Ein EU-Austritt des Vereinigten Königreichs hätte natürlich auch Folgen für Insolvenzen im internationalen Kontext. Jedoch würde selbst ein harter Brexit nicht zu unüberwindlichen Problemen führen.
Der nun zweimal verschobene Brexit dürfte – natürlich abhängig vom letztendlichen Ausgang der Verhandlungen – in den verschiedensten Rechtsgebieten Auswirkungen auf die Beratungspraxis haben. Das gilt nicht nur für das Steuer- oder Gesellschaftsrecht, sondern auch für das Insolvenzrecht. Faktische Auswirkungen der mit dem Brexit verbundenen Unsicherheiten zeichnen sich bereits jetzt ab: Presseberichten zufolge soll beispielsweise die Insolvenz der britischen Fluggesellschaft Flybmi zumindest auch durch die mit dem Brexit verbundenen Unwägbarkeiten verursacht worden sein. Im Insolvenzrecht würde der Brexit im Wesentlichen zwei Themenkreise berühren, die dem internationalen Insolvenzrecht zuzuordnen sind. Zum einen geht es um die internationale Zuständigkeit für die Durchführung von Insolvenzverfahren mit Bezug zum Vereinigten Königreich (UK), also um die Frage, welches Land – Großbritannien oder ein EU-Mitgliedstaat – für ein Insolvenzverfahren zuständig ist. Zum anderen geht es um die Frage der Anerkennung von Entscheidungen aus Insolvenzverfahren im UK oder in einem EU-Mitgliedstaat. Beide Fragenkreise haben eine hohe wirtschaftliche Bedeutung.
Internationale Zuständigkeit
Wird ein Insolvenzverfahren in England eröffnet, bestimmt grundsätzlich das englische Recht das weitere Verfahren.
Der internationalen Zuständigkeit für ein Insolvenzverfahren folgt auf erster Stufe grundsätzlich auch das anwendbare Insolvenzrecht beziehungsweise Insolvenzverfahrensrecht. Insbesondere das englische Insolvenzrecht wird von Marktteilnehmern häufig als sanierungsfreundlicher wahrgenommen. Wird ein Insolvenzverfahren in England eröffnet, bestimmt grundsätzlich das englische Insolvenzrecht den weiteren Verlauf des Verfahrens. Umgekehrt kann aus Sicht eines Gläubigers – beispielsweise mit Sitz in Deutschland – auch gerade ein Interesse daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren seines Schuldners nicht im Ausland, beispielsweise durch eine Sitzverlegung vor Insolvenzantragstellung, sondern in seiner Heimatrechtsordnung, hier: Deutschland, durchgeführt wird. Die Teilnahme an einem ausländischen Insolvenzverfahren ist regelmäßig mit erhöhtem Beratungsbedarf und dementsprechend mit höheren Transaktionskosten verbunden.
Anerkennung von Entscheidungen
Die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Entscheidungen aus einem Insolvenzverfahren kann beispielsweise dann von erheblicher Bedeutung sein, wenn der ausländische Insolvenzverwalter im Ausland Rechte der Insolvenzmasse durchsetzen möchte, weil das die Anerkennung der Eröffnungs- und Bestellungsentscheidung im Ausland voraussetzt. Aus Schuldnersicht ist die Anerkennungsfähigkeit beispielsweise relevant, wenn eine natürliche Person die im UK erlangte Restschuldbefreiung in Deutschland anerkannt wissen möchte. Da das englische Insolvenzverfahren im europäischen Vergleich als das verbraucherfreundlichste Verfahren angesehen wird, verlegen Schuldner immer wieder ihren Lebensmittelpunkt nach Großbritannien, um in den Genuss einer schnelleren Restschuldbefreiung zu kommen. Während in Deutschland eine Restschuldbefreiung regelmäßig erst nach einer Wohlverhaltensperiode von mindestens drei, in der Regel jedoch fünf Jahren erteilt werden kann, ist das in Großbritannien bereits nach zwölf Monaten möglich. Wird die Restschuldbefreiung jedoch im Herkunftsland des Schuldners nicht anerkannt, hätte der Schuldner sein Ziel – die Entschuldung – verfehlt.
Die Restschuldbefreiung gestalten
Aktuell würde eine Entscheidung über eine in England erteilte Restschuldbefreiung auf Basis der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) noch automatisch anerkannt, was auch noch für Altfälle gelten dürfte. Für Neufälle, also nach dem Brexit eingeleitete Insolvenzverfahren, würde dies allerdings nicht mehr gelten, soweit ein künftiges Austrittsabkommen nichts Abweichendes regelt. Die europarechtlichen Anerkennungsregeln der EuInsVO gelten jedenfalls ausschließlich im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander und nicht gegenüber Nichtmitgliedstaaten. Bei einem ungeordneten Brexit würden englische insolvenzrechtliche Entscheidungen (Eröffnungsentscheidung, Restschuldbefreiung) weiter nach den jeweiligen nationalen Anerkennungsregeln behandelt werden. In Deutschland würde das zur Anwendbarkeit der Vorschrift des § 343 InsO führen mit der Folge, dass ein deutsches Gericht (anders als nach der EuInsVO) unter anderem zu prüfen hätte, ob das englische Gericht die sogenannte Anerkennungszuständigkeit besessen hat. Dies ist der Fall, wenn das englische Gericht unter Zugrundelegung deutscher Maßstäbe zuständig war. Es geht insoweit nicht um eine Richtigkeitskontrolle der Entscheidung; vielmehr soll geprüft werden, ob die Bejahung der Zuständigkeit durch die ausländischen Gerichte mit dem deutschen Zuständigkeitssystem im Einklang steht. So muss insbesondere abgewartet werden, ob deutsche Gerichte bei Restschuldbefreiungstouristen im Einzelfall höhere Anforderungen an die Verlagerung des Lebensmittelpunkts stellen werden. Im Extremfall könnte dies dazu führen, dass ein deutsches Gericht die Anerkennungszuständigkeit verneint und infolgedessen beispielsweise die englische Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht anerkennt.
Scheme of Arrangement
Mit Blick auf Unternehmensinsolvenzen stellt sich weiter die Frage, welche Auswirkungen der Brexit auf das in der Praxis beliebte und bewährte Scheme of Arrangement (SoA) nach englischem Recht haben würde. Die deutsche Rodenstock GmbH hat sich beispielsweise des SoA – bestätigt durch den High Court of Justice – als Sanierungsinstrument bedient. Ein SoA kann zwar auch zu nicht insolvenzbedingten Restrukturierungsvorhaben eingesetzt werden; es setzt also anders als ein Insolvenzverfahren keine (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder Ähnliches voraus, wird aber regelmäßig in Insolvenzsituationen angewandt. Bei ausländischen Unternehmen kommt ein SoA bei hinreichendem Bezug zum UK sowie unter anderem dann in Betracht, wenn sichergestellt ist, dass das SoA in der Rechtsordnung des Herkunftslands des Schuldners durchsetzbar ist. Da ein SoA als nicht insolvenzabhängiges Restrukturierungsinstrument nicht der EuInsVO, sondern der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments sowie des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) unterfallen dürfte, würde sich bei einem harten Brexit die Frage stellen, ob ein britisches SoA überhaupt noch im Ausland anerkannt wird. Die Entwicklung bleibt insoweit abzuwarten, wobei in diesem Zusammenhang anzumerken ist, dass das (insolvenznahe) SoA gegebenenfalls auch durch das geplante unionsrechtliche vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren, zu dem bislang allerdings nur ein (nicht verbindlicher) Richtlinienvorschlag existiert, an Bedeutung verlieren könnte.
Fazit
Festzuhalten ist, dass auch ein harter Brexit – jedenfalls im internationalen Insolvenzrecht – nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten für den nationalen Rechtsanwender führen dürfte. Im Zentrum stehen Fragen der internationalen Zuständigkeit sowie der Anerkennung ausländischer Entscheidungen aus und im Zusammenhang mit ausländischen, hier englischen Insolvenzverfahren. Das deutsche internationale Insolvenzrecht sieht ein erprobtes Instrumentarium für die Bewertung und Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren aus Nichtmitgliedstaaten vor, auch wenn Detailfragen im Lichte des Brexits sicherlich neu betrachtet werden sollten und gegebenenfalls neu bewertet werden müssten.