Umsatzsteuer - 29. Dezember 2023

Umsatzsteuer bei Transfergesellschaften

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 29.12.2023 zum Zwischenurteil 1 K 2865/21 vom 16.03.2023 (nrkr - BFH-Az.: V R 10/23)

  1. Aufstockungsbeiträge zum bisherigen Gehalt (weiterbelastete Remanenzkosten), die der bisherige Arbeitgeber an eine Transfergesellschaft im Rahmen der Übernahme der Arbeitnehmer leistet, sind steuerbar sowie Teil des steuerpflichtigen Entgelts im Leistungsaustausch zwischen Transfergesellschaft – Alt-Arbeitgeber und keine durchlaufenden Posten.
  2. Die Leistungen der Transfergesellschaft an den Alt-Arbeitgeber (Übernahme Arbeitnehmer, Qualifizierungsmaßnahmen, Personalverwaltung…) stellen keine steuerfreien Dienstleistungen dar, weil sie nicht eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL verbunden sind.
  3. Im Gegensatz zu den Remanenzkosten stellen die an die Transfergesellschaft geleisteten Abfindungszahlungen wegen Auflösung der Arbeitsverhältnisse, die auf Ansprüchen beruhen, die beim Übergang der Arbeitnehmer durch die Transfergesellschaft fortbestehen und beim Ausscheiden aus der Transfergesellschaft fällig werden, bei der Transfergesellschaft durchlaufende Posten dar.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, die für Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen müssen, Transfergesellschaften i. S. des Sozialgesetzbuchs (SGB) III betreibt und eine Trägerzulassung nach § 178 Abs. 3 SGB III besitzt. Arbeitnehmer werden von der Transfergesellschaft in ein zeitlich befristetes Transferarbeitsverhältnis übernommen. Sie erhalten teilweise Zahlungen von der Agentur für Arbeit. Die Transfergesellschaften schließen jeweils dreiseitige Verträge mit dem Alt-Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Außerdem besteht regelmäßig eine Betriebsvereinbarung zwischen dem Betriebsrat und dem Alt-Arbeitgeber und ein Vertrag zur Durchführung des Interessenausgleichs und Sozialplans zwischen Transfergesellschaft und Alt-Arbeitgeber (Durchführungsvertrag).

Die Alt-Arbeitgeber zahlten an die Klägerin regelmäßig zunächst einen Verwaltungs- und Treuhandkostenzuschuss für die Durchführung der Personalverwaltung und Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Zusätzlich wurden der Klägerin Kosten für Profilingmaßnahmen (Erfassung der Arbeitnehmer und deren Qualifikationen) vergütet. Schließlich erhielt die Klägerin in den ersten zwölf Monaten nach Eintritt des Arbeitnehmers in die Transfergesellschaft Zahlungen zur Aufstockung des Transferkurzarbeitergeldes sowie anschließend die gesamten Lohn- und Gehaltskosten einschließlich zusätzlicher Arbeitgeberkosten (sog. Remanenzkosten, dazu zählten u. a. Urlaubsgeld, betriebliche Sonderzahlungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung). Die Beträge wurden über Treuhandkonten an die Arbeitnehmer ausgezahlt.

Die Klägerin stellte den Alt-Arbeitgebern Rechnungen, in denen auf die Verwaltungs- und Qualifizierungskosten 19 % Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Die anderen Beträge wurden nicht der Umsatzsteuer unterworfen, sondern als nicht steuerbar behandelt. Demgegenüber bewertete das beklagte Finanzamt die weiterbelasteten Remanenzkosten und die an Arbeitnehmer bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen gezahlten Abfindungen als umsatzsteuerpflichtig. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Aus den Gründen

Das Finanzgericht entschied, dass die von den Alt-Arbeitgebern an die Klägerin bezahlten Remanenzkosten Entgelt für eine steuerbare und steuerpflichtige Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber seien. Die Abfindungen gehörten als durchlaufende Posten dagegen nicht zum Entgelt.

Zwischenurteil

Der Senat habe durch Zwischenurteil lediglich über die Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Remanenzkosten entschieden, jedoch nicht über den Zeitpunkt der Steuerentstehung. Auf die Steuerentstehung würde es nicht ankommen, wenn der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis komme, dass die Remanenzkosten und die Abfindungen nicht zum Entgelt für eine Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber zählten. Sollten die Remanenzkosten und/oder die Abfindungen dagegen steuerpflichtiges Entgelt darstellen, müssten die Entgelte einschließlich der Anzahlungen den richtigen Besteuerungszeiträumen zugeordnet werden. Das sei vorliegend zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ohne weiteres möglich. Die Klägerin habe zwar die erhaltenen Anzahlungen beziffert, aber auch – nicht bezifferte – Rückzahlungen erwähnt.

Remanenzkosten sind steuerpflichtiges Entgelt

Die Remanenzkosten seien Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG. Neben den hier unstreitigen Regiekosten und Qualifizierungskosten seien auch die von der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber weiterbelasteten Remanenzkosten Teil des Entgelts für eine Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber.

Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber

Die Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber erschöpfe sich nicht in der Durchführung der Personalverwaltung und der Lohn- und Gehaltsabrechnungen, sondern umfasse auch die Übernahme der Beschäftigungsverhältnisse. Die Überführung der Arbeitnehmer in eine „betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit“ (im Streitfall die Klägerin als gesellschaftsrechtlich selbstständige Transfergesellschaft i. S. des § 111 Abs. 3 Satz 2 SGB III) sei nach § 111 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB III Bedingung für die Zahlung des Transferkurzarbeitergeldes und liege im Interesse der Alt-Arbeitgeber, die andernfalls unter Beachtung der Vorgaben der Sozialauswahl betriebsbedingte Kündigungen aussprechen müssten. Die Alt-Arbeitgeber würden von den bisherigen Pflichten wie Lohnzahlung, Gewähren des Urlaubsanspruchs, Fortführung der betrieblichen Altersversorgung etc. befreit und könnten sich so am Markt besser positionieren, d. h. Sachmittel des abgebenden Unternehmens oder Teile hiervon ohne bestehende Arbeitsverhältnisse auf einen Dritten übertragen. Die Bezeichnung der Klägerin als „Transfergesellschaft“ verdeutliche ihren wesentlichen Zweck.

Die Leistungsempfänger (Alt-Arbeitgeber) würden die Remanenzkosten als weiteren Anreiz aufbringen, um Arbeitnehmern den Übergang in die Transfergesellschaft schmackhaft zu machen. Da die Transfergesellschaft selbst über kein Kapital zur Zahlung der Aufstockungsbeträge verfüge, müsse dieses von den Alt-Arbeitgebern aufgebracht werden. Unerheblich sei, dass die Klägerin die Remanenzkosten ohne Gewinnaufschlag als eine Art Aufwendungsersatz 1:1 an die Alt-Arbeitgeber weiterbelaste. Ohne Bedeutung sei auch, dass die Klägerin keinen Einfluss auf die Höhe der Aufstockungsbeträge habe; gleichwohl seien ihr diese bei Abschluss der Vereinbarungen bekannt.

Unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung

Die Leistung der Klägerin an die Alt-Arbeitgeber beruhe auf einem zwischen diesen Personen bestehenden Rechtsverhältnis. Der Durchführungsvertrag zwischen der Klägerin und B vom … und die entsprechenden anderen Durchführungsverträge regelten sowohl die Übernahme der Arbeitsverhältnisse durch die Klägerin als auch die Übernahme der Remanenzkosten durch B. Im Gleichklang mit dem Durchführungsvertrag werde das Arbeitsverhältnis zwischen dem Alt-Arbeitgeber mit Abschluss des Dreiseitgen Vertrags beendet und mit der Klägerin als Transfergesellschaft neu begründet. Den in die Transfergesellschaft wechselnden Arbeitnehmern sei zwar bekannt, dass der Alt-Arbeitgeber letztlich für die Remanenzkosten aufkommt; dies ändere aber nichts daran, dass der Arbeitsvertrag, aus dem der Anspruch auf die Aufstockungsbeträge erwachse, ausschließlich zwischen der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer bestehe.

Bei dem Arbeitsverhältnis zwischen der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer handele es sich selbst dann um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, wenn „Kurzarbeit Null“ vereinbart sei. Sollte tatsächlich – wie von der Klägerin behauptet – das Transferkurzarbeitergeld durch den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Alt-Arbeitgeber und/oder das Bestehen eines Aufstockungsanspruchs allein gegen den Alt-Arbeitgeber gefährdet sein, hätten die Vertragsbeteiligten diese Gefahr jedenfalls durch einen – auch für den Arbeitnehmer unmissverständlichen – Übergang des Arbeitsverhältnisses vom Alt-Arbeitgeber auf die Transfergesellschaft gebannt.

Das durch den Durchführungsvertrag zwischen der Klägerin und den Alt-Arbeitgebern für die umsatzsteuerliche Beurteilung maßgebende Rechtsverhältnis werde nicht durch die Betriebsvereinbarung zwischen B und dem Betriebsrat vom … überlagert oder verdrängt. In der Betriebsvereinbarung wird zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile infolge der Stilllegung des Werkes nicht die Zahlung der Aufstockungsbeträge an die Arbeitnehmer als Entschädigung vereinbart, sondern – neben einer Abfindung – die Ermöglichung der Teilnahme an einer Transfergesellschaft.

Remanenzkosten keine durchlaufenden Posten

Die weiterbelasteten Remanenzkosten seien für die Klägerin keine durchlaufenden Posten. Vorliegend bestehe mit dem Durchführungsvertrag eine direkte vertragliche Beziehung zwischen der Klägerin und den Alt-Arbeitgebern, auf dessen Grundlage die weiterbelasteten Remanenzkosten als Entgelt zu beurteilen seien. Daher könnten die Remanenzkosten für die Klägerin keine durchlaufenden Posten sein.

Abfindungen sind durchlaufende Posten

Anders verhalte es sich mit den Abfindungen, die für die Klägerin durchlaufende Posten seien. Abfindungsansprüche würden in allen Varianten dem Arbeitsverhältnis mit dem Alt-Arbeitgeber zugewiesen, die Klägerin könne lediglich als Zahlstelle fungieren. Die Abfindungen seien im Wesentlichen im früheren Arbeitsverhältnis mit dem Alt-Arbeitgeber erdient und erhöhten sich z. B. insbesondere durch eine längere Verweildauer in der Transfergesellschaft nicht mehr. Die Klägerin habe die Berechnung und Auszahlung der Abfindungszahlungen nur deshalb übernommen, weil sie nach dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf sie im Besitz der hierfür erforderlichen Daten gewesen sei. Der Unterscheidung zwischen Aufstockungsbeträgen (Entgelt) und Abfindungszahlungen (kein Entgelt) entspreche es, dass Arbeitnehmer hinsichtlich der Aufstockungsbeträge zivilrechtlich die Transfergesellschaft verklagen.

Keine Steuerbefreiung

Die Leistungen der Klägerin seien nicht als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der MwStSystRL steuerfrei, weil sie hierfür nicht unerlässlich seien. Die Errichtung einer Transfergesellschaft einschließlich der Übernahme der Arbeitsverhältnisse sei zunächst gegenüber den Leistungsempfängern – den Alt-Arbeitgeber – keine Maßnahme der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit, da für diese im Vordergrund stehe, die Arbeitnehmer freizusetzen, um die Sachmittel des Unternehmens ohne bestehende Arbeitsverhältnisse auf einen Dritten übertragen zu können. Die demnach steuerbaren und steuerpflichtigen Remanenzkosten seien nach Auffassung des Senats als Nettobeträge der Besteuerung zu Grunde zu legen.

Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 2/2023