Steuerrecht - 23. Februar 2017

Vorbereitet sein

Der britische EU-Austritt wird nicht nur die Wirt­schafts­be­zie­hungen zwischen Euro­pä­ischer Union und Vereinigtem Königreich tangieren, sondern auch steuerliche Aus­wir­kun­gen für deutsche Unternehmen haben.

Bisher galt innerhalb der EU der Grundsatz: Alles, was gegen die vier Grundfreiheiten des euro­päischen Binnenmarkts (freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital) verstieß, war grundsätzlich verboten. Das geht nach der Rechtsprechung des EuGH sogar so weit, dass Verluste, die in einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat aufgelaufen waren, dort aber nicht geltend gemacht werden konnten, in einem anderen Mitgliedstaat abziehbar sein müssen (EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-141/99 AMID/Königreich Belgien). Welche steuerlichen Folgen und betriebswirtschaftlichen Auswirkungen wird nun der Antrag nach Art. 50 des EU-Vertrags der Regierung Ihrer Majestät haben? Und wie wird dieser Austrittsantrag umgesetzt? Ein ehrlicher Berater muss beide Fragen gleich beantworten: Wir wissen es nicht. Für die Beratungspraxis gilt es daher, sich auf verschiedene Szenarien und Lösungsmöglichkeiten einzustellen. Dies gilt auch nach der bisher einzigen konkreten und zumindest offiziösen Rede der britischen Premier­mi­nis­terin, Theresa May, am 17. Januar 2017 im Lancester House, London.

Berufsrecht

Die Auswirkungen beginnen beim Steuerberater beziehungsweise Wirtschaftsprüfer selbst. Denn die meisten Berufshaftpflichtversicherungen begrenzen den Versicherungsschutz auf das Gebiet der Mitgliedstaaten der EU. Wenn Großbritannien nicht mehr dazugehört, aber Mandate einen Bezug zum Vereinigten Königreich aufweisen, gilt nach dem nach Medienberichten angestrebten harten Brexit das Gleiche wie für Mandate mit einem Bezug zu den USA oder Kanada: entweder den Versicherungsschutz erweitern oder das Mandat beenden beziehungsweise ablehnen. Änderungen ergeben sich auch beim Zugang zum Beruf. So sind Hochschulabschlüsse aus EU-Staaten, dem EWR-Abkommen oder dem Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz grundsätzlich deutschen Abschlüssen für den Zugang zum Berufsexamen gleichgestellt (siehe beispielsweise WPH I 2012, A12 für den Wirtschaftsprüfer), aber nicht für Examina aus Drittstaaten. Betroffen ist aber ebenfalls die grenzüberschreitende Berufsausübung. So entschied der EuGH (Urteil vom 17.12.2015 – C-342/14, X-Steuerberatungsgesellschaft/FA Hannover-Nord), dass die deutsche Finanzbehörde eine nach dem Recht eines anderen EU-Staats anerkannte Steuer­be­ra­tungs­ge­sell­schaft nicht ohne weitere Prüfung zurückweisen dürfe. Dieses Privileg fällt mit dem EU-Austritt weg.

Umsatzsteuer

In der täglichen Buchhaltungsarbeit offensichtlich und aufgrund der Masse der Fälle wohl wichtigste Auswirkung ist die Veränderung der umsatzsteuerlichen Landkarte. Nach derzeitigem Rechtsstand ist das Vereinigte Königreich EU-Ausland (übriges Gemeinschaftsgebiet, § 1 Abs. 2a Satz 1 UStG). Mit dem Austritt wird Großbritannien möglicherweise Drittlandsgebiet (§ 1 Abs. 2a Satz 3 UStG). In der wörtlichen Protokollierung der Rede der Premierministerin heißt es, dass ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen werden soll. Dieses soll jedoch nur auf einzelne Industrien und Dienstleistungen begrenzt werden, etwa Finanzdienstleistungen und Automobilindustrie. An anderer Stelle betont die Regierungschefin, dass sie keine Zollunion mit der EU haben möchte. Dann sagt sie aber, dass sie sich eine zollrechtliche Vereinbarung vorstellen könnte, um wiederum auszuführen, dass sie hierzu keine „vorgefasste Meinung“ (preconceived position) hat. Nach aktueller Rechtslage ist die Lieferung von und nach Großbritannien umsatz­steuer­freie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1b UStG in Verbindung mit § 6a UStG) beziehungsweise umsatzsteuerbare innergemeinschaftlicher Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG). Wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten ist, wird es sich um eine umsatzsteuerfreie Aus­fuhr­lie­fe­rung oder Lohnveredelung an Gegenständen der Ausfuhr (§ 4 Nr. 1a UStG in Verbindung mit § 6 beziehungsweise § 7 UStG) handeln. Die Einfuhr von Gegenständen (schottischer Whisky oder britische Kfz aus britischen Fabriken) unterliegt dann grundsätzlich der Einfuhrumsatzsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) sowie den Einfuhrabgaben – es sei denn, die Meinung der britischen Regierung konkretisiert sich in den Verhandlungen mit der EU. Ein EU-Austritt hat zudem auch Aus­wir­kungen auf die Bestimmung des Leistungsorts und kann daher die Pflicht zur Registrierung von UK-Unternehmen in der EU zur Folge haben. Zu denken ist etwa an auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen. Ebenfalls zu Veränderungen bei der um­satz­steuer­lichen Be­hand­lung gehören Reihengeschäfte (vgl. § 3c Abs. 1 UStG). Wenn einer der beteiligten Unternehmer nicht mehr in der EU beziehungsweise dem EWR ansässig ist, ändert sich möglicherweise die umsatzsteuerliche Beurteilung vollständig. Neben einer Änderung des Orts der Leistung kann der Brexit damit auch Auswirkungen auf den anzuwendenden Umsatzsteuersatz haben.

Körperschaftsteuer

Dringender Handlungsbedarf ist für ausschließlich in Deutschland operierende, aber nach bri­tischem Recht gegründete Kapitalgesellschaften geboten. Aufgrund des geringeren Grün­dungs- und Kapitalaufwands wurde insbesondere die Limited als Möglichkeit gerade für mittelständische Unternehmen in Deutschland propagiert. Steuerrechtlich wird sie wie die nach deutschem Recht gegründete GmbH oder UG als Körperschaft besteuert. Wenn sie nach einem EU-Austritt Groß­britanniens nicht mehr wie eine Kapitalgesellschaft behandelt wird, kann es zu einer Um­quali­fi­kation in eine Personen(handels)gesellschaft kommen (so die Ansicht von Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, S. 2378 [2381]). Zivilrechtlich würde das die grundsätzlich unbeschränkte Haftung der Gesellschafter bedeuten, ertragssteuerrechtlich sind diese Gesellschaften durchsichtig; anstatt der Körperschaftsteuer sind also die Einkünfte gesondert und einheitlich festzustellen und den Gesellschaftern zuzurechnen. Je nach Tätigkeit der Gesellschaft kann dadurch zwar die Ge­wer­be­steuer­pflicht entfallen (insbesondere bei ausschließlich vermögensverwaltender oder frei­be­ruf­licher Tätigkeit der Gesellschaft), der in der Regel niedrigere Körperschaftsteuersatz kommt jedoch nicht zur Anwendung. Auf die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verlust­ver­rech­nung (EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-141/99 AMID/Königreich Belgien) wurde bereits hingewiesen. Wenn Großbritannien nicht mehr EU- oder EWR-Mitglied ist, kann es zu einer (ungewollten) Aufdeckung stiller Reserven kommen. So gilt eine Körperschaft gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG unter entsprechender Anwendung von § 11 KStG als aufgelöst, wenn sie aufgrund der Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens infolge der Verlegung des Sitzes oder der Geschäftsleitung in einem anderen Staat außerhalb der EU oder der EWR ansässig ist. Zwar wird in der Literatur gefordert, den Austritt nicht als Anwendungsfall des § 12 Abs. 3 Satz 1 KStG zu behandeln (vgl. Demleitner, SteuK 2016, 478 [478]), aber Verlässlichkeit ist im Steuerrecht immer relativ. Berater sollten auf dieses Risiko hinweisen. Ungünstiger wird die Besteuerung von Dividenden, Zins- und Lizenzzahlungen, da die Mutter-Tochter-Richtlinie (RL 2011/96 EU) sowie die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie (RL 2003/49/EG) keine Anwendung mehr findet. Bei der Rückgewähr von Einlagen auch über EU-Grenzen hinweg liegt keine steuerbare Dividende, sondern erfolgsneutrale Minderung der Anschaffungskosten der Beteiligung vor (§ 27 Abs. 8 Satz 1 KStG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Diese Norm findet auf in Drittstaaten ansässige Gesellschaften keine Anwendung. Der Brexit könnte hier möglicherweise zu Muttergesellschaften mit Sitz in der EU, aber einer in Großbritannien ansässigen Kapitalgesellschaft führen; denn für die Nichtsteuerbarkeit der Einlagenrückzahlung wäre lediglich auf das britische Handelsrecht abzustellen, ohne dass die Voraussetzungen des § 27 KStG vorliegen müssen (siehe Demleitner, SteuK 2016, S. 478 [479]). Die britische Premierministerin, Theresa May, wirbt bereits mit niedrigeren Steuersätzen für Kapitalgesellschaften im Vereinigten Königreich (UK). Spätestens dann gelten in Großbritannien Kapitalgesellschaften als niedrig besteuert im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes für Auslandsbesteuerungen (AStG), sodass die nicht im Katalog des § 8 Abs. 1 AStG genannten Zwischeneinkünfte beim inländischen Anteilseigner unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AStG zur Hinzurechnungsbesteuerung führen. Bisher sieht eine Entscheidung des EuGH (Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 [Cadbury Schweppes plc, Cadbury Schweppes Overseas Ltd/Commissioners of Inland Revenue]) eine grundsätzliche Ausnahme für Gesellschaften vor, die ihren Sitz oder die Geschäftsleitung in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat haben und insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen sowie von diesem Staat Amtshilfe bekommen, um die Besteuerung durchzuführen.

Einkommensteuer

Der Umzug nach London oder ins idyllische Cornwall verhindert zwar die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG nicht, aber die Steuer ist zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige ein EU-/EWR-Staatsangehöriger ist und er in einem dieser Staaten nach dem Wegzug der unbeschränkten Einkommensbesteuerung unterliegt. Zu einer Wegzugsbesteuerung kommt es, wenn eine mindestens zehn Jahre unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person durch Aufgabe ihres inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts ihre unbeschränkte Steuerpflicht beendet. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG gilt das als Veräußerung von Kapital­ge­sell­schafts­anteilen nach § 17 EStG, wenn der Steuerpflichtige in den letzten fünf Jahren zu min­des­tens einem Prozent beteiligt war. Auch hier wird in der Literatur vertreten, bereits erteilte Stundungen seien nach einem EU-Austritt weiterhin zu gewähren (vgl. Demleitner, SteuK 2016, S. 78 [480] mit weiteren Nachweisen).
Jedoch ist ernsthaft in Zweifel zu ziehen, ob der deutsche Fiskus nicht zu einer anderen Auf­fas­sung kommt. Denn die Amtshilfe- und Beitreibungsrichtlinie fände keine Anwendung mehr. Bei einem Widerruf, der Forderung einer Sicherheitsleistung oder Verzinsung könnte sich der Steuer­pflichtige auch nicht mehr an den EuGH wenden, da im Rechtsverkehr mit Groß­bri­tan­nien keine der vier europäischen Freiheiten mehr betroffen wäre. In diesem Punkt war die Premier­mi­nis­terin außerdem eindeutig: Europäische Rechtsprechung soll nicht mehr im UK Anwendung finden. Mit Blick auf die Fusionsrichtlinie (RL 90/434) wären grenzüberschreitende Um­struk­tu­rie­rungs­vor­gänge nicht mehr steuerneutral durchführbar. Auf der Ebene des nationalen Rechts gilt Ent­spre­chen­des für das Umwandlungssteuergesetz (UmwStG), da es weitgehend die Beteiligung von Gesellschaften mit Ansässigkeit in der EU beziehungsweise dem EWR voraussetzt (vgl. § 1 UmwStG).

Bilanzrecht

Die Reaktionen der Kapitalmärkte nach dem Brexit-Votum zeigen, dass die Volatilitäten an den Märkten zunehmen. Das kann möglicherweise zu Abschreibungen auf einen niedrigeren beizulegenden Zeitwert führen. Auf jeden Fall verändert der Austritt Großbritanniens Ausfall-, Liquiditäts-, Preis-, Zins- und Währungsrisiken. Hierüber muss im Lagebericht im Rahmen einer Risikoberichterstattung informiert werden. Gleiches gilt für den Prognosebericht. Unter Hinweis auf den Austritt sollte auf mögliche Veränderungen von Standorten, Kooperationen oder Geschäftsmodellen im Zusammenhang mit dem Vereinigten Königreich eingegangen werden. Gemäß § 291 HGB wirkt ein EU-/EWR-Konzernabschluss befreiend auf einen möglicherweise aufzustellenden Teilkonzernabschluss eines deutschen Tochterunternehmens. Die Auswirkungen des Brexit dürften in diesem Punkt aber nicht gravierend sein. Denn auch Konzernabschlüsse aus Drittstaaten können gemäß § 292 HGB befreiende Wirkung haben. Es steht nicht zu erwarten, dass britische Mutterunternehmen nach einem Austritt von den International Financial Reporting Standards der EU (EU-IFRS) auf die Generally Accepted Accounting Practice des UK (UK-GAAP) zurückwechseln oder flächendeckend auf US-GAAP wechseln würden.

Jahresabschlussprüfung

Die möglichen Auswirkungen eines Austritts Großbritanniens müssen im Rahmen der Prü­fungs­stra­tegie bei Jahresabschlussprüfungen berücksichtigt werden. Bei Unternehmen, die im Vereinigten Königreich engagiert sind, werden die getroffenen oder geplanten Maßnahmen einen Prüfungsschwerpunkt bilden. Auch bei der Bewertung von Umsatzerlösen, Beteiligungen und anderen stark von der Tätigkeit in einem gemeinsamen europäischen Markt abhängigen Jahresabschlusspositionen werden sich kritische Prüfungsziele ergeben. Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung verweist in der von ihr am 3. November 2016 veröffentlichten Liste der Prüfungsschwerpunkte 2017 auf die Stellungnahme der europäischen Wert­papier­auf­sichts­be­hörde (European Securities and Markets Authority) vom 28. Oktober 2016 (ESMA/2016/1528). Dort werden die Auswirkungen eines Austritts des Vereinigten Königreichs auf die Darstellung der Rechnungslegung explizit als Prüfungsschwerpunkt genannt. Zwar betreffen diese Festlegungen durch die Aufsichtsbehörden in erster Linie kapitalmarktorientierte Unternehmen und deren Jahresabschlüsse. Es steht aber allen Abschlussprüfern gut an, sich an diesen Vorgaben zu orientieren, wenn die Jahresabschlüsse starke Bezüge nach Großbritannien aufweisen. Spontan fallen hierbei Spezialversender britischer Waren oder die Anbieter von Sprachreisen nach Großbritannien ein. Aber auch Automobilzulieferer haben Abnehmer auf der Insel, da sich insbesondere außereuropäische Hersteller dort niedergelassen haben, um den europäischen Markt zu beliefern.

Schlussbetrachtung

Von einem „sanften, geordneten Brexit“ hat Theresa May gesprochen. Für Steuerberater, Wirt­schafts­prüfer und Rechtsanwälte ist dieser noch nicht absehbar. Zuviel liegt auch nach der Rede im Lancester House noch im legendären Nebel über England.

Video: Europa im Wandel

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Wer die Vorteile der EU genießen will, muss die Freizügigkeit im Binnenmarkt gewährleisten. Dafür steht Manfred Weber, EVP-Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament.

Zum Autor

CK
Prof. Dr. Claus Koss

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in eigener Kanzlei und Dozent in Regensburg; Gesellschafter-Geschäftsführer der Numera GmbH StBG WPG

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