Wirtschaftsprüfer - 27. März 2024

KI kommt an Bord

Digitalisierung und künstliche Intelligenz sind im Bereich der Abschlussprüfungen auf dem Vormarsch. Den kompetenten Wirtschaftsprüfer werden sie jedoch auch in Zukunft nicht ersetzen.

Ist es nun tatsächlich so weit? Streckt ChatGPT seine Fühler auch in die Wirtschaftsprüfung aus – und müssen wir uns künftig mit KI-Wirtschaftsprüfern auseinandersetzen? Diese Frage keimte in mir auf, als ich las, dass ChatGPT 4.0 kürzlich die US-Examen für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestand. Immerhin gelten diese Prüfungen als besonders anspruchsvoll und setzen tiefgehendes Fachwissen sowie analytische Fähigkeiten voraus.

KI im Alltag angekommen

Aber wenn wir mal ehrlich sind: Das digitale Zeitalter hat auch für Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer schon längst begonnen. Die Aussage von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil aus dem vergangenen Herbst, es werde spätestens 2035 keinen Arbeitsplatz mehr geben, der nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun hat, zaubert Wirtschaftsprüfern wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln ins Gesicht. Denn der Einsatz von KI dürfte für so manche von ihnen schon heute integraler Bestandteil ihres Arbeitsalltags sein – insbesondere bei Tools in den Bereichen Risikoanalyse und Datenprüfung beispielsweise bei der Betrugserkennung.
Dass eine examinierte KI-Variante den menschlichen Wirtschaftsprüfer in Zukunft ablöst, halte ich trotzdem für unwahrscheinlich. Zu komplex sind die Aufgaben, die Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer in Deutschland ausüben. Derzeit sind dies laut aktueller Berufsstatistik der Wirtschaftsprüferkammer rund 15.000 Wirtschaftsprüfer und knapp 2.000 vereidigte Buchprüfer in Deutschland – die meisten zwischen 50 und 59 Jahre alt.

Viele neue Pflichten im Wandel der Zeit

In jüngster Vergangenheit sind dem Berufsstand noch zusätzliche Pflichten auferlegt worden, beispielsweise durch das Energiewirtschaftsgesetz, das Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz, das Strompreisbremsegesetz und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. KI-Anwendungen kommen gerade zur rechten Zeit, um Wirtschaftsprüfer zu unterstützen und zu entlasten. Das belegt auch eine aktuelle Studie der Kollegen von PwC, die herausgefunden hat, dass die betreffenden Anwendungen bei Compliance-Aufgaben wesentlich besser unterstützen und Informationen aus unstrukturierten Daten bewahren können. Wo wir früher Stichproben manuell analysiert haben, greift heute die datengetriebene Vollanalyse. Wo wir früher – ganz klassisch und analog – auf Papier dokumentiert haben, können wir heute digitale Archivierung und Reporting nutzen. Wir schlagen ein neues Kapitel in der Wirtschaftsprüfung auf: weg von manuellen Prozessen hin zu automatisierten, digitalisierten Abläufen. Und das schafft uns Freiräume für andere Aufgaben. Der digitale Werkzeugkasten macht schon seit geraumer Zeit Massenprüfungen möglich. Beispiel: Journal Entry Testing.
Mit klassischen Prüfungsmethoden kann man den digitalisierten und KI-Systemen bei Mandanten schon heute nicht mehr gerecht werden. Daher werden sich Systemprüfungsansätze mehr und mehr etablieren – und zwar sowohl aus risikoorientierter als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Auch DATEV testet derzeit eine KI-basierte Anomalieerkennung. Verfahren aus dem Machine Learning helfen dabei, den Datenbestand gesamtheitlich auf Auffälligkeiten zu analysieren und durch Explainable Artificial Intelligence (XAI) zu erklären. Damit entwickeln wir ein Tool innerhalb der Datenanalyse, das vor allem bei der Identifizierung von Auffälligkeiten etwa in Umsatz- oder Erlöskonten unterstützen soll.

KI-Lösungen als Assistenz

Werden Wirtschaftsprüfer also künftig einfach künstliche Intelligenz für sich arbeiten lassen – und es sich derweil mit einem Milchkaffee auf dem Bürosessel bequem machen? So viel Muße wird auf mittlere Sicht sicher nicht in das Arbeitsleben des Prüfers einkehren. Denn KI-Lösungen können als Hilfswerkzeug, als Assistenz schon eine ganze Menge. Zahlreiche andere Aufgaben können sie jedoch nicht übernehmen. Und wenn wir ehrlich sind: Um einen Prüfungssachverhalt abschließend zu beurteilen, braucht es immer noch den Intellekt und vor allem den Instinkt des Abschlussprüfers.
Daher erfordert der Trend zu mehr Einsatz von künstlicher Intelligenz in Zukunft eine andere Herangehensweise an den Berufsalltag – und Wirtschaftsprüfer müssen ein Verständnis dafür entwickeln, wie die dahinterliegenden Systeme funktionieren. Das gilt vor allem mit Blick auf Qualität und Zuverlässigkeit von KI-Systemen – und mit Blick darauf, wie plausibel die Resultate von KI-Lösungen sind.
Wie in anderen Branchen auch, wird der Einsatz von KI vor allem dazu führen, Routinearbeiten erledigen zu lassen und sich auf komplexere Tätigkeiten zu spezialisieren. Die Arbeit geht nicht aus, sie verändert sich. Letztlich kann diese Entwicklung in vielerlei Hinsicht ein Meilenstein sein. Denn KILösungen können auch als Plus beim Fachkräftemangel im Berufsstand verbucht werden, das traditionelle Berufsbild des Wirtschaftsprüfers auch für eine jüngere, technologieaffinere Generation attraktiv machen. Und den erfahrenen Wirtschaftsprüfern Raum geben für ihre eigentliche Fachexpertise.
Und so ist es eigentlich höchst erfreulich, wenn Modelle wie ChatGPT 4.0 anspruchsvolle Examen bestehen. Denn dies stellt nicht unsere menschliche Expertise infrage, sondern zeigt, dass KI-Lösungen helfen können, den Berufsstand zukunftsfähig zu gestalten – mit beeindruckender Kompetenz in der Welt der Zahlen und Regelwerke und unterstützt von modernster Technologie.

Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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