Warn- und Hinweispflichten - 24. März 2022

Abschlussprüfer sind Werterhalter

Anfang vergangenen Jahres ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Stabilisierung und Restrukturierung für kriselnde Unternehmen bezweckt. Für den Wirtschaftsprüfer ergibt sich daraus eine spezielle Funktion im Rahmen der Frühwarnsysteme.

Mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) wurden zum 1. Januar 2021 in § 102 des Gesetzes für be­stimmte Berufsgruppen besondere Pflichten gere­gelt. Bei der Erstellung eines Jahresabschlusses ist die Mandantin oder der Mandant auf das Vorliegen eines Insolvenzgrunds und die damit verbundenen Pflichten hinzuweisen, wenn entsprechende An­haltspunkte offenkundig sind und man annehmen muss, dass dem Mandanten die Insolvenzreife nicht bewusst ist. Vordergründig ist das nichts Neues, wie auch der Gesetzgeber in der Begründung zum StaRUG ausführt und sich auf die grundlegende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Hinweis- und Warnpflichten des Steuerberaters im Rahmen der Erstellung von Jahresabschlüssen be­zieht (Urteil vom 26.01.2017 – IX ZR 285/14 –, BGHZ 213, 374–394, Rn. 19 und 44), wenn der Bestand des Unternehmens gefährdet erscheint. Auch der Wirtschaftsprü­fer war schon in der Vergangenheit entsprechend verpflichtet, und zwar als Abschlussprüfer nach § 321 Abs. 1 S. 2 und 3 Handelsgesetzbuch (HGB) beziehungsweise als Ersteller nach IDW S 7 (03.2021), Rn. 78, des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V., und insoweit Teil des Frühwarnsystems. Ebenso vordergründig greifen die Pflichten nur eingeschränkt bei der Erstellung von Jahresabschlüssen, wenn Hinweise auf entsprechende Risiken offenkundig sind und angenommen werden muss, dass beim Mandanten kein Bewusstsein zur In­solvenzreife besteht.

Vorsicht heißt das Gebot

Durch das StaRUG hat sich zwar nichts in der Mechanik verän­dert – es besteht also kein Grund zur Panik und den Notruf zu wählen. Es gilt aber besondere Vorsicht. Die Vorschrift des § 102 StaRUG verwendet unbestimmte Rechtsbe­griffe und bezieht sich auf sämtliche Insol­venzgründe mit daran anknüpfenden Pflich­ten. Daneben ist offen, wie weit die Wirkung geht. Das betrifft insbesondere die Funktion des Wirtschaftsprüfers in der Frühwarnung.

Rolle des Wirtschaftsprüfers in der Frühwarnung

Bei der Prüfung des Jahresabschlusses hat der Abschlussprüfer die Fortführungsfähig­keit nach § 252 HGB zu prüfen. Ist die Einschätzung der ge­setzlichen Vertreter fehlerhaft, ist das Testat zu versagen. Im offenzulegenden Bestätigungsvermerk muss auf bestandsge­fährdende Risiken des Unternehmens oder eines Konzernun­ternehmens eingegangen werden (§ 322 Abs. 2 HGB). Im Prü­fungsbericht ist über Tatsachen zu berichten, die den Bestand des Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können. Daneben ist zu prüfen, ob die Chancen und Risiken der zukünftigen Ent­wicklung im Lagebericht zutreffend dargestellt sind (§ 317 Abs. 2 S. 2 HGB). Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist zu beurteilen, ob nach § 91 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG) ob­liegende Maßnahmen zur Risikofrüherkennung in geeigneter Form getroffen sind und das Überwachungssystem seine Auf­gaben erfüllen kann (§ 317 Abs. 4 HGB). Erkennt der Ab­schlussprüfer Anhaltspunkte für eine Insolvenzgefahr, ist er nach IDW PS 270 n. F. (10.2021) (IDW Life 12/2021, S. 1264 ff., Rn. A12) verpflichtet, die gesetzlichen Vertreter auf ihre insol­venzrechtlichen Verpflichtungen hinzuweisen. Ist die Fortfüh­rung des Unternehmens nicht mehr wahrscheinlich, darf der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Erstellung eines Jahresab­schlusses keine Fortführungswerte zugrunde legen, selbst wenn der Mandant dies wünscht [IDW S 7 (03.2021), Rn. 29]. Damit sind die berufsständischen Regelungen strenger als die höchstrichterliche Rechtsprechung. Es ist also zu beachten, dass dem Wirtschaftsprüfer eine besondere Rolle im System der Frühwarnung zukommt und er folglich in den Fokus rückt, wenn sich eine Unternehmenskrise verschärft.

Unsicherheit durch unbestimmte Rechtsbegriffe

Die Hinweis- und Warnpflichten des § 102 StaRUG beziehen sich auf offenkundige Anhaltspunkte, was der Situation ent­spricht, wenn der Berufsträger im Zuge der Erstellungstätig­keiten rechtliche oder tatsächliche Umstände erkennen muss, die der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entgegenstehen können. Für den Ab­schlussprüfer werden Hinweis- und Warnpflichten relevant bei bestandsgefährdenden Tatsachen, auf die sich § 321 Abs. 1 S. 2 und 3 HGB und die Redepflichten bei der Prüfung von Jah­resabschlüssen beziehen. Die Hinweispflicht besteht insbe­sondere dann, wenn ein Insolvenzgrund im Sinne der §§ 17–19 Insolvenzordnung (InsO) bei ordnungsgemäßer Bearbeitung offenkundig erkennbar ist. Dies ist etwa dann gegeben, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen oder die handelsbilanziell überschuldete Gesell­schaft über keine stillen Reserven verfügt. Weitere Zweifel an der Fähigkeit zur Fort­führung der Unternehmenstätigkeit sind in den Anwendungshinweisen zum IDW PS 270 n. F. (IDW Life 8/2018, S. 752 ff.) beziehungsweise zum IDW PS 270 n. F. (10.2021) (IDW Life 12/2021, S. 1264 ff.) aufgeführt und be­treffen zum Beispiel Darlehensverbindlichkeiten mit fester Laufzeit, die fällig werden, ohne dass eine realistische Aus­sicht auf Verlängerung oder auf Rückzahlung besteht, oder Anzeichen für den Entzug finanzieller Unterstützung durch Gläubiger sowie Verlust von wichtigen Absatz- oder Beschaf­fungsmärkten, bedeutenden Kunden oder Lieferanten.

Annahme der Unkenntnis

Für das mangelnde Bewusstsein zur Insolvenzreife kommt es darauf an, ob der Mandant über das konkrete tatsächliche und rechtliche Wissen verfügt. Da die Feststellung schwierig ist, empfiehlt es sich, Hinweise an den Mandanten zu dokumentie­ren und spezifische Beratung zu empfehlen. Ein Mittel kann etwa ein Formularschreiben sein, das besser einmal mehr als einmal zu wenig eingesetzt wird. Ein rein abstrakter oder all­gemeiner Hinweis auf mögliche Insolvenzrisiken reicht jedoch nicht aus. Es ist unmissverständlich klarzustellen, dass die Ge­schäftsführung mit den im Hinweis konkret beschriebenen An­haltspunkten und Umständen die Prüfung einer Insolvenzreife im Sinne der §§ 17–19 InsO zeitnah zu veranlassen hat. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass bei Vorliegen eines Insolvenzgrunds die Fortführungsvermutung nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB möglicherweise entfällt und eine Bilanzierung mit Zer­schlagungswerten erforderlich sein könnte.

Beschränkung auf die Erstellung

Nach dem Wortlaut des § 102 StaRUG wird an die Erstellung von Jahresabschlüssen angeknüpft. Die Gesetzesbegründung spricht nur von einer klarstellenden gesetzlichen Maßnahme, die zu keinen neuen Pflichten und Haftungstatbeständen für die genannten Berufsgruppen führen soll. Es ist jedoch zu er­warten, dass die gesetzliche Regelung bewirkt, dass Insolvenzverwalter häufiger als in der Vergangenheit prüfen, wer sich im Rahmen der Erstellung von Jahresabschlüssen sowie deren Prüfung haftbar gemacht haben könnte. Insofern ist es ange­zeigt, dass alle betroffenen Berufsgruppen prüfen, ob in der je­weiligen Kanzlei ein entsprechendes Problembewusstsein vor­handen ist.

Erweiterter Schutzbereich?

Im genannten grundlegenden BGH-Urteil wurde darauf abge­stellt, dass ein Steuerberater bereits aufgrund des Mandats für die Erstellung des Jahresabschlusses zur Prüfung verpflichtet sei, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehen­den Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tat­sächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit seines Mandanten ent­gegenstehen könnten. Allerdings wurde klargestellt, dass der Steuerberater gerade nicht verpflichtet sei, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen oder weitere Analysen an­zustellen. Diese Aufgaben gehören zu dem originären Pflich­tenkreis des Geschäftsführers. Auch wenn sich nach dem Wil­len des Gesetzgebers nichts ändern sollte, ist durch die Rege­lung des StaRUG aber jetzt fraglich, ob sich etwas am Adressa­tenkreis für etwaige Schadenersatzansprüche geändert hat. Bisher hatte nur der Mandant aus dem Dienstleistungsvertrag, der keine drittschützende Wirkung entfaltete, solche Ansprü­che. Nun ist aber zu erwarten, dass versucht wird, § 102 StaRUG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu verstehen, was Ansprüche späterer Insolvenzgläubiger eröff­nen würde. Es ist anzumerken, dass die berufsständischen In­teressenvertreter bereits nach Veröffentlichung des Referen­tenentwurfs zum StaRUG auf diese Problematik hingewiesen haben, eine Klarstellung ist jedoch nicht erfolgt. Insoweit sollte man zunächst vorsorglich von einem höheren Risiko ausgehen.

Insolvenzgründe als Anknüpfungspunkt

Besondere Vorsicht ist mit dem Verweis des § 102 StaRUG auf alle drei Insolvenzgründe der §§ 17–19 InsO geboten, insbe­sondere in Bezug auf die drohende Zahlungsunfähigkeit ge­mäß § 18 InsO. Durch die Verknüpfung mit § 1 StaRUG und den dort festgeschriebenen Pflichten zu Krisenfrüherkennung und -management für die Unternehmensleitung, die bei Ver­stößen insbesondere zu einer Haftung gemäß §§ 43 GmbHG und 93, 91 AktG führen können, könnten sich die Pflichten des § 102 StaRUG auch auf die Frage beziehen, ob die Pflichten aus § 1 StaRUG ordnungsmäßig erfüllt werden. Dies erstreckt sich dann nicht nur auf die Frage, ob genügende Krisenfrüher­kennungssysteme eingerichtet sind, insbesondere eine geord­nete, aussagekräftige und aktuelle Buchführung, und diese or­dentlich genutzt werden, sondern auch auf die ordentliche Planung für einen Zeitraum von 24 Monaten und die Frage ei­ner diesbezüglichen Durchfinanzierung, da die Anwendung der Vorschriften des StaRUG maßgeblich an die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpft.

Fazit

Im Kern hat sich zu Haftungsgefahren bei der Erstellung von Jahresabschlüssen nichts geändert. Die Aufmerksamkeit ist aber größer geworden und die Insolvenzverwalter laufen sich warm, jeden in Anspruch zu nehmen, der mit der Erstellung von Jahresabschlüssen zu tun hat und im Falle einer späteren Insolvenz nicht ausreichend und vor allem frühzeitig gewarnt haben könnte – dies insbesondere nach zwei Jahren Corona-Pandemie und einem rückläufigen Insolvenzgeschehen, was in der Volkswirtschaft und insbesondere bei den Insolvenzverwaltern zu Nachholbedarf führen wird. Es gilt also, beson­ders achtsam zu sein, ohne in Panik zu geraten und unnötig den Notruf zu wählen. Vielmehr kommt es darauf an, im Sinne des Werterhalts frühzeitig Chancen wahrzunehmen.

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Zum Autor

SR
Steffen Reusch

Rechtsanwalt und Geschäftsführer der BDO Restructuring GmbH in Düsseldorf.

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