaub beschäftigen müssen, um künftig Spitzenkräfte an den eigenen Betrieb zu binden.

Was macht ein modernes Arbeitsverhältnis eigentlich aus? Diese Frage wird immer wieder heiß diskutiert und bisweilen gegensätzlich beurteilt. Einerseits las man in der Presse gegen Ende des vergangenen Jahres, dass Elon Musk bei Twitter, nun X, eine eigens so betitelte Hardcore-Mentalität mit maximaler Arbeitsauslastung forderte. Andererseits proklamieren vor allem Influencer in den sozialen Medien, dass Unternehmen mit fester Betriebsstätte eigentlich antiquiert seien. Diese Aussagen treffen natürlich in ihrer Absolutheit nicht zu. Doch tatsächlich sprechen viele Umfragen, besonders unter jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, dafür, dass sie sich von ihrem Arbeitgeber jedenfalls so viel Flexibilität wünschen, wie es die konkrete Tätigkeit erlaubt. Diese Ausgangslage vor Augen, bemühen sich Arbeitgeber bereits seit Längerem, die angebotenen Arbeitsplätze möglichst flexibel zu gestalten. Konkret bieten sie etwa Homeoffice, Gleit- und Teilzeitmodelle, Sabbaticals und viele andere Optionen an. Eine weitere, in der Praxis noch selten in Anspruch genommene Möglichkeit ist die Gewährung von Vertrauensurlaub.

Zwischen Flexibilisierung und Leistungsdruck

Das Modell des Vertrauensurlaubs ist in der breiten deutschen Öffentlichkeit bisher unbekannt. Im internationalen, primär englischsprachigen Raum ist diese Form des Urlaubs unter dem Begriff Unlimited Paid Time Off (Unlimited PTO) bereits verbreiteter. Beispielsweise bieten Unternehmen wie die Goldman Sachs Group oder Netflix ihren Arbeitnehmern Vertrauensurlaub an. Inhaltlich handelt es sich dabei um ein Urlaubskonzept, bei dem Arbeitnehmern keine bestimmte Anzahl bezahlter Urlaubstage für ein Kalenderjahr zugewiesen wird. Eine gesetzliche Definition fehlt. Stattdessen entscheiden die Arbeitnehmer eigenverantwortlich, wie viele Urlaubstage sie tatsächlich im Jahr nehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass sich die Inanspruchnahme des Urlaubs nicht negativ auf den Geschäftsbetrieb auswirkt. Die Gewährung von Vertrauensurlaub ist insbesondere deshalb interessant, weil er den Arbeitnehmern unterschiedslos Vorteile bietet. Exemplarisch ist es so auch Arbeitnehmern in der Produktion möglich, Vertrauensurlaub zu nehmen, während etwa die Gewährung von mobiler Arbeit typischerweise nur für Büromitarbeiter möglich ist. Mit anderen Worten bietet Vertrauensurlaub Arbeitnehmern maximale Flexibilität und ist zugleich Ausdruck eines arbeitgeberseitigen Vertrauens. Paradoxerweise gibt es trotz oder gerade wegen dieser maximalen Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer Stimmen, die befürchten, dass die Gewährung unbegrenzten Urlaubs aufgrund des unternehmensinternen Vergleichs de facto das Gegenteil bewirken könnte. Arbeitnehmer könnten sich nämlich durch die Vergleichbarkeit unter Druck gesetzt fühlen, sich gegenseitig bei der Anzahl in Anspruch genommener Urlaubstage zu unterbieten. Dies würde wiederum die Erholung der Belegschaft verhindern. Und tatsächlich sind aus der Praxis – von Einzelausnahmen abgesehen – auch keine Fälle ersichtlich, in denen die Belegschaft flächendeckend eine Vielzahl an Urlaubstagen genommen und damit das Vertrauen des Arbeitgebers ausgenutzt hätte.

Mindeststandard für Vertrauensurlaub

Aus deutscher Perspektive ist der gesetzlich definierte Mindesturlaub Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung des Vertrauensurlaubs. Der Mindesturlaub (20 Tage bei einer Fünftagewoche) ist bekanntermaßen im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) geregelt. Dabei handelt es sich um das Mindestmaß an Urlaub, auf das Arbeitnehmer Anspruch haben. Für Vertrauensurlaub hierzulande bedeutet dies, dass vom Mindesturlaub vertraglich nicht abgewichen werden kann. Gleiches gilt für den gesetzlich vorgeschriebenen Zusatzurlaub, auf den in Sonderfällen ein Anspruch besteht. Dieser ist in verschiedenen Gesetzen niedergelegt und statuiert für einzelne Gruppen von Arbeitnehmern zusätzliche Bestimmungen über den Urlaub. Konkret existieren beispielsweise Sonderregelungen für Jugendliche in § 19 Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) oder für schwerbehinderte Menschen in § 208 des neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Wird Beschäftigten hingegen über den gesetzlichen Mindestanspruch hinaus Urlaub gewährt, können die Arbeitsvertragsparteien diesen Mehrurlaub frei regeln. Dasselbe gilt für Parteien von Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen.

Arbeitsvertragliche Differenzierung

Unter Berücksichtigung des Mindesturlaubs sowie eines etwaigen Zusatzurlaubs kann Vertrauensurlaub gewährt werden. Die Rechtsprechung lässt dabei eine unterschiedliche Behandlung von Mindest- und Mehrurlaub zu. Dies gilt jedoch nur dann, wenn Anhaltspunkte für eine differenzierte Behandlung vorliegen. Vertrauensurlaub sollte daher vom Mindesturlaub vertraglich klar abgegrenzt werden. Insoweit sollte also festgehalten werden, dass der genommene Urlaub zunächst auf den gesetzlichen Mindesturlaub angerechnet wird. Ob für Vertrauensurlaub als vertraglicher Mehrurlaub allerdings eine zusätzlich vereinbarte Verfallregelung nötig ist, lässt sich aus guten Gründen bezweifeln. Immerhin existiert im Grundsatz kein quantitatives Limit. Dennoch ist zu empfehlen, einen Verfall mit Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres zu regeln. Wichtig dürfte insoweit aber vor allem sein, dass Mechanismen etabliert, gegebenenfalls sogar vereinbart werden, die in bestimmten Konstellationen das Nehmen von Urlaub doch verhindern können. Dadurch wird ein reibungsloser Betriebsablauf gesichert. Die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers, wonach über Resturlaub informiert, auf den Verfall hingewiesen und zum Nehmen des Urlaubs aufgefordert werden muss, sollten auf jeden Fall für den Mindesturlaub weiterhin beobachtet werden. Nur so wird ein Verfall möglich. Je nach Inhalt der Vereinbarung zum Vertrauensurlaub sollte dieser bei der jährlichen Information der Mitarbeiter auch mit bedacht werden.

Abgeltung des Vertrauensurlaubs

Ein weiterer praxisrelevanter Aspekt ist die Frage der Urlaubsabgeltung. Diese ist thematisch vom Urlaubsentgelt abzugrenzen, das auf Grundlage von § 11 BUrlG berechnet wird. Das Urlaubsentgelt ist mit dem Vertrauensurlaub verknüpft und wird bei Gewährung des Urlaubs gezahlt. Dies ist der Unterschied zum Sabbatical, also einer unbezahlten Freistellung für eine längere Zeit. Die Urlaubsabgeltung richtet sich nach § 7 Abs. 4 BUrlG, sodass der gesetzliche Mindesturlaub immer dann abgegolten wird, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. In diesem Zusammenhang ist für Arbeitgeber insbesondere deshalb Vorsicht geboten, weil Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die Idee kommen könnten, eine Abgeltung des Vertrauensurlaubs für jeden einzelnen Arbeitstag des Arbeitsjahres zu verlangen. Um Konflikte zu vermeiden, sollten Arbeitgeber also bereits bei Einführung des Vertrauensurlaubs sicherstellen und vertraglich festhalten, dass diese Urlaubsform von einer Abgeltung ausgeschlossen ist.

Vertrauensurlaub terminieren

Trotz aller Flexibilität sollten Arbeitgeber auch beim Vertrauensurlaub gut überlegen, ob jeder Arbeitnehmer Urlaub nur mitteilen muss oder ob grundsätzlich ein Verfahren zur Genehmigung beantragter sowie zur Überprüfung genommener Urlaubstage eingeführt werden soll. Ob dies in Form einer Genehmigung des Zeitraums durch die Vorgesetzten, teaminterne Planung oder Abstimmung der Urlaubszeiten oder auf anderem Wege realisiert wird, muss im Vorfeld genau überdacht werden. Wichtig ist, dass interne Regeln, gegebenenfalls zusätzlich auch vertragliche Vereinbarungen existieren, die verhindern, dass zu viele Mitarbeiter gleichzeitig abwesend sind oder so viel Urlaub nehmen, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen können. Wann insbesondere Letzteres der Fall ist, sollten Arbeitgeber auch definieren und idealerweise vertraglich festhalten. Möchte man das skizzierte Beispiel der Produktionsmitarbeiter aufgreifen, könnte ein Arbeitgeber etwa eine gewisse Stückzahl produzierter Teile definieren, an denen der Arbeitnehmer mitgewirkt haben muss. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass Arbeitgeber die Einhaltung der Vorgaben prüfen müssen, wäre im Einzelfall zu klären und festzuhalten, welche Vorgaben einzuhalten sind.

Sanktionen bei Missbrauch

An die arbeitgeberseits definierten und gegebenenfalls auch vereinbarten Bestimmungen müssen sich Arbeitnehmer auch im Zusammenhang mit dem Vertrauensurlaub halten. Tun sie dies nicht, etwa wenn sie eben nicht auf die Freigabe des Arbeitgebers warten, steht dem Arbeitgeber das gesamte arbeitsrechtliche Instrumentarium bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung. Auch ein Widerrufsvorbehalt schützt den Arbeitgeber vor zukünftigen Missbrauchsfällen und schafft die Möglichkeit, das Konzept des Vertrauensurlaubs wieder rückgängig zu machen. Ein rechtswirksamer Widerrufsvorbehalt muss aber die gesetzlichen Vorgaben einhalten und Gründe für einen etwaigen Widerruf bereits in der Regelung benennen. Ein weiterer Aspekt ist der Ausschluss von Vertrauensurlaub in bestimmten Konstellationen. Konkret spricht insbesondere die Notwendigkeit der Erprobung dafür, Arbeitnehmern erst nach Ablauf der Probezeit – sofern unterschiedlich auch nach Ablauf der Wartezeit im Sinne von § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) – Vertrauensurlaub zu gewähren. Überdies dürfte in bereits gekündigten Arbeitsverhältnissen die typischerweise notwendige Übergabe noch nicht abgeschlossener Aufgaben gegen die Gewährung von Vertrauensurlaub sprechen. Wird die Arbeitsleistung nicht mehr benötigt, kann der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer alternativ ohnehin unter Fortzahlung des Gehalts freistellen. Schließlich sollte Vertrauensurlaub für diejenigen Zeiten ausgeschlossen werden, in denen gesetzliche Fristen das Ende der Entgeltfortzahlung vorsehen. Das ist exemplarisch bei Langzeiterkrankungen [(§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)] oder der Elternzeit der Fall.

FAZIT

Mit dem Konzept des Vertrauensurlaubs haben sich bislang vermutlich die wenigsten Arbeitgeber vertraut gemacht. In Zukunft wird der Vertrauensurlaub – wie aktuell jede Art von Mitarbeiteranreizprogrammen – aller Voraussicht nach häufiger auftreten als bisher. Bevor Arbeitgeber jedoch über die Gewährung von Vertrauensurlaub entscheiden, müssen sie die voranstehend skizzierten Aspekte berücksichtigen. Zudem sind die Vertragswerke und internen Prozesse unbedingt an diese neue Form der Urlaubsgewährung anzupassen.

Zu den Autoren

SM
Dr. Simona Markert

Rechtsanwältin bei Rödl & Partner am Standort in Nürnberg

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DW
Daniel Wasser LL. M.

Rechtsanwalt bei Rödl & Partner am Standort in Nürnberg

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