EU-Recht - 21. März 2024

Kompetenzen und Praktika stärken: Neue Initiativen gegen Fachkräftemangel und für die Qualität von Praktika

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 20.03.2024

Der europäische Arbeitsmarkt befindet sich an einem Scheideweg: Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden, um ihre offenen Stellen zu besetzen. Die EU hat bereits Maßnahmen ergriffen, um Ausbildung und Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Sozialpartner zu stärken, aber es kann und muss noch mehr getan werden. Die Kommission hat daher in einem Aktionsplan die weiteren Schritte dargelegt. Valdis Dombrovskis, Exekutivvizepräsident für eine Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet, erklärte: „Wir stehen vor einem kritischen Mangel an Talenten in Europa, den wir heute angehen. Fast zwei Drittel der 25 Millionen KMU in Europa geben an, dass sie nicht die richtigen Arbeitnehmer mit den richtigen Qualifikationen finden. Um diesen dringenden Bedarf in verschiedenen Sektoren und auf verschiedenen Ebenen zu decken, schlagen wir heute vor, mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern zusammenzuarbeiten, um mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, die Entwicklung von Qualifikationen und bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen sowie qualifizierte Talente von außerhalb der EU anzuziehen.“

Die fünf Ziele des Aktionsplans

Der Aktionsplan ist eine Folgemaßnahme des Gipfels der Sozialpartner von Val Duchesse vom Januar 2024. Die Kommission hat ihn gemeinsam mit den Sozialpartnern ausgearbeitet, denen bei der Umsetzung der Lösungen eine entscheidende Rolle zukommt. Im Plan werden Maßnahmen in fünf Politikbereichen aufgezeigt, die möglichst bald auf Ebene der EU, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner umgesetzt werden sollten:

  • Unterstützung der Aktivierung unterrepräsentierter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt
  • Unterstützung von Kompetenzentwicklung sowie allgemeiner und beruflicher Bildung
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen in bestimmten Sektoren
  • Verbesserung der Mobilität von Arbeitskräften und Lernenden innerhalb der EU auf einer gerechten Grundlage
  • Anwerbung von Fachkräften aus Drittländern

Auswahl an Beispielen für Maßnahmen

Die Kommission wird

  • neue Projekte zur Null-Langzeitarbeitslosigkeit finanzieren
  • neue Projekte zur Aktivierung und Aus-, Fort- und Weiterbildung junger Menschen, die weder arbeiten noch eine Schule besuchen oder eine Ausbildung absolvieren (NEET), finanzieren
  • mehr Exzellenzzentren für die berufliche Aus- und Weiterbildung kofinanzieren (mindestens 100 neue Zentren bis 2027)
  • neue Kompetenzpartnerschaften im Rahmen des Kompetenzpakts einrichten
  • die Erfassung von Daten über aktuell und künftig benötigte Kompetenzen in enger Abstimmung mit den EU-Agenturen verbessern
  • Strategien für den Umgang mit krankheitsbedingten Fehlzeiten analysieren, um bewährte Verfahren für Beschäftigte und Arbeitgeber zu ermitteln
  • die Auswirkungen von Rentenreformen bewerten, mit denen mehr Möglichkeiten für einen flexiblen Renteneintritt und die Kombination von Renten- und Arbeitseinkommen eingeführt werden
  • ein Peer-Review der nationalen Ansätze zum Umgang mit psychosozialen Risiken am Arbeitsplatz durchführen

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert,

  • Lehr- und Ausbildungspläne zu überarbeiten, um sie besser auf den Bedarf des Arbeitsmarkts abzustimmen
  • die Sozialleistungssysteme zu reformieren, um Nichterwerbstätigkeitsfallen abzuschaffen und arbeitsfähigen Personen bei der schrittweisen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu helfen
  • Steuerreformen durchzuführen, um die Steuer- und Abgabenbelastung für Zweit- und Geringverdiener zu reduzieren
  • die Digitalisierung der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit weiter voranzutreiben, um die Arbeitnehmerfreizügigkeit auf einer fairen Grundlage zu erleichtern
  • die Ratsempfehlung „Europa in Bewegung – Lernmobilität für alle“ rasch anzunehmen und umzusetzen
  • sich weiter an Fachkräftepartnerschaften zu beteiligen, um legale Migrationswege zu schaffen

Die Sozialpartner beabsichtigen,

  • die Arbeitsbedingungen in Branchen mit unfairen Arbeitsbedingungen durch Kollektivverhandlungen zu verbessern
  • zur Aktivierung unterrepräsentierter Gruppen und zu angemessenen Lösungen für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer/innen beizutragen
  • Ausbildungen und Partnerschaften zwischen Berufsbildungseinrichtungen und Arbeitgebern zu fördern
  • Pflegekräfte in den Bereichen personenzentrierte Pflege und Digitalisierung zu schulen
  • branchenübergreifende Leitfäden zur Bekämpfung von Gewalt und Belästigung im Gesundheitswesen zu aktualisieren
  • gemeinsam einen europäischen Rahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Berufskraftfahrer aus Drittländern auszuarbeiten
  • mit ihrem Fachwissen zur Einrichtung des EU-Talentpools beizutragen, um Fachkräfte aus Drittländern anzuwerben

Nächste Schritte

Die Kommission wird die Fortschritte bei der Umsetzung dieses Aktionsplans im Rahmen des Europäischen Semesters verfolgen. Außerdem wird sie die Mitgliedstaaten im Beschäftigungsausschuss und im Ausschuss für Sozialschutz auffordern, sich regelmäßig mit den europäischen und den nationalen Sozialpartnern über das Thema auszutauschen.

Qualität von Praktika in der EU verbessern

Zu dem vorgestellten Maßnahmenpaket gehört auch die Förderung hochwertiger Praktika, damit junge Menschen bessere Chancen für den Übergang von der Ausbildung in das Erwerbsleben erhalten und Unternehmen junge qualifizierte Arbeitskräfte finden, ausbilden und dauerhaft einstellen können.

Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen sagte: „Indem wir den Zugang und die Qualität von Praktika verbessern, wollen wir auch dem Arbeits- und Fachkräftemangel begegnen – Unternehmen können sich so entfalten und junge Menschen erhalten die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, der ihren Kompetenzen und Interessen entspricht. Dies trägt wiederum zu einem inklusiveren und dynamischeren Arbeitsmarkt für junge Menschen in der EU bei.“

Nicolas Schmit, Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte wies darauf hin, dass Praktika mit einem klaren Lernziel, einer angemessenen Vergütung und Mentoring und Beratung den Eintritt in das Arbeitsleben erleichtern. „Außerdem müssen wir uns dafür einsetzen, dass Praktika zugänglicher und inklusiver werden und nicht nur einigen wenigen Privilegierten offenstehen. Jeder junge Mensch in Europa verdient einen guten Start ins Berufsleben.“

Laut den jüngsten verfügbaren Daten gab es 2019 schätzungsweise 3,1 Millionen Praktikantinnen und Praktikanten in der EU. Rund die Hälfte aller absolvierten Praktika (1,6 Millionen) waren bezahlt. Die Kommission will die Arbeitsbedingungen von Praktikantinnen und Praktikanten in der EU verbessern, unter anderem in Bezug auf Vergütung, Inklusivität und Qualität der Praktika. Die Initiative umfasst:

  • einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung und Durchsetzung der Arbeitsbedingungen von Praktikantinnen und Praktikanten und zur Bekämpfung von Scheinpraktika und
  • einen Vorschlag zur Überarbeitung der Empfehlung des Rates von 2014 zu einem Qualitätsrahmen für Praktika, um Fragen wie Qualität, Vergütung und Zugang zum Sozialschutz, Rechnung zu tragen.
  • Stärkung der Rechte von Praktikantinnen und Praktikanten
  • Mit dem Richtlinienvorschlag sollen die Mitgliedstaaten dabei unterstützt werden, gute Arbeitsbedingungen für Praktikantinnen und Praktikanten durchzusetzen und gegen Scheinpraktika vorzugehen.

Der Richtlinienvorschlag umfasst folgende wichtige Bestandteile:

  • den Grundsatz der Nichtdiskriminierung, um sicherzustellen, dass alle Praktikantinnen und Praktikanten hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, einschließlich der Vergütung, genauso wie regulär Beschäftigte behandelt werden, es sei denn, es liegen objektive Gründe wie unterschiedliche Aufgaben, ein geringeres Maß an Verantwortung, eine geringere Arbeitsintensität oder ein hoher Lern- und Ausbildungsanteil vor
  • die Verhinderung von Scheinpraktika durch Kontrollen und Inspektionen, wobei die Mitgliedstaaten die Dauer als Anhaltspunkt verwenden und von den Unternehmen Informationen über Zahl, Dauer und Arbeitsbedingungen ihrer Praktika anfordern können
  • die Möglichkeit für Arbeitnehmervertretungen, im Namen von Praktikantinnen und Praktikanten tätig zu werden, um deren Rechte zu schützen
  • die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Möglichkeiten für Praktikantinnen und Praktikanten zu schaffen, Missbrauch und schlechte Arbeitsbedingungen anzuzeigen

Fairere und inklusivere Praktika

Die verstärkte Empfehlung des Rates gilt für alle Praktikantinnen und Praktikanten unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus, d. h. auch für Praktika, die im Rahmen der formalen allgemeinen und beruflichen Bildung vorgesehen oder für bestimmte Berufe vorgeschrieben sind.

Die überarbeitete Empfehlung des Rates umfasst folgende wichtige Bestandteile:

  • Empfehlung einer fairen Vergütung für Praktikantinnen und Praktikanten
  • Gewährleistung des Zugangs von Praktikantinnen und Praktikanten zum Sozialschutz, einschließlich eines angemessenen Versicherungsschutzes gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats
  • Benennung eines Mentors/einer Mentorin, um Praktikantinnen und Praktikanten gezielte Unterstützung und Beratung zu bieten
  • Förderung des gleichberechtigten Zugangs zu Praktika durch gezielte Ansprache von Personen aus benachteiligten Verhältnissen und die Bereitstellung barrierefreier Arbeitsplätze für Praktikantinnen und Praktikanten mit Behinderung
  • Möglichkeit von Hybrid- und/oder Telearbeit, indem sichergestellt wird, dass Praktikantinnen und Praktikanten die erforderliche Ausrüstung erhalten
  • Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit durch zusätzliche Berufsberatung und Anreize für Praktikumsanbieter, Praktikantinnen und Praktikanten im Anschluss an das Praktikum eine feste Stelle anzubieten

Diese neuen Elemente ergänzen die bereits existierende Empfehlung zu einem Qualitätsrahmen für Praktika aus dem Jahr 2014, die unter anderem klare Praktikumsausschreibungen, eine schriftliche Vereinbarung über die Bedingungen vor Praktikumsantritt, die Vermeidung übermäßig langer oder wiederholter Praktika, eine angemessene Lernerfahrung als zentralen Bestandteil, Arbeitsschutzaspekte und die Förderung der späteren Anerkennung vorsah.

Nächste Schritte

Der Richtlinienvorschlag der Kommission wird nun vom Europäischen Parlament und von den Mitgliedstaaten erörtert. Nach Annahme der Richtlinie durch die gesetzgebenden Organe müssen die Mitgliedstaaten sie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.

Die Empfehlung wird dem Rat zur Erörterung und Annahme vorgelegt. Anschließend wird die Kommission die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Empfehlung unterstützen und sie auffordern, sie regelmäßig über nationale Initiativen, Reformen, bewährte Verfahren und Statistiken zu informieren.

Quelle: EU-Kommission