FISG - 25. Mai 2022

Verlorenes Vertrauen zurückgewinnen

Neue Vorschriften sollen für Stabilität und Vertrauen im Finanzmarkt Deutschland sorgen. Damit einher geht aber auch eine verschärfte Haftungsgefahr für Abschlussprüfer und die Organe von Gesellschaften.

Im Zuge des Wirecard-Skandals hat der Gesetzgeber Maß­nahmen ergriffen, die dem Ziel dienen, die Stabilität und das Vertrauen in den Finanzmarkt Deutschland wiederherzu­stellen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Fi­nanzmarktintegrität (FISG) ergeben sich Änderungen sowohl in Bezug auf die zivilrechtliche Haftung der Abschlussprüfe­rin beziehungsweise des Abschlussprüfers als auch einer strafrechtlichen Haftung für Organe einer Gesellschaft und Abschlussprüfer wegen unrichtiger Darstellungen in den Jahresabschlüssen. Nachfolgend sollen einige Änderungen auf ihre Bedeutung und Auswirkung für mittelständische Ge­sellschaften betrachtet werden.

Zivilrechtliche Haftung

§ 323 Abs. 1 S. 3 HGB regelt, inwieweit Auftraggeber von ge­setzlichen Jahresabschlussprüfungen den beauftragten Ab­schlussprüfer im Falle einer Pflichtverletzung mit Schadens­folge für den Auftraggeber oder eines sei­ner verbundenen Unternehmen zivilrecht­lich in Haftung nehmen können. Die Tabelle (siehe unten) verdeutlicht die Än­derung der Haftungssummen des § 323 HGB durch das FISG.

Die Haftungssummen des § 323 Abs. 2 HGB sind in allen Fällen stark angestie­gen. Gleichzeitig wird mit der groben Fahrlässigkeit eine Begrifflichkeit einge­führt, deren Abgrenzung im Bereich der Abschlussprüfung durch die Gerichte konkretisiert werden muss, da es bisher weder eine umfangreiche noch homogene Rechtsprechung dazu gibt.

Definition von Fahrlässigkeit

Der Regierungsentwurf zum FISG definiert grobe Fahrläs­sigkeit wie folgt: Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, soweit die verkehrsübliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße au­ßer Acht gelassen und das nicht beachtet wurde, was sich im gegebenen Fall jedem aufgedrängt hätte. Einfache Fahr­lässigkeit hingegen ergibt sich residual immer dann, wenn ein Fall von Fahrlässigkeit vorliegt, der nicht als grobe Fahr­lässigkeit eingestuft werden kann.

Weitere Marktkonzentration droht

Nach wie vor ist § 323 HGB nicht auf freiwillige Abschlussprü­fungen anzuwenden. Hier gelten die im Prüfungsvertrag (Auf­tragsbestätigungsschreiben) vertraglich vereinbarten Haf­tungsbegrenzungen. Dies gilt jedoch nicht für einen freiwillig aufgestellten Konzernabschluss, der eine befreiende Wirkung entfalten soll; § 323 HGB ist hier entsprechend anzuwenden. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen des Berufsstands, wie etwa Honorardruck, steigenden regulatori­schen Anforderungen und Problemen bei der Gewinnung von geeignetem Personal, führen die neuen zivilrechtlichen Haf­tungsregelungen zu keiner Erleichterung, sondern fördern eine weitere Marktkonzentration. Will man hier das Haftungs­risiko beherrschen, wird die sinnvolle Adressierung der beste­henden Probleme noch dringlicher. Für die Auftraggeber dürfte sich dies mittelfristig in einem geringeren Angebot an Abschluss­prüfern und somit höheren Prüfungshono­raren bemerkbar machen.

Strafrechtliche Haftung

Während § 323 HGB die Haftung für Ab­schlussprüfer regelt, definieren die §§ 331 ff. HGB die Pflichten und den Haftungsrahmen für gesetzliche Ver­treter und Aufsichtsorgane. Im Unterschied zur zivilrechtlichen Haftung ist das Vorliegen eines Schadens keine Voraussetzung für die Anwendung der Norm. Durch das FISG ergibt sich in §§ 331 ff. HGB insgesamt eine Verschärfung der Rechtslage. § 331 Abs. 1 Nr. 1a HGB regelt die Haftung von vertretungsbe­rechtigten Organen bei Offenlegung von unrichtigen Jahresab­schlüssen beziehungsweise die Verhältnisse verschleiernder Einzelabschlüsse nach dem International Financial Reporting Standards (IFRS) zur Vermeidung von Offenlegungspflichten für HGB-Einzelabschlüsse. Hier entfällt nun die Voraussetzung von Vorsatz oder Leichtfertigkeit als Tatbestandsmerkmal. Aus der Erfahrung heraus tun sich insbesondere kleinere bis mittelgroße Unternehmen schwer, die im Vergleich zur HGB-Rechnungsle­gung komplexeren und in Deutschland noch immer weniger gängigen IFRS vollständig korrekt anzuwenden. Daraus ergeben sich dem Grunde nach reale Haftungsrisiken, wenngleich nur für eine sehr überschaubare Anzahl an Unternehmen. Ebenso ent­fällt bei der Offenlegung von befreienden Konzernabschlüssen nach HGB oder IFRS (§§ 291 und 292 HGB) nun die Vorausset­zung von Vorsatz oder Leichtfertigkeit als Eröffnungstatbestand (§ 331 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Voraussetzung bleibt, dass die unrich­tigen oder verschleierten Wiedergaben im übergeordneten Kon­zernabschluss die Befreiung von der Pflicht zur Aufstellung ei­nes Teilkonzernabschlusses zum Ziel haben.

Änderungen der Haftungs-summen des § 323 HGB durch das FISGBISHERNEU
Beschränkung
bei Fahrlässigkeit
Vorsatz(Einfache)
Fahrlässigkeit
Grobe
Fahrlässigkeit
Vorsatz
Kapitalmarkt-orientierte Unternehmen4 Mio. Euro
(nur börsennotierte AG)
unbegrenzt16 Mio. Eurounbegrenztunbegrenzt
CRR-Kreditinstitute/ Versicherungen1 Mio. Eurounbegrenzt4 Mio. Euro32 Mio. Eurounbegrenzt
Andere Unternehmen1 Mio. Eurounbegrenzt1,5 Mio. Euro12 Mio. Eurounbegrenzt

Auswirkungen für die Praxis

Im Gegensatz zur Befreiung durch einen IFRS-Einzelabschluss dürfte die Anzahl der Unternehmen, die von der Aufstellung ei­nes Teilkonzernabschlusses befreit sind, eine relevante Grö­ßenzahl erreichen. Sofern der befreiende Konzernabschluss nach IFRS aufgestellt wird, gelten die im voranstehenden Ab­satz genannten Argumente bezüglich der Komplexität der IFRS in abgeschwächter Form. Denn es ist anzunehmen, dass in die­sen Fällen aufgrund der Unternehmensgröße eher entspre­chende Mittel und Kapazitäten zur Verfügung stehen, einen ordnungsmäßigen IFRS-Konzernabschluss zu erstellen. Mit § 331 Abs. 2 HGB wurde zudem ein Strafmaß für leichtfertige Vergehen eingefügt. Soweit in den oben genannten Fällen Leichtfertigkeit vorliegt, mildert sich das Strafmaß von einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe auf eine Frei­heitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Die zuvor in § 331 Abs. 3a HGB geregelte Haftung bei Abgabe eines falschen Bi­lanzeids durch die gesetzlichen Vertreter ist nun in § 331a HGB enthalten. Die mögliche Freiheitsstrafe erhöht sich von drei auf fünf Jahre. Zudem wurde ein Strafmaß für Leichtfertigkeit ein­gefügt, das die Freiheitsstrafe auf zwei Jahre beschränkt.

Anwendungszeitpunkt

Die Änderung der hier vorgestellten zivilrechtlichen Haftung bei Abschlussprüfungen gilt wegen der Übergangsregelung in Art. 86 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Handelsge­setzbuch (EGHGB) für alle gesetzlich vorgeschriebenen Ab­schlussprüfungen für das nach dem 31. Dezember 2021 be­ginnende Geschäftsjahr. Die hier vorgestellten Änderungen der Regelungen zur strafrechtlichen Haftung gelten hinge­gen seit Inkrafttreten des FISG am 1. Juli 2021.

Andere betriebswirtschaftliche Prüfungen

Für andere betriebswirtschaftliche Prüfungen, die konkret oder allgemein auf die Regelungen in § 323 HGB verweisen, wie zum Beispiel eine Verschmelzungsprüfung nach § 11 Abs. 2 Umwandlungsgesetz (UmwG) oder Prüfungen nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gibt es keine explizite Übergangsregelung. Die Wirt­schaftsprüferkammer (WPK) schlägt vor, die verschärften zi­vilrechtlichen Haftungsregelungen aber nicht nur bei der ge­setzlichen Abschlussprüfung anzuwenden; vielmehr sollten sie bei allen Prüfungsaufträgen trotz des Fehlens einer unmit­telbaren Übergangsregelung analog Art. 86 EGHGB erstmals für das nach dem 31. Dezember 2021 beginnende Geschäfts­jahr angewendet werden. Aufgrund des engen Zeitfensters für Fragen zu dieser Übergangsregelung ist nicht davon auszuge­hen, dass es hier zu einer expliziten Rechtsprechung kommen wird, mit der diese Analogie bestätigt wird.

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Zum Autor

CE
Christoph Eisner

Wirtschaftsprüfer im Bereich Audit & Assurance bei der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

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