Zweite Audit-Reform - 27. April 2023

Die Weichen stellen

Damit die Wirtschaftsprüfung verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnt, benötigen die Finanzplätze einen neuen Ordnungsrahmen, der die Stärken von Aufsichtsbehörden, Aufsichtsräten und Abschlussprüfern vereint. So gesehen ist die geplante Reform weit mehr als eine Qualitätsoffensive.

In der Europäischen Union (EU) ist eine neue Reform der Abschlussprüfung am Start, die im November 2021 mit einer Konsultationsrunde begann. Es ist bereits der zweite Vorstoß nach 2014. Auch diesmal steht die Prüfung von börsennotierten Unternehmen, Banken und Versicherungen (Public Interest Entities, PIE) im Fokus. Mit der Audit-Reform verfolgt die EU-Kommission gleich mehrere Ziele: Sie will die Qualität der Abschlussprüfung verbessern, die Konzentration auf dem PIEPrüfermarkt reduzieren und das Vertrauen in den Berufsstand stärken. „Es gibt bereits eine Reihe von Erkenntnissen aus dem Konsultationsprozess, in den wir alle drei Säulen des Ökosystems der Unternehmensberichterstattung einbezogen haben: die Corporate Governance, die gesetzliche Abschlussprüfung und die Aufsicht“, berichtete Mairead McGuinness, die EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion, am 7. Dezember 2022 auf einer Veranstaltung der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG). „Es sind sehr komplexe Themen. Und wir brauchen mehr Zeit, um einen Konsens über politische Optionen zu finden. Wir müssen bedenken, dass unsere politische Agenda stark von den geopolitischen und wirtschaftlichen Aussichten beeinflusst wurde“, ergänzte die EU-Kommissarin.

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

Damit ist klar: Die Reform ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Tatsächlich haben Ukraine-Krieg und Energiekrise den Zeitplan der EU-Kommission durchkreuzt. Im Mai 2021 hatte Mairead McGuinness angekündigt, in der zweiten Jahreshälfte 2021 eine öffentliche Konsultation durchführen zu wollen, um besagtes Ökosystem intensiv zu beleuchten. Wirecard sei ein ernster Wake-up-Call gewesen, so die EU-Kommissarin damals. Der Fall habe gezeigt, was passieren kann, wenn die drei Säulen der Unternehmensberichterstattung versagen. Ein funktionierender Prüfermarkt ist wichtig für die Realwirtschaft und das Finanzsystem. Denn Wirtschaftsprüfung ist eine Dienstleistung, aber keine wie jede andere. Prüferinnen und Prüfer sorgen dafür, dass verlässliche Unternehmenskennzahlen bereitgestellt werden. Ihre Aufgabe ist im öffentlichen Interesse: Investoren, Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Behörden – sie alle stützen ihre Entscheidungen auf Informationen, denen sie vertrauen müssen. Mit der Rolle der Wirtschaftsprüfung ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung verbunden, die über das reine Zahlenwerk hinausgeht: Wirtschaftsprüfer stellen Vertrauen her – und nicht bloß Testate. Genau dieses Vertrauen ist durch Bilanzskandale wie Enron, Parmalat, Carillion, Patisserie Valerie oder Wirecard angeschlagen.

EU-Rechtsrahmen im Visier

Verlässliche Unternehmenskennzahlen sind also wichtiger denn je. Übergeordnetes Ziel der Konsultation zur Verbesserung der Qualität sowie der Durchsetzung der Unternehmensberichterstattung war es, eine qualitativ hochwertige und zuverlässige Unternehmensberichterstattung für gesunde Finanzmärkte, Unternehmensinvestitionen und Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund standen einige Aspekte des derzeitigen EU-Rechtsrahmens auf dem Prüfstand, insbesondere die EU-Abschlussprüferverordnung 537/2014, die EU-Abschlussprüferrichtlinie 2014/56/EU und die Bilanzrichtlinie 2013/34/EU.

Fünfteiliges Konsultationspapier

Das Konsultationspapier war in fünf Teile gegliedert. In Teil I ging es um die allgemeinen Auswirkungen des EU-Rahmens auf die drei Säulen der Unternehmensberichterstattung sowie deren Zusammenspiel untereinander: Corporate Governance, gesetzliche Abschlussprüfung und Aufsicht. Für diesen ganzheitlichen Ansatz habe es viel Unterstützung gegeben, sagte Mairead McGuinness in der Rückschau. Teil II drehte sich um die Funktionsweise von Vorständen und die Rolle von Prüfungsausschüssen. Indirekt ging es dabei um die Frage, ob eine Regelung nach dem Vorbild des amerikanischen Sarbanes-Oxley Act (SOX) eingeführt werden sollte – einschließlich spezifischer interner Kontrollen in den Unternehmen und spezieller Berichterstattungsmethoden zu deren Prüfung. Es habe großes Interesse an einem besseren Risikomanagement und an internen Kontrollen in den Unternehmen gegeben, so das Zwischenfazit in Brüssel. Das Konsultationspapier fokussierte sich größtenteils auf die gesetzliche Abschlussprüfung. In Teil III ging es beispielsweise um die Einführung alternativer Prüfungsmodelle. Bei einem Joint Audit, das in der Konsultation explizit erwähnt wurde, gilt das Vieraugenprinzip. Zwei voneinander unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaften prüfen die Zahlen gemeinsam und testieren den geprüften Abschluss gemeinschaftlich. Joint Audits fördern damit nicht nur die Marktvielfalt, sie stärken auch die Prüfungsqualität. Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei. „Die Qualitätsverbesserung ist ein schwieriger Bereich“, räumte Mairead McGuinness rückblickend ein und kündigte an, dass sich die EU-Kommission mit dem Thema noch eingehender befassen müsse. Auch die Aufsicht wurde thematisiert. In Teil IV fragte die Kommission nach der Rolle, der Effektivität sowie der Effizienz der nationalen Aufsichtsbehörden für PIE-Prüfer. Das Ergebnis: „Viele Beteiligte sind sich einig, dass der Informationsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden verbessert werden muss und dass mehr Transparenz erforderlich ist“, so Mairead McGuinness. Im fünften und letzten Teil befasste sich die Konsultation schließlich mit der Stärkung der Rolle der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA bei der Durchsetzung der Unternehmensberichterstattung.

Marktkonzentration als altbekanntes Problem

Ursprünglich sollten die Ergebnisse der Befragung bis Ende 2022 ausgewertet werden und in eine entsprechende Gesetzesvorlage einfließen. Ob das noch in dieser Legislaturperiode von 2019 bis 2024 gelingt, ist fraglich. „Wir wissen, dass der Markt für Abschlussprüfungen immer noch stark konzentriert ist“, betonte Mairead McGuinness auf der EFRAG-Veranstaltung. Klar ist, dass sich das Problem der Marktkonzentration nicht von allein lösen wird. Eine Anpassung des Marktdesigns ist dringend erforderlich und bereits in Deutschland politisch vereinbart. Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 festgelegt, sie wolle der hohen Marktkonzentration entgegentreten. Tatsächlich hat sich der Prüfermarkt in den letzten Jahrzehnten immer weiter konsolidiert. Diese Marktkonzentration ist ein weltweites Phänomen. In den 1980er-Jahren waren es noch acht große Prüfungsgesellschaften, die sich über die Zeit durch Fusionen und den Zusammenbruch von Arthur Andersen auf ein Oligopol aus vier großen Prüfungsgesellschaften (Big Four) reduziert haben. In Zahlen sieht die Marktkonzentration im PIE-Segment heute so aus: In Deutschland haben die Big Four einen Anteil von 84 Prozent am Gesamtumsatz der Top 14. Im Vereinigten Königreich liegt ihre Quote bei 85 Prozent und in Frankreich bei 72 Prozent (vgl. Studie von F.A.Z.-Institut und Mazars „Abschlussprüfung in Europa: Public Interest Entities (PIEs) – Marktstrukturen in Deutschland, Frankreich und im Vereinigten Königreich“).Theoretisch ist effektiver Wettbewerb in einem Oligopol möglich. Doch Rotationspflicht, Blacklist beziehungsweise das Engagement der Big Four als Berater sowie die Regelungen zu Cooling-in und Cooling-off schränken die Auswahlmöglichkeit für Unternehmen bei einem Prüferwechsel stark ein. Aus einem Oligopol kann schnell ein Duopol oder gar ein Monopol werden. Die erste große Rotationsrunde im Dax 40 hat gezeigt, dass die Konzentration zunimmt. „Aus Big Four werden Big Three“, schrieb das Handelsblatt im Januar.

Mehr Dynamik in Frankreich und Großbritannien

Der Blick über den Tellerrand beziehungsweise die Landesgrenze zeigt, dass der PIE-Prüfermarkt durchaus offen für Impulse ist. In Frankreich, wo Joint Audits für Unternehmen von öffentlichem Interesse seit 1966 verpflichtend sind, ist die Anzahl der Prüfungsgesellschaften in diesem Segment deutlich höher als in Deutschland. 2020 waren es 256 Prüfer für 1.566 PIE, verglichen mit 65 Prüfern für 980 PIE hierzulande. Interessant sind auch die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. Im Mai 2022 hieß es in der Queen’s Speech, die britische Regierung habe die Absicht, eine baldige Audit-Reform durchzuführen, die den Wettbewerb auf dem Wirtschaftsprüfungsmarkt stärken, die Dominanz der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften verringern und den Unternehmen eine größere Auswahl an geeigneten Prüfern bieten solle. Auch Maßnahmen zur Öffnung des Markts wurden genannt, insbesondere ein neuer Ansatz des Vieraugenprinzips, das sogenannte Managed Shared Audit. Die britische Regierung stellte diese Maßnahmen in direkten Zusammenhang mit der Verbesserung von Prüfungsqualität, Marktvielfalt und Finanzstabilität.

CSRD ist Chance und Challenge zugleich

Wie wichtig verlässlich geprüfte Kennzahlen für die Märkte sind, zeigt sich bei einem weiteren großen Zukunftsthema: der Nachhaltigkeitsberichterstattung und ihrer Prüfung. Von der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind in Europa schätzungsweise rund 50.000 Unternehmen direkt betroffen, davon allein 15.000 in Deutschland. Wirtschaftsprüfer werden eine Schlüsselrolle spielen, weil sie die angemessene Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen bestätigen sollen und damit Vertrauen bilden. Die Richtlinie sieht vor, dass Unternehmen ihren derzeitigen Abschlussprüfer, einen neuen Prüfer oder, wenn der Mitgliedstaat dies zulässt, auch einen unabhängigen Prüfungsdienstleister (independent assurance services provider) mandatieren können. Eine 2020 veröffentlichte Studie des Centre for European Policy Studies (CEPS) und die Erfahrungen der Mitgliedstaaten zeigen jedoch, dass bis zu 90 Prozent der Unternehmen ihren derzeitigen Abschlussprüfer bitten, sein Mandat auf Nachhaltigkeitsinformationen auszuweiten – auch weil finanzielle und nichtfinanzielle Berichterstattung immer mehr Interdependenzen aufweisen. Dies bedeutet, dass die wenigen Prüfungsgesellschaften, die den Markt heute beherrschen, ihre Position durch zusätzliche Nachhaltigkeitsmandate weiter stärken werden. Das dürfte die oben beschriebene Marktkonzentration auf den Markt für Nachhaltigkeitsprüfungen übertragen. Aus wettbewerbsökonomischer Sicht sprechen also auch die Herausforderungen der CSRD für eine Reform des PIE-Prüfungsmarkts.

Fazit

Lässt sich der Krise eines abgewinnen, dann die Tatsache, dass sie das Bewusstsein für Qualität und Risiko bei allen Beteiligten deutlich geschärft hat. Und sie hat gezeigt, dass Finanzplätze einen Ordnungsrahmen brauchen, der die Stärken von Aufsichtsbehörden, Aufsichtsräten und Abschlussprüfern vereint. Vor diesem Hintergrund ist die zweite Audit-Reform weit mehr als eine Qualitätsoffensive. Sie stellt die Weichen für neues Vertrauen in die Wirtschaftsprüfung.

Zum Autor

CR
Dr. Christoph Regierer

Sprecher des Management Boards von Mazars in Deutschland und Mitglied im Global Executive Board der Mazars Group

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