Um nicht ins Visier der Steuerfahndung zu geraten, kann es nur von Nutzen sein, sich mit der teils geänderten Rechtsprechung zur Steuerhinterziehung vertraut zu machen.
Bei der Frage über die Fehlvorstellung einer Arbeitgebereigenschaft im Sinne des § 266a Strafgesetzbuch (StGB) beziehungsweise § 370 Abgabenordnung (AO) besteht derzeit Rechtsunsicherheit, da der Bundesgerichtshof (BGH) bisher hinsichtlich des Tatbestands- beziehungsweise Verbotsirrtums unterschiedliche Rechtsansichten vertreten hat. So wies das höchste deutsche Strafgericht in einem Obiter Dictum darauf hin, dass in der BGH-Rechtsprechung die Anforderungen an den Inhalt des Vorsatzes bezüglich des normativen Tatbestandsmerkmals der Stellung als Arbeitgeber in § 266a StGB und § 41a Einkommensteuergesetz (EStG) in Verbindung mit dem Straftatbestand aus § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO unterschiedlich bestimmt werden.
Vorsatz und Irrtum
In allen anderen Konstellationen bejaht die Rechtsprechung regelmäßig einen vermeidbaren Verbotsirrtum.
Da für eine Differenzierung kein sachlicher Grund erkennbar ist und es sich jeweils um normative Tatbestandsmerkmale handelt, erwägt der erste Senat des BGH zukünftig auch die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht insgesamt als den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum zu behandeln. Die mögliche Änderung der Rechtsprechung ist von erheblicher praktischer Relevanz. Ein Verbotsirrtum liegt vor, wenn dem Täter die Einsicht, Unrecht zu tun, fehlt. Er hat dann kein Unrechtsbewusstsein. Konnte er diesen Irrtum nicht vermeiden, handelt er ohne Schuld und ist daher nicht wegen Steuerhinterziehung zu bestrafen (§ 17 Satz 1 StGB). Konnte er den Irrtum jedoch vermeiden, kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden (§ 17 Satz 2 StGB). Nach der Rechtsprechung ist ein Verbotsirrtum jedoch erst dann unvermeidbar, wenn der Täter nach den Umständen und einer Anspannung seines Gewissens, die in seinem Lebens- und Berufskreis zuzumuten ist, die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Tuns nicht zu gewinnen vermöchte, obwohl er alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hatte. Im Prinzip ist von der Rechtsprechung also lediglich anerkannt, dass der Steuerpflichtige auf den Rat eines kompetenten steuerlichen Beraters vertrauen darf, wenn dieser den Sachverhalt umfassend geprüft hat. In allen anderen Konstellationen bejaht die Rechtsprechung regelmäßig einen vermeidbaren Verbotsirrtum. Dagegen schließt ein Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB den Vorsatz aus. Ein derartiger Irrtum liegt vor, wenn der Steuerpflichtige sich über das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals irrt.
Kompensationsverbot
Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO ist die Voraussetzung des Satzes 1 auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Andere Gründe sind Tatsachen, auf die sich der Täter zur Rechtfertigung seines Verhaltens im Strafverfahren beruft, obwohl er sie im Besteuerungsverfahren nicht vorgebracht hat, und die – hätte er sie dem Finanzamt vorgetragen – eine Ermäßigung der Steuerschuld begründet hätten. Es kommt somit nicht darauf an, ob die Steuer, die aufgrund unrichtiger Angaben festgesetzt wurde, der nach dem Gesetz geschuldeten Steuer tatsächlich entspricht. Ist das der Fall, führt die Anwendung des Kompensationsverbots zur Bestrafung einer an sich versuchten Tat als vollendete Straftat. Die besondere Bedeutung des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO für die Praxis liegt darin, dass ein Strafrichter zur Feststellung des tatbestandlichen Hinterziehungsumfangs nicht den gesamten Steuerfall darauf überprüfen muss, ob sich nicht eventuell aus bisher nicht berücksichtigten Umständen eine Steuerermäßigung ergibt, die den durch die Hinterziehung erzielten Vorteil wieder egalisiert. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Steuerermäßigungen – auch bei Anwendung des Kompensationsverbots – sich auf die Strafzumessung auswirken und dementsprechend doch der Fall insgesamt zu beurteilen ist. Nach der BGH-Rechtsprechung findet das Kompensationsverbot keine Anwendung, wenn die verschwiegenen steuererhöhenden Umstände in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit ebenfalls verschwiegenen steuermindernden Umständen stehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Steuerminderungen sich ohne Weiteres von Rechtswegen ergeben hätten, sofern der Täter anstelle unrichtiger die der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht hätte.
Änderung der Rechtsprechung
Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung fand das Kompensationsverbot bei Hinterziehung der Umsatzsteuer auf unterlassene Vorsteuerabzugsbeträge Anwendung. Diese Rechtsprechung wird vom höchsten deutschen Strafgericht seit der Entscheidung vom 13. September 2018 nicht mehr angewandt. Der BGH hat in diesem Urteil ausgeführt, dass die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich zieht. Es besteht daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz mit der Folge, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Verkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen ist.
Strafzumessung
Auch wenn die Höhe der verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsgrund ist, kann die Strafe nicht gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi tarifmäßig verhängt werden. Der BGH hat zwar in seinen Entscheidungen vom 2. Dezember 2008 und 7. Februar 2012 beziehungsweise 22. Mai 2012 ausgeführt, dass bei einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen von besonders gewichtigen Milderungsgründen in Betracht kommt; jedoch hat der BGH mit Urteil vom 25. April 2017 den Strafausspruch der Vorinstanz, bei der ein Teilnehmer (Beihilfe) wegen einer Steuerhinterziehung in Höhe von 15.280.436 Euro zu drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden ist, nicht aufgehoben. Diese relativ aktuelle BGH-Entscheidung verdeutlicht, dass bei Steuerschäden in einem außergewöhnlich hohen Bereich nicht zwingend hohe Freiheitsstrafen verhängt werden müssen. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist die persönliche Schuld des Täters.
Mildernde Umstände
In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob sich der Täter während des Tatzeitraums im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil seiner steuerlich relevanten Betätigung betrifft. Gerade bei größeren Unternehmen kann eine Steuerhinterziehung im Millionenbereich einen relativ geringen Anteil im Verhältnis zu den zutreffend deklarierten Einkünften und gezahlten Steuern ausmachen. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach Aufdeckung der Tat sowie ein (frühzeitiges) Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu mit einzubeziehen. Unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention ist strafmildernd zu berücksichtigen, wenn der Angeklagte seit Beendigung der verfahrensgegenständlichen Taten strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Zudem sind selbstverständlich eine lange Verfahrensdauer und eine etwaige fehlende Vorstrafe strafmildernd zu berücksichtigen.
Verfahrensdauer
Mit Beschluss vom 12. Juni 2017 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung und die des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hinsichtlich der Strafzumessung bei Verfahren mit einer überlangen Verfahrensdauer fortgesetzt. Der BGH wiederholt in dieser Entscheidung, dass ein großer zeitlicher Abstand zwischen der Tat und dem Urteil bei Bestimmung der strafrechtlichen Folgen unter drei verschiedenen Aspekten von Bedeutung sein kann. Erstens kann der betreffende Zeitraum zwischen Tat und Urteil bereits für sich genommen strafmildernd ins Gewicht fallen. Unabhängig davon kann zudem einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommen. Und schließlich kann sich eine darüber hinausgehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zugunsten des Angeklagten auswirken. Die BGH-Rechtsprechung hinsichtlich einer unangemessen langen Verfahrensdauer ist in der Praxis deshalb von Bedeutung, weil sich die Instanzgerichte in den Urteilen nicht immer explizit mit den drei unterschiedlichen Aspekten (langer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil, Belastung durch eine überlange Verfahrensdauer und Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – MRK) auseinandersetzen.
Schätzungen
Schätzungen im Steuerstrafverfahren obliegen dem Gericht selbst. Eine Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung kommt nur in Betracht, wenn der Tatrichter von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden Grundsätze des Strafverfahrens überzeugt ist. Ein Verweis auf Betriebsprüfungsberichte oder die Übernahme der Ermittlungsergebnisse im Zuge einer Steuerfahndung sind ebenso unzureichend wie die Wiedergabe von Aussagen, die Finanzbeamte als Zeugen in der Hauptverhandlung zur Beurteilung steuerlicher Fragen gemacht haben. Auch ein pauschales Geständnis des Angeklagten, der keine Geschäftsbücher führte und die Geschäftsführung chaotisch betrieben hat, ist keine ausreichende Grundlage, um die Höhe der von ihm getätigten Umsätze festzustellen. Nur wenn die konkrete Berechnung der Umsätze und Gewinne nicht möglich ist und ausgehend von den vorliegenden Tatsachen andere Schätzungsmethoden nicht in Betracht kommen, darf der Richter die Besteuerungsgrundlagen gestützt auf die Richtwerte der Rohgewinnaufschlagssätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen pauschal schätzen. Soweit bei der Schätzung Zweifel bestehen, darf das Tatgericht nicht ohne Weiteres einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Das bedeutet, dass der Tatrichter die Schätzung dann der Höhe nach auf den Betrag zu begrenzen hat, der mindestens hinterzogen worden ist.
MEHR DAZU
Fachseminar Berufsrisiko für Steuerberater – Strafrecht, Steuerstrafrecht und weitere Berufsgefahren, Art.-Nr. 70097