Abgabenordnung - 15. Juli 2021

Wirtschaftliche Zurechnung bei Wertpapiergeschäften

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 - S-2134 / 19 / 10003 :007 vom 09.07.2021

Mit Urteil vom 18. August 2015 hat der BFH für Recht erkannt, dass das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, die im Rahmen einer sog. Wertpapierleihe an den „Entleiher“ zivilrechtlich übereignet wurden, ausnahmsweise beim „Verleiher“ verbleiben könne, wenn die zivilrechtliche Position des „Entleihers“ lediglich eine formale sei. Dies ergebe sich in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall aus den Bestimmungen der abgeschlossenen Leihverträge und der Art ihres Vollzugs. Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten bezugnehmend auf das BFH-Urteil vom 18. August 2015 für die wirtschaftliche Zurechnung bei Wertpapierleihen, Kassa-Geschäften und anderen Wertpapiergeschäften die folgenden Grundsätze:

I. Einordnung eines Wertpapierdarlehens („Wertpapierleihe“)

1 Bei der „Wertpapierleihe“ handelt es sich um ein Sachdarlehen (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 258). Durch den Sachdarlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer eine vereinbarte vertretbare Sache zu überlassen. Der Darlehensnehmer ist zur Zahlung eines Darlehensentgelts und bei Fälligkeit zur Rückerstattung von Sachen gleicher Art, Güte und Menge verpflichtet. Die Wertpapiere werden gegen Leistung eines Entgelts zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung (Übergang aller Rechte aus dem Papier, auch diejenigen Rechte zum Weiterverkauf oder zur Verpfändung) überlassen.

II. Wirtschaftliche Zurechnung

2 Im Grundsatz sind dem Darlehensnehmer als zivilrechtlichem Eigentümer die im Rahmen des Darlehens übereigneten Wertpapiere auch wirtschaftlich zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO, Grundfall). Maßgeblich ist hierfür die Ausübung der tatsächlichen Herrschaft in der Weise, dass er den Darlehensgeber im Regelfall und nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Einzelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Bei Aktien erlangt der Darlehensnehmer wirtschaftliches Eigentum ab dem Zeitpunkt, von dem ab er nach dem Willen der Vertragspartner über die Wertpapiere verfügen kann, i. d. R. sobald Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten, insbesondere die mit Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen, auf den Erwerber übergegangen sind.

3 Ob im Ausnahmefall eine wirtschaftliche Zurechnung beim Darlehensnehmer ausbleibt, ist im Rahmen einer Gesamtschau zu überprüfen. (…)

V. Anwendbarkeit

20 Dieses Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 11. November 2016 (BStBl I S. 1324) und ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF