Künstliche Intelligenz, gesellschaftliche Veränderungen bis zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und erwartbare Harmonisierungs- und Standardisierungsbestrebungen der Europäischen Union verändern Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung gravierend. Um diese Auswirkungen zu untersuchen, hat DATEV mit Strategion eine Studie durchgeführt. DATEV-Geschäftsleitungsmitglied Dr. Lars Meyer-Pries und Jens Groß, Leiter des Bereichs Wirtschaftsprüfung, erläutern im Interview die Ergebnisse.
Das Interview führte Carsten Seebass
Regulatorische Änderungen und vor allem auch der Fachkräftemangel wirken sich auf den Berufsstand, besonders auf die Wirtschaftsprüfung, aus. Wenn sich Buchführungsprozesse deutlich verändern, etwa durch zunehmende Digitalisierung, Automatisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), dann werden sich auch die prüfenden Tätigkeiten deutlich verändern. Je stärker Erstellungsprozesse der Buchführung automatisiert werden, desto mehr systemorientierte Prüfungsansätze drängen sich auf. Das hat Rückwirkungen auf alle am Buchführungs- und Abschlusserstellungsprozess Beteiligten.
DATEV hat mit Prof. Dr. Oliver Thomas eine Studie durchgeführt, um diese Veränderungen und Weiterentwicklungen in der Zusammenarbeit von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und der Buchhaltung von Mandanten zu untersuchen. Die Ergebnisse der Studie beschreiben, wie sich die Berufsfelder entwickeln könnten, wobei das Hauptaugenmerk auf der Wirtschaftsprüfung lag. So ergaben sich die folgenden vier möglichen Entwicklungsverläufe. Als plausibel und möglich erscheint demnach,
- dass digitale Innovationen zur Entwicklung eines ganz neuen Erstellungs- und Prüfungsansatzes führen werden.
- dass digitale Innovationen bei gleichbleibendem Prüfungsansatz für die Jahresabschlussprüfung lediglich eine zunehmende Automatisierung der deklaratorischen und prüfenden Tätigkeit bewirken werden.
- dass das Berufsfeld weitgehend unverändert bleibt und es sich durch digitale Innovationen nur selektiv verändern wird.
- dass aufgrund der Ablehnung digitaler Innovationen die Relevanz des gesamten Berufsfelds abnehmen wird.
Schließlich bewerteten Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Unternehmen in einer repräsentativen Umfrage diese vier Szenarien hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit. Die Ergebnisse unterscheiden sich unter den Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Mandanten nicht wesentlich. Die beiden ersten Szenarien erschienen den Befragten am plausibelsten. Mit Blick auf den Befragungszeitraum im Sommer 2022, den zwischenzeitlichen Markteintritt von ChatGPT und die großen Fortschritte zwischen den Versionen ist davon auszugehen, dass die Zustimmung zu den beiden ersten Szenarien heute noch wesentlich deutlicher ausfallen würde. Flankiert wird die Erwartung an einen vermehrten Einsatz von KI aber zugleich auch durch die Wahrnehmung der mit ihr einhergehenden neuen Skills, wie veränderte oder völlig neue Prüfungs- und Erstellungsprozesse, veränderte Arbeitsabläufe und eine veränderte Aufgabenteilung zwischen Technologiewerkzeugen und Fachkräften.
KI und Digitalisierung
Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer sind davon überzeugt, dass sich die prüfenden Tätigkeiten durch digitale Innovationen ändern werden. Sogar der gesamte Erstellungs- und Prüfungsansatz, wie erstellungszeitpunktnahe, kontinuierliche Prüfung, automatisierte Finanzbuchhaltung, IT-gestützte Prüfungswerkzeuge, werden in 10 bis 15 Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit vollkommen anders aussehen als heute. Steuerberater und Buchhalter sind vom Potenzial der KI für diese Prüfungen überzeugt. Wirtschaftsprüfer sind hier etwas skeptischer, allerdings auch mit einer positiven Tendenz.
Harmonisierung von Systemen
Konnektoren und Schnittstellen zwischen den Systemen aller Berufsgruppen werden einen steten Zugang zu Buchhaltungs- und prüfungsrelevanten Daten und eine automatisierte Datenextraktion ermöglichen, was mit vermehrter Software- Nutzung zur Unterstützung sowohl der Erstellungs- als auch der Prüfungsprozesse einhergeht.
Fachkräfte
Wenn Buchungsdaten weitgehend autonom durch Systeme erstellt werden, schwinden manuelle zugunsten überwachender Tätigkeiten, wodurch auch die Bedeutung von Vollerhebungen zugunsten von Systemprüfungen zurückgeht. Dies wiederum steigert zwangsläufig die Bedeutung der leistungserstellenden IT, erhöht damit die Verantwortung von deren Anbietern. Gleichzeitig fordert eine solche Entwicklung neue Spezialkenntnisse vom Prüfenden. IT-Know-how wird somit zur Schlüsselkompetenz.
Regulierung
Gerechnet wird eher mit komplizierteren relevanten Normen, die auf die Erstellungs- und Prüfungsprozesse wirken und somit in den kommenden 10 bis 15 Jahren Einfluss auf deren Digitalisierung und Automatisierung haben werden. Mit einer Vereinfachung der gesetzlichen Vorgaben, die das Berufsfeld betreffen, wird eher nicht gerechnet.
DATEV magazin: Welche Tätigkeiten werden sich speziell für den Berufsstand des Wirtschaftsprüfers durch digitale Innovationen und den erwartbaren Einzug der KI ändern? Sind Wirtschaftsprüfer ausreichend darauf vorbereitet?
DR. LARS MEYER-PRIES: Der Berufsstand wird in den nächsten Jahren vor vielfältigen Herausforderungen stehen, wobei die in der Studie untersuchten IT- und KI-Einflüsse nur ein Aspekt sind. Wir erwarten aus heutiger Sicht vor allem eine Verlagerung der Tätigkeiten von der einzelfallorientierten Prüfung zur systemorientierten Prüfung. Auch wenn heutige IT-Werkzeuge zunehmend einfache Massenprüfungen, zum Beispiel von Buchungssätzen, erlauben, wird die zunehmende Determiniertheit der IT-gestützten Erstellungsprozesse am langen Ende zu deutlich stärker betonten Systemprüfungsansätzen führen – und zwar sowohl aus risikoorientierter als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Voraussetzung dafür ist unter anderem ein tieferes Verständnis der ausführenden Systeme und von deren Wirkzusammenhängen. Das heißt, der Berufsstand und insbesondere die Prüfung werden sich zunehmend mit der Art und Weise sowie mit der Qualität und Zuverlässigkeit von KI-Systemen und weniger mit dem massenhaften Output dieser Systeme beschäftigen müssen. Auch wenn der risiko- und der systemorientierte Prüfungsansatz nicht neu sind, müssen sich alle Beteiligten hier dennoch vor dem Hintergrund der KI anpassen. Vor allem auch deshalb, weil aktuelle Prüfungswerkzeuge einen besonderen Schwerpunkt auf Voll- und Stichprobenprüfungen legen.
Herr Groß, Sie verantworten die DATEV-Produkte für die Wirtschaftsprüfung. Stichworte Harmonisierung von Systemen, Schnittstellen, kontinuierlicher Datenzugang und Datenextraktion: Wie passt diese Entwicklung, sollte sie wie erwartet eintreten, mit der DATEV-Portfolioentwicklung zusammen?
JENS GROSS: Die in der Studie skizzierte Entwicklung ist keine Überraschung für uns. Unsere Produkt-Roadmap wird kontinuierlich überprüft und aktualisiert, sodass wir die Entwicklungen im Bereich KI bereits antizipieren und an Lösungen arbeiten, KI in unsere Produkte zu integrieren und die Interaktion der Systeme untereinander darauf abzustimmen.
Wie wird DATEV-Software im Vergleich zu heute die Erstellungs- und Prüfungsprozesse in Zukunft unterstützen?
JENS GROSS: Auch in Zukunft wird DATEV-Software unsere Mitglieder und Kunden bestmöglich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Mit zunehmender Digitalisierung und Automatisierung werden auch unsere Produkte dazu beitragen, die Prozesse noch effizienter zu gestalten.
IT-Fachkenntnisse werden zunehmend zur Schlüsselqualifikation auf einem schrumpfenden Fachkräftemarkt. Was empfehlen Sie in diesem Zusammenhang, was den Aufbau von Skills, aber auch die Gewinnung von Fachkräften angeht?
DR. LARS MEYER-PRIES: Der Fachkräftemangel ist eine der zentralen Herausforderungen für den Berufsstand. Die Ansatzpunkte zu dessen Abmilderung sind vielfältig. Dabei kann zum Beispiel eine Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber sehr gut durch den gezielten Aufbau und die Bindung von Kompetenzen im Bereich der neuen Technologien flankiert und beim Recruiting erfolgreich platziert werden. Der prüfende Berufsstand wird nach meiner Überzeugung wie bereits heute schon auch in Zukunft attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, wenn der Berufsbildwandel erfolgreich gestaltet werden kann – etwa mit Blick auf IT- und KI-Einsatz sowie neue Betätigungsfelder wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung und deren Prüfung. Wir werden unsere Mitglieder dabei gezielt unterstützen.
Stichwort Regulierung: Gesetzliche Änderungen werden auch in Zukunft den Berufsstand vor massive Herausforderungen stellen. Welche berechtigten Erwartungen kann er an DATEV stellen?
DR. LARS MEYER-PRIES: DATEV wird auch in Zukunft der zuverlässige Partner und Dienstleister sein, mit dem unsere Mitglieder ihre Aufgaben effizient, zielgerichtet und zum Wohle ihrer Mandanten erfüllen können. Es gehört ja quasi zur DNA unseres genossenschaftlichen Auftrags, Wegbereiter bei der Vorbereitung und der Adaption der technologischen und regulatorischen Entwicklungen für den Berufsstand zu sein.
JENS GROSS: Was unsere Produkte angeht, sind wir bestrebt, auch in Zukunft ein volles Leistungsspektrum für die Tätigkeiten des Berufsstands anzubieten. Ein bedeutender Schwerpunkt für den Berufsstand wird das Nachhaltigkeits- und ESGReporting werden – ebenso wie die in diesem Zusammenhang anfallenden Prüfungshandlungen. Dazu entwickeln wir unsere Produkte kontinuierlich weiter, integrieren neue Technologien und liefern auf den Punkt, damit sich die Mitglieder auf ihre Kernaufgaben und die Betreuung ihrer Mandanten fokussieren können.
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