Ertragsteuerliche Organschaft - 30. März 2023

Am falschen Ende gespart?

Wer aus Kostengründen auf die Abschlussprüfung einer Organgesellschaft verzichtet, ist in der Regel schlecht beraten. Denn dadurch riskiert man womöglich das Scheitern der gesamten ertragsteuerlichen Organschaft.

Die ertragsteuerliche Organschaft ist ein für die deutsche Konzernsteuerpraxis äußerst bedeutsames Rechtsinstitut. Ziel der ertragsteuerlichen Organschaft ist die Zurechnung des steuerlichen Einkommens beziehungsweise Gewerbeertrags einer Organgesellschaft an den Organträger. Damit kann ein Ausgleich von Gewinnen mit Verlusten innerhalb des Organkreises erreicht werden. Zentrale Voraussetzungen für die Anerkennung dieses Rechtsinstituts sind ein zivilrechtlich wirksamer Abschluss sowie die ordnungsgemäße Durchführung eines Gewinnabführungsvertrags (EAV) im Sinne des § 291 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG). Dieses Tatbestandsmerkmal birgt in der Praxis zahlreiche Fallstricke, die zum Scheitern einer Organschaft führen können. In einer aktuellen Verfügung vom 4. Januar 2022 hat sich die Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt am Main zu den bestehenden Rechtsunsicherheiten der Durchführungsfiktion positioniert, die im Zuge der sogenannten Kleinen Organschaftsreform 2013 ins Gesetz eingeführt wurde und gegebenenfalls Handlungsbedarf bei den betroffenen Konzernen auslöst. Die Problematik soll nachfolgend an einem einfachen Sachverhalt illustriert werden.

Fallbeispiel

Zwischen der Mutter-GmbH (M) und ihrer 100-prozentigen Tochter-GmbH (T), beide mit Sitz im Inland, besteht eine ertragsteuerliche Organschaft. Die nicht kapitalmarktorientierte T verzichtet nach § 264 Abs. 3 Handelsgesetzbuch (HGB) auf die Pflicht zur Prüfung ihres handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Die T wird in den IFRS-Konzernabschluss (International Financial Reporting Standards) der M einbezogen. Zu dem Konzernabschluss der M erteilt die Abschlussprüferin oder der Abschlussprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. In einer späteren Betriebsprüfung für den entsprechenden Veranlagungszeitraum bei T wird beanstandet, dass der handelsrechtliche Jahresabschluss fehlerhaft sei, da – unstrittig – keine Rückstellung gebildet wurde. Fraglich ist, ob die zunächst verunglückte Organschaft mittels der Durchführungsfiktion des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) geheilt werden kann. Insbesondere ist fraglich, ob die weitere Fiktion des Nicht-erkennen-Müssens des Fehlers in der Handelsbilanz der T gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 Bst. b und 5 KStG erfüllt ist. Alle anderen Voraussetzungen der Durchführungsfiktion sind erfüllt.

Erleichterungen

§ 264 Abs. 3 HGB, der sich in der Praxis großer Beliebtheit erfreut, eröffnet einer inländischen, nicht kapitalmarktorientierten Tochter-Kapitalgesellschaft (T-KapG) Erleichterungen bei der Aufstellung, Prüfung und Offenlegung ihres Jahresabschlusses und gegebenenfalls Lageberichts. Eine der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Erleichterungen ist, dass die T-KapG in den Konzernabschluss einer Muttergesellschaft mit Sitz innerhalb der Europäischen Union (EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) einbezogen wird. Das kann auch ein IFRS-Konzernabschluss sein (§ 315e HGB).

Ordnungsgemäße Durchführung eines EAV

Die Anerkennung einer ertragsteuerlichen Organschaft setzt unter anderem voraus, dass die Organgesellschaft ihr handelsrechtliches Jahresergebnis (objektiv) zutreffend ermittelt und einen Jahresüberschuss – unter Beachtung von § 301 AktG (analog) – vollständig an den Organträger abführt beziehungsweise einen Jahresfehlbetrag – unter Beachtung von § 17 KStG in Verbindung mit § 302 AktG (analog) – vom Organträger ausgeglichen erhält. Im Fallbeispiel hat die Organgesellschaft ihr handelsrechtliches Jahresergebnis nicht ordnungsgemäß ermittelt, da keine Rückstellung gebildet wurde. Daher wurde der EAV für dieses Jahr nicht ordnungsgemäß durchgeführt mit der Folge, dass die ertragsteuerliche Organschaft zunächst gescheitert ist.

Durchführungsfiktion

Im Zuge der Kleinen Organschaftsreform 2013 wurde mit § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 KStG eine Durchführungsfiktion ins KStG eingeführt, wonach der Gewinnabführungsvertrag auch dann als durchgeführt gilt, wenn der abgeführte Gewinn oder ausgeglichene Verlust auf einem Jahresabschluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze enthält. Voraussetzungen sind, dass
• der Jahresabschluss wirksam festgestellt ist,
• die Fehlerhaftigkeit bei Erstellung des Jahresabschlusses unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkannt werden müssen und
• ein von der Finanzverwaltung beanstandeter Fehler korrigiert und das Ergebnis entsprechend abgeführt oder ausgeglichen wird.


Ziel der Durchführungsfiktion ist, das Schicksal einer ertragsteuerlichen Organschaft nicht von Bilanzierungsfehlern abhängig zu machen und der Praxis die Möglichkeit zur Heilung einer verunglückten Organschaft zu geben. Bei Inanspruchnahme der Durchführungsfiktion erweist sich insbesondere die Voraussetzung des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 Bst. b KStG als heikel, da die gesetzlichen Vertreter – oft viele Jahre später – dem Finanzamt nachweisen müssen, dass der Bilanzierungsfehler bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkannt werden können. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber mit S. 5 des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KStG für S. 4 Bst. b eine weitere Fiktion eingeführt. Diese bestimmt, dass die Voraussetzung von S. 4 Bst. b bei Vorliegen eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks nach § 322 Abs. 3 HGB zum Jahresabschluss oder zu einem Konzernabschluss, in den der handelsrechtliche Jahresabschluss einbezogen worden ist, als erfüllt gilt. Da die T im Fallbeispiel auf die Pflicht zur Prüfung ihres handelsrechtlichen Jahresabschlusses verzichtet hat, ist S. 5, 1. Alternative, nicht erfüllt. Jedoch wurde die T in den IFRS-Konzernabschluss der M einbezogen, zu dem der Abschlussprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilte. Allerdings wurde die T in den IFRS-Konzernabschluss nicht mit ihrem handelsrechtlichen Jahresabschluss, sondern mittels eines IFRS Reporting Packages einbezogen. Fraglich ist, ob in diesem Fall die Fiktion des Nicht-erkennen-Müssens eines Fehlers in der Handelsbilanz der T gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 Bst. b und 5 KStG erfüllt ist. Mit Verfügung vom 4. Januar 2022 (S 2770 A-55-St 55) hat die OFD Frankfurt am Main (ohne Begründung) verlautbart, dass die Fiktion des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 5 KStG im Fall eines Bestätigungsvermerks zu einem nach IFRS-Vorschriften erstellten Konzernabschluss nicht gilt, in den aufgrund der Befreiungsvorschriften des § 264 Abs. 3 HGB kein handelsrechtlicher Jahresabschluss einbezogen wurde.

Stellungnahme

Bislang war die Frage in der Literatur umstritten. Nach meiner Ansicht ist der OFD Frankfurt am Main beizupflichten. Dafür sprechen sowohl der Wortlaut des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 5 KStG („zu einem Konzernabschluss, in den der handelsrechtliche Jahresabschluss einbezogen worden ist“) als auch dessen Sinn und Zweck. Ratio legis der Fiktion von Satz 5 ist, dass der uneingeschränkte Bestätigungsvermerk zu einem Konzernabschluss zumindest mittelbar eine Gewähr der Richtigkeit für den zutreffenden Gewinn oder Verlust der TKapG (Organgesellschaft) ist. Das setzt indes einen HGB-Konzernabschluss voraus, in den die T-KapG mit ihrem handelsrechtlichen Jahresabschluss einbezogen wird. Ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk zu einem IFRS-Konzernabschluss, in den die T-KapG mit ihrem IFRS Reporting Package einbezogen wird, ist hingegen nur mittelbar eine Gewähr der Richtigkeit für den IFRS-Gewinn oder -Verlust der T-KapG. Für die ordnungsgemäße Durchführung des EAV ist allerdings nicht dieser, sondern allein der handelsrechtliche Gewinn oder Verlust maßgeblich.
Diesem Befund steht nicht entgegen, dass eine T-KapG in einen HGB-Konzernabschluss ihres Mutterunternehmens nicht mit ihrem statutarischen Jahresabschluss (HB I), sondern mit ihrem an die einheitliche Bilanzierung und Bewertung angepassten, konsolidierungsfähigen Jahresabschluss (HB II) einbezogen und unter Anwendung der Konzernwesentlichkeit geprüft wurde.
Die Verfügung der OFD Frankfurt am Main gilt auch für eine T-KapG, die in einen IFRS-Konzernabschluss eines Publizitätsgesetz-Mutterunternehmens einbezogen wird (§ 264 Abs. 4 HGB). Sie gilt aber nicht im Anwendungsbereich des § 264b HGB, da eine Personenhandelsgesellschaft nicht Organgesellschaft sein kann; dies gilt auch, wenn die Tochter-Personenhandelsgesellschaft zur Körperschaftsbesteuerung optiert (§ 1a KStG).

Handlungsbedarf

Um die Voraussetzung des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 Bst. b KStG qua Fiktion (Satz 5) rechtssicher und ermessensfrei zu erfüllen, darf eine T-KapG nicht auf die Durchführung der gesetzlichen Abschlussprüfung ihres handelsrechtlichen Jahresabschlusses verzichten, zu dem ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt werden muss. Anderenfalls wäre der Nachweis, dass die gesetzlichen Vertreter der T-KapG den Fehler im handelsrechtlichen Jahresabschluss nicht hätten erkennen müssen, auf anderem Wege zu führen, etwa durch einen dokumentierten Nachweis, dass die Rechtsfrage intern oder extern ausreichend untersucht wurde. Im Ergebnis ist zwischen der Rechtssicherheit bei einer ertragsteuerlichen Organschaft und den Kosten der Durchführung einer Abschlussprüfung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der T-KapG mit Prüfungsbericht und Bestätigungsvermerk abzuwägen.

Fazit

Nach Ansicht der Finanzverwaltung genügt die Einbeziehung in einen IFRS-Konzernabschluss nicht den Anforderungen an die Durchführungsfiktion des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 4 Bst. b und 5 KStG. Da außerhalb des Anwendungsbereichs von Satz 5 der Nachweis, dass der Fehler in der Handelsbilanz nicht hätte erkannt werden müssen, schwierig ist und Konfliktpotenzial mit der Betriebsprüfung birgt, erscheint es aus Gründen der Rechtssicherheit für die Anerkennung einer ertragsteuerlichen Organschaft ratsam, auf die Prüfung des Jahresabschlusses der T-KapG nicht zu verzichten. Anderenfalls könnte den Steuerpflichtigen die einstweilige Kostenersparnis durch Verzicht auf die Abschlussprüfung bei der Organgesellschaft am Ende sehr teuer zu stehen kommen.

Mehr dazu

Kompaktwissen Beratungspraxis: Die umsatzsteuerliche Organschaft, 2. Auflage, www.datev.de/shop/35787

Zum Autor

PO
Prof. Dr. Peter Oser

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in Stuttgart

Weitere Artikel des Autors