EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie - 27. Oktober 2022

Eine Frage des Bewusstseins

Die Europäische Union hat eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf den Weg gebracht. So essenziell nachhaltiges Wirtschaften auch ist, so wichtig ist zugleich, die Bürokratie für mittelständische Unternehmen nicht ausufern zu lassen.

Das Adjektiv „nachhaltig“ geht uns inzwischen täglich und wie von selbst über die Lippen – in den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Gleich, ob jemand einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt, sich für nachhaltiges Wirtschaften einsetzt oder ob ein Produkt im Supermarkt mit einem Label für nachhaltige Herstellung ausgezeichnet ist: Die Nachhaltigkeit hat in unsere Alltagssprache längst Einzug gehalten. Auf der einen Seite ist dies ein gutes Zeichen, denn nur Entwicklungen, die immer wieder in unserem Leben eine Rolle spielen, tauchen auch in unsere Sprache, in unseren Wortschatz ein. Auf der anderen Seite besteht manchmal die Gefahr, dass wir etwas zu gedankenlos mit dem Thema umgehen. Es ist wichtig, immer wieder zu hinterfragen und sich die eigentliche Bedeutung klarzumachen. Anlass dazu bietet derzeit die EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie, offiziell Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Mitte Juni haben sich der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament auf die neuen Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung geeinigt. Mit der Richtlinie wird der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen erweitert – stufenweise eingeführt ab dem Geschäftsjahr 2024 für Firmen, die bereits heute der CSR-Richtlinie unterliegen. 2025 fallen alle großen Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenfalls unter die Bestimmungen und ab 2026 sind darüber hinaus börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Sie alle müssen ihre Nachhaltigkeitsinformationen zukünftig in einem klar ausgewiesenen eigenen Abschnitt des Lageberichts nach verpflichtend anzuwendenden EU-Berichterstattungsstandards offenlegen. Und sie müssen die Wirksamkeit ihrer selbst gewählten Maßnahmen regelmäßig überprüfen.

Nachhaltiges Wirtschaften als Pflichtaufgabe für Unternehmen

Die neuen Berichtspflichten haben dem Grunde nach und mit Blick auf eine gesamteuropäische Nachhaltigkeitsperspektive ihre Berechtigung. Schließlich hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden – hierzu sollen auch Unternehmen mit nachhaltigem Wirtschaften ihren Teil beitragen: Welche Auswirkungen das ökonomische Agieren der Betriebe auf Menschen und Umwelt hat, soll sich in den Berichtspflichten widerspiegeln. Dass Nachhaltigkeit mehr ist als Umweltschutz, demonstriert auch dieses Vorhaben. Ziel ist, Unternehmen zum ressourcenschonenden Wirtschaften zu animieren. Aber auch soziale Belange – etwa die Einhaltung der Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen – spielen eine große Rolle. Damit diese und andere Elemente nachhaltigen Wirtschaftens von der ganzen Breite der Unternehmen erkannt werden, sollen entsprechende Auskunfts- und Berichts pflichten für die Thematik und deren Umsetzung sensibilisieren.

Verantwortung – durch die Lieferkette gereicht

Die geplante Richtlinie wird mittelbar auch kleinere Unternehmen treffen – und damit Mandanten aus zahlreichen Kanzleien. Denn Kunden, vor allem Auftraggeber aus der Lieferkette und auch Geldgeber, dürften immer häufiger vor Vertragsabschluss verlangen, dass die eigenen Nachhaltigkeitsbemühungen offengelegt werden. Es ist zu erwarten, dass immer öfter Zulieferer in der Verantwortung stehen, eine nachhaltige Herstellung zu kontrollieren – und dies gegenüber den Vertragspartnern zu dokumentieren. Es ist sicher richtig, dass diese Entwicklung bisher noch nicht in sämtlichen kleinen Unternehmen aus Handel und Handwerk angekommen ist. Jedoch ist damit zu rechnen, dass diese Aspekte sowohl in der Außenwirkung als auch in der tatsächlichen Kundenbeziehung immer wichtiger werden. Und sie werden nun durch die gesetzlichen Verpflichtungen zur Berichterstattung formalisiert. Das sind Informationen, die teilweise jetzt schon von Banken angefragt werden, wenn es um die Vergabe bestimmter Kredite geht. Und hier werden die Schwierigkeiten erkennbar, die Unternehmen haben, wenn es darum geht, ihre Bemühungen um nachhaltiges Agieren in messbaren Faktoren sichtbar zu machen.

Erheblicher bürokratischer Aufwand für KMU

Allein die Vielzahl an Berichterstattungsstandards ist schon problematisch. Dazu kommt der erhebliche bürokratische Aufwand für kleinere Unternehmen, die in der Regel keine eigene Abteilung für derartige Aufgaben haben. Zudem erscheint es illusorisch, dass jedes noch so kleine Unternehmen einen eigenen Nachhaltigkeitsbeauftragten einstellt. So essenziell nachhaltiges Wirtschaften ist, so wichtig ist zugleich, die Dokumentationsprozesse dafür schlank zu halten und KMU die entsprechenden Tools zur Verfügung zu stellen. DATEV hat sich daher dafür eingesetzt, dass es für kleine und mittlere Unternehmen vereinfachte Berichtsstandards geben sollte, die für eine freiwillige Offenlegung sowie im Rahmen der Lieferkette genutzt werden können. Inhaltlich kann sich dieser Standard an den Bedürfnissen der Berichtenden beziehungsweise der Berichtsempfänger ausrichten – wobei der Deutsche Nachhaltigkeitskodex eine ideale Blaupause für einen notwendigen KMU-Standard liefert. Unser Berufsstand kann den Mandanten hier auf vielfältige Weise zur Seite stehen, nicht nur in der geforderten Aufgabe des prüfenden Dritten, sondern auch aus der Perspektive des umsichtig Beratenden. Sie können den betroffenen Unternehmen helfen, sich frühzeitig mit den Nachhaltigkeitsanforderungen auseinanderzusetzen und sich bestmöglich auf die Veränderungen vorzubereiten. Damit das Wort „nachhaltig“ tatsächlich und im besten Sinne im Bewusstsein aller Wirtschaftsteilnehmer verankert wird.

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Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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