Arbeitsrecht - 23. Februar 2017

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Der EU-Austritt Großbritanniens könnte Auswirkungen auf die bisherige Praxis des grenzüberschreitenden Personaleinsatzes ins Vereinigte Königreich haben.

Nachdem am 23. Juni 2016 die Mehrheit der Wähler mit 51,89 Prozent der Stimmen für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gestimmt haben, kommen zahlreiche Fragen nach den Auswirkungen des Brexit auf. Neben beispielsweise wirtschaftlichen und steuer­recht­lichen Folgen bedarf es auch einer Analyse hinsichtlich etwaiger Auswirkungen des Brexit auf den grenzüberschreitenden Personaleinsatz.

Sozialversicherungsrechtliche Aspekte

Während der Austrittsverhandlungsphase gilt hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung entsandter Mitarbeiter innerhalb der EU die EU-Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 vom 1. Mai 2010 unverändert weiter. Sie findet zusammen mit der zu ihr ergangenen Durch­füh­rungs­ver­ord­nung VO (EG) Nr. 987/2009 seit dem 1. Mai 2010 im Verhältnis zu den EU-Mitgliedstaaten Anwendung und dient der Koordination der Systeme zur sozialen Sicherheit in Europa sowie dem Schutz der Sozialversicherungsansprüche bei Personaleinsätzen in anderen Mitgliedstaaten. Aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt beispielsweise, dass bei Entsendungen von Arbeitnehmern in einem anderen EU-Mitgliedstaat, die voraussichtlich die Höchstdauer von 24 Monaten nicht überschreiten, die Rechtsvorschriften des Entsendestaats so weiter gelten, als wäre der Arbeitnehmer weiterhin dort beschäftigt, sofern er nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst. Ferner gilt für Arbeitnehmer, die gewöhnlich in mehreren EU-Mitgliedstaaten für mehrere Arbeitgeber tätig sind, die ihren Sitz in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten haben, dass sie ins­ge­samt den Rechtsvorschriften des jeweiligen Wohnstaats unterliegen. Ist der Arbeitnehmer nur für einen Arbeitgeber in mehreren EU-Mitgliedstaaten tätig, gilt das gleichermaßen, wenn er im Wohnstaat einen wesentlichen Teil seiner Arbeit leistet. Ansonsten gelten die Sozialgesetze des EU-Mitgliedstaats, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Nach dem endgültigen EU-Austritt Großbritanniens müsste entschieden werden, ob eine An­wen­dung der genannten EU-Verordnungen bezüglich des sozialversicherungsrechtlichen Status grenzüberschreitend tätiger Arbeitnehmer nach Großbritannien noch infrage kommt. Die zukünftige Handhabung dürfte davon abhängig sein, welchen Status Großbritannien künftig einnehmen wird. Sollte sich Großbritannien nach dem EU-Austritt dazu entscheiden, dem EWR beizutreten, dürften sich keine relevanten Änderungen für die bisherige Praxis der sozial­ver­siche­rungs­recht­lichen Behandlung von entsandten Mitarbeitern ergeben. Denn die EU-Verordnungen zur sozialen Sicherheit finden auch in allen EWR-Staaten Anwendung. Nach vollzogenem EU-Austritt Großbritanniens wäre auch ein Wiederaufleben des bereits 1960 geschlossenen deutsch-britischen Abkommens über Soziale Sicherheit denkbar. Dieses Abkommen ist seit dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) am 1. Januar 1973 nicht unmittelbar anwendbar, da die EU-Verordnungen zur sozialen Sicherheit seitdem Vorrang haben. Es bleibt abzuwarten, welche Bedeutung das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Großbritannien nach den Austrittsverhandlungen haben wird.

Aufenthaltsrechtliche Auswirkungen

Der Austritt Großbritanniens aus der EU kann auch Auswirkungen auf das Aufenthaltsrecht haben. Bisher gelten noch die Bestimmungen des Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV):

  1. Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
  2. Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
  3. Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht,
  • sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;
  • sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;
  • sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staats geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;
  • nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt.

Somit gilt bei Entsendungen nach Großbritannien für Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaats die Arbeitnehmerfreizügigkeit; folglich ist keine Beantragung einer Aufenthalts- oder Arbeits­er­laub­nis erforderlich. Für den Fall, dass Großbritannien nach vollzogenem Austritt einen Dritt­staat­status einnehmen sollte, würde die Entsendung deutscher Arbeitnehmer nach Großbritannien einen entsprechenden vorgeschalteten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisprozess erfordern. Das könnte den bisherigen Entsendungsprozess in der Praxis erschweren. Zeit­aufwendige Visums­ver­fahren würden gegebenenfalls zeitkritischen Geschäftsentscheidungen entgegenstehen.

Fazit

Durch den EU-Austritt Großbritanniens könnten sich Änderungen für Arbeitnehmer ergeben, die grenzüberschreitend im Vereinigten Königreich tätig sind. Der Umfang aller Auswirkungen mit Blick auf die Sozialversicherung bei einem Auslandseinsatz in Großbritannien sowie die auf­ent­halts- und arbeitsrechtlichen Aspekte sind derzeit noch nicht absehbar. Alles ist abhängig vom zukünftigen Status Großbritanniens, der zukünftigen Bedeutung des deutsch-britischen Sozial­versicherungsabkommens oder etwaiger sonstiger Assoziationsformen Großbritanniens im Ver­hältnis zur EU.

Zur Autorin

Aziza Yakhloufi

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht sowie Handels- und Gesellschaftsrecht, Associate Partner. Sie leitet die Niederlassung von Rödl & Partner am Standort Eschborn bei Frankfurt am Main.

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