Tax Compliance und Verfahrensdokumentation - 29. September 2022

Die Prüfung bestehen

Eine veränderte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führt dazu, dass ein bereits bekanntes Problem nun zu ganz neuen Beratungsansätzen führt. Ist man hier als Mandant und Berater nicht gewissenhaft, kann es im Rahmen einer Betriebsprüfung zu einem bösen Erwachen kommen.

Durch die Digitalisierung sowie den zunehmenden Einsatz von Programmen, Tools und generell IT stehen unsere Mandantinnen und Mandanten ständig vor neuen Herausfor­derungen. Zu den Anforderungen, die sich aus der Abgaben­ordnung und den Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Füh­rung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form (GoBD) ergeben, kommen künftig auch noch die Verfahrensdokumentation und die Tax Compliance, was die Mandantschaft in der Regel absolut überfordert. Hier kommen wir Steuerberater ins Spiel – weni­ger als ein unmodern wirkender Spaßverderber, sondern eher als Retter vor drakonischen Maßnahmen infolge einer Betriebsprüfung.

Verfahrensdokumentation

Die Verfahrensdokumentation (VD) gibt es zwar schon so lan­ge wie die GoBD, und auch Risiken bei einer Betriebsprüfung sowie eine damit verbundene, laufende Beratungsleistung sind nicht neu. Aber die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Schätzung im digitalen Zeitalter hat sich geändert. Obwohl kein formeller Mangel vorliegt, kann es laut BFH zu einer Hinzuschätzung kommen, weil die VD fehlt oder ungenügend ist. Daher ist es besser, eine kleine Dokumentation vorzuweisen als gar keine. Hinzu gehört alles, was zum Verständnis erforderlich ist. Das ist bewusst sehr weit gefasst, leider aber gesetzlich nicht gut erklärt. Abgebildet werden müssen die Prüfbarkeit des Systems beziehungsweise der Betriebseinnahmen sowie die einzelnen Geschäftsvorfälle. Hieraus kann sich dann die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung oder deren Verwerfung ergeben, was wiederum zu einer Schätzungsbefugnis der Behörde führt. Auch hier gilt der Grundsatz: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Grafische Dokumentationen sind also stets gern gesehen.

Zwingende Inhalte

Eine VD muss zunächst eine allgemeine Beschreibung, eine technische System- sowie eine Anwender- und eine Betriebsdokumentation enthalten. Diese Inhalte sind Pflicht. Sollten sie fehlen, liegt definitiv ein formeller Mangel vor, sofern es zu einer Betriebsprüfung kommt. Die VD muss nicht zwingend durch einen Steuerberater, Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer erstellt werden, sie muss aber aktuell sein. Sie muss ein internes Kontrollsystem (IKS) abbilden, das erläutert, wie und wo sensible Daten gesichert werden beziehungsweise wer über Nutzungsrechte verfügt. Ferner sollten alle rechnungsschreibenden Programme unter die Lupe genommen werden und von wo nach wo Belege tatsächlich hingehen. Auch ist darauf zu achten, dass die eingesetzten Tools GoBD-konform sind. Alles, was in der VD enthalten ist, sollte mit fortlaufenden Nummern gespeichert werden. Und Originalbelege bitte aufbewahren, denn die Vorlage einer VD erlaubt nicht automatisch deren Vernichtung. Im Ergebnis ist sie eine Dokumentation über das Verfahren mit der eingesetzten Software. Sobald man Tools im Einsatz hat, ob zur Rechnungsschreibung oder als einfache Datendrehscheibe, ist eine VD Pflicht. Ein echtes Monster, das immer aktuell sein muss, weil das Finanzamt prüft, ob die Daten unverfälschbar sind, Datensicherheit gegeben ist und hinsichtlich der Programme GoBD-Konformität vorliegt.

Tax Compliance

Die Dringlichkeit einer hieb- und stichfesten VD sowie einer Tax Compliance, die auch der Beurteilung durch einen Betriebsprüfer standhalten, ist nicht zuletzt durch jüngste Meldungen aus Bayern gestiegen. Dort will das Staatsministerium für Finanzen im Rahmen eines Pilotprojekts nun auch IKS von Unternehmen gezielt in seine Prüfungen mit einbeziehen. Wenn die nächste Betriebsprüfung ansteht, wird die VD jedenfalls zu den ersten Unterlagen gehören, die der Prüfer anfordert, um sich einen schnellen Überblick über das betreffende Unternehmen zu verschaffen. Zudem werden alle Programme mit in die Prüfung einbezogen, die im weitesten Sinne mit dem Erstellen von Rechnungen, dem Speichern von Daten bis hin zu ERP-Systemen zu tun haben. Das alles fällt unter den Begriff der Tax Compliance.

Aufgaben des Beraters

Der steuerliche Berater sollte beim Mandanten im Rahmen einer Ist-Analyse eine erste Bestandsaufnahme durchführen und im Anschluss mit ihm die nächsten, erforderlichen Schritte und notwendigen Maßnahmen absprechen. Er muss prüfen, wie nachhaltig und revisionssicher die Rechnungen geschrieben werden und die Daten gesichert beziehungsweise weitergegeben werden können. Hintergrund ist, dass der Prüfer den Missbrauch von Daten verhindern will, und dies sollte der steuerliche Berater im Vorfeld bereits entdecken. Viele Programme werben damit, GoBD-konform zu sein. Aber ist das wirklich so? Oft können kleine Lücken ausgenutzt werden, weil es das Programm zum Beispiel ermöglicht, Rechnungen nachträglich noch zu ändern. Das geschieht aus Gründen der Usability. Daher müssen die Tools daraufhin geprüft werden, ob sie tatsächlich revisionssicher sind. Falls nicht, muss dies in der VD notiert werden oder ein entsprechender Prüfmechanismus gegeben sein, damit gar kein falscher Verdacht entstehen kann.

Veränderte Gegebenheiten

Das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat hat ein Pilotprojekt gestartet, um auch die Strukturen des Mandanten in die Prüfung mit einzubeziehen. Meiner Ansicht nach kommt hier eine völlig neue Qualität von Prüfungen auf uns zu. Woran liegt das? Unser Staat hatte durch die Corona-Pandemie sehr hohe Ausgaben und die aktuellen politischen Ereignisse führen zu einer weiteren Neuverschuldung. Daher müssen auch wieder Gelder in die Staatskassen kommen, denn die Inflation und die dadurch steigenden Umsatzsteuereinnahmen werden dies alles nicht ausgleichen können. Die Quick Fixes ab 1. Januar 2020 waren meiner Ansicht nach bereits der Vorbote dafür, dass uns eine Welle von Betriebsprüfungen droht. Diese wurde bekanntermaßen aber durch den Ausbruch von Corona gebremst – die Prüfer durften einfach nicht vor die Tür. Während der Pandemie wurden zudem die Branchen, die bisher immer gerne geprüft wurden, so weit wirtschaftlich geschwächt, dass hier kein Mehrergebnis aus Sicht der Prüfer zu erwarten war. Viele Geschäfte mit Barumsätzen sind einfach insolvent, sodass es dort keine Substanz mehr gibt, die es zu prüfen lohnt. Da liegt es nahe, den Fokus der Prüfer nun auf die Systeme der digitalen Mandanten zu richten.

Betriebsprüfungen

Die Tax Compliance soll nun also Bestandteil normaler Betriebsprüfungen werden. Meiner Ansicht nach ist dies der Startschuss, eine ganz neue Art von Betriebsprüfungen ins Leben zu rufen. So mancher glaubt, dass dies nicht umsetzbar sei. Aber hätte man jemals gedacht, dass Kassensysteme bei Eisdielen automatisch je nach Postleitzahl mit Wetterkarten verprobt und nach Lieblingszahlen abgeglichen werden können? Und doch ist dies Realität geworden. Oder hätte man früher geglaubt, dass bei Friseuren anhand der Hochrechnung des Abwassers Rückschlüsse auf die durchschnittliche Zahl der frisierten Köpfe gezogen werden? Und doch ist es geschehen. Mit Blick auf die Tax Compliance sind daher alle Programme auf ihre GoBD-Konformität zu hinterfragen. Das ist wichtig, weil es im E-Commerce immer noch üblich ist, sich keine Gedanken über die GoBD-Konformität der eingesetzten Programme zu machen. Darin liegt ein großes Problem. Denn die meisten Tools sind ausnahmslos von IT-Fachleuten entwickelt, die sich naturgemäß nur um die technischen Möglichkeiten und nicht um wesentliche Dinge rechtlicher Natur Gedanken machen. Sofern eine derartige Software an den falschen oder einfach unkundigen Mandanten gerät und dieser mit dem Programm arbeitet, kann das richtig teuer beziehungsweise unangenehm werden – bis hin zu einer Strafanzeige.

Unschärfen in den Programmen

Dies ist darauf zurückzuführen, dass einige Tools hinsichtlich ihrer GoBD-Konformität nicht komplett wasserdicht sind. In den AGB steht oft, die korrekte Anwendung des Programms bliebe dem Kunden überlassen. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung sehen eine zeitnahe Festschreibung aller geschriebenen Rechnungen vor. Zeitnah bedeutet bei unbaren Geschäften zehn Tage. Warum kann man dann aber in diesem Zeitraum Rechnungen noch ändern? Ganz einfach, die Software will verkauft werden und Usability garantieren. Da ist es eher hinderlich, wenn eine geschriebene Rechnung nicht mehr verändert werden darf, ohne dass der Empfänger der Rechnung damit Missbrauch betreibt. Es gibt sogar Tools, die damit werben, dass für einen relativ kleinen Betrag die gesamte Buchführung komplett neu aufbereitet und mit anderen Steuersätzen versehen werden kann. Laut GoBD ist es jedenfalls verboten, eine geschriebene Rechnung noch einmal zu ändern. Warum aber ist es dann technisch möglich, ohne neue Versionsbezeichnung oder Rechnungsnummer eine bereits geschriebene Rechnung neu auszustellen? In den AGB vieler Programme steht zudem oft, es bestehe ein GoBD-Siegel, was es aber laut der Finanzverwaltung gar nicht gibt. Auch steht in den AGB häufig, das Programm sei zwar GoBD-konform, wie es jedoch genutzt werde, sei Sache des Anwenders. Das ist einfach unlogisch. Und Abweichungen, die auf diese Umstände zurückzuführen sind, fallen dann bei Prüfungen auf.

Fazit und Ausblick

Um diese Aspekte möglichst allen Steuerberatungskanzleien verständlich zu machen, entsteht bei uns aktuell ein Buch zum Thema E-Commerce und Steuerberatung. Darüber hinaus referiert unser fachlicher Leiter, Dennis Schümann, deutschlandweit auf DATEV-Seminaren, um meine Kollegen für die Chancen und Risiken im Online-Handel zu sensibilisieren. Letztendlich ergibt sich insoweit ein neues Geschäftsmodell für alle Steuerberater. Zudem nutzen wir eine spezielle Software, um die VD sowie die Tax Compliance zu prüfen. Meiner Ansicht nach ergeben sich hier enorme Chancen, neue Betätigungsfelder zu erschließen, die teilweise auch durch die Kanzleimitarbeiter bedient werden können.

Mehr dazu

finden Sie unter www.datev.de/verfahrensdokumentation

Mandanten-Info-Broschüre: Ordnungsgemäße Belegführung, www.datev.de/shop/32336

Kompaktwissen Beratungspraxis: Neufassung der GoBD, www.datev.de/shop/35722

Kompaktwissen Beratungspraxis: Brennpunkt Kassenführung, 3. Auflage, www.datev.de/shop/35451

Präsenzseminar „Rechtliche Anforderung und praktische Umsetzung eines Tax Compliance-Management-Systems (Tax-CMS)“, www.datev.de/shop/78399

Lernvideo „Verfahrensdokumentation nach GoBD“, www.datev.de/shop/78917

Ganztagsberatung vor Ort „Einstiegspaket Verfahrensdokumentation praktisch erstellen“, www.datev.de/shop/71965

Beratungspaket „Tax Compliance mit System“, www.datev.de/shop/71498

LEXinform IWW Kanzleiführung professionell (KP), www.datev.de/shop/64062 inklusive Sonderausgabe „Bürokratiemonster oder Geschäftschance – Verfahrensdokumentation in neuem Licht“

Elektronisches Wissen Steuerliche Außenprüfung, www.datev.de/shop/60172

DATEV-Software-Partner ITCP www.datev.de/itcp

Zum Autor

CD
Christian Deák

Steuerberater in eigener Kanzlei in Oberhausen.

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