Zolltarifrecht - 22. Dezember 2022

Ertragreiches Grundlagenwissen

Wer die Mandantschaft an der Schnittstelle zwischen Umsatzsteuer und Zoll beraten muss, kommt nicht umhin, sich mit der Kombinierten Nomenklatur sowie den Auslegungshilfen zu beschäftigen. Aber keine Sorge: Um eine Raketenwissenschaft handelt es sich nicht.

Wer steuerlich berät, wird sich zunehmend mit Fragen zum Zolltarif beschäftigen müssen. Denn die tarifliche Einreihung hat nicht nur Einfluss auf den anwendbaren Zoll­satz. Wenn die Erhebung eines Antidumpingzolls von der Ein­ordnung in den Zolltarif abhängt, geht es schnell um die wirt­schaftliche Existenz der Mandantin oder des Mandanten. Auch im klassischen Umsatzsteuerrecht ist eine Beratung zum er­mäßigten Umsatzsteuersatz ohne Kenntnisse des Zolltarif­rechts unmöglich. Damit Sie beim nächsten Mal nicht das Ge­spräch auf ein anderes Thema lenken müssen, wenn das böse Wort Zolltarif fällt, sollten Sie weiterlesen. Aber keine Angst: Das Zolltarifrecht ist intellektuell nicht überfordernd. Es ist konkret, nicht verschachtelt und verlangt kein gesellschafts- oder insolvenzrechtliches Vorwissen. Manchmal ist es auch zum Lachen. Mehr noch als in anderen Rechtsgebieten gilt hier: Wissen heißt, wissen, wo es steht.

Verzahnung von Umsatzsteuer und Zolltarif

Der praktisch wichtige Ermäßigungstatbestand des § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG), der nicht nur für die Einfuhr, sondern auch für die Lieferung und den innerge­meinschaftlichen Erwerb gilt, verweist auf die Anlage 2 UStG. Sie erfasst in 53 laufenden Nummern alle Lebensmittel, mit Ausnahme von Luxuswaren wie Kaviar, Schalentiere oder Schnecken, allerdings nur bestimmte Getränke wie Milch, be­stimmte Milchmischgetränke, Smoothies und Leitungswas­ser, nicht jedoch abgefülltes Wasser, Frucht- und Gemüsesäf­te, Limonaden, Kaffee, Tee und Mate. Neuerdings sind auch Menstruationsartikel, insbesondere Binden und Tampons, be­günstigt. Land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Futtermittel sind unabhängig davon erfasst, welcher Betrieb die Gegenstände geliefert hat. Medizinische Geräte und Hilfs­mittel werden privilegiert, um die Sozialkassen zu entlasten. Schließlich erfreuen sich Gegenstände des Buchhandels aus bildungs- und kulturpolitischen Gründen einer Entlastung.

Die Anlage 2 bezeichnet alle begünstigten Gegenstände in den Spalten „Warenbezeichnung“ und „Zolltarif“. Als Beispiel sei angeführt die laufende Nr. 48:

WarenzeichnungZolltarif
Holz, und zwar
a) Brennholz in Form von Rundlingen, Scheiten, Zweigen, Reisigbündeln oder ähnlichen Formen Unterposition
4401 10 00
b) Sägespäne, Holzabfälle und Holzausschuss, auch zu Pellets, Briketts, Scheiten oder ähnlichen Formen zusammengepresst Unterposition
4401 30

Wichtig ist, dass die Warenbezeichnung grundsätzlich nur il­lustrativ ist. Entscheidend für den Anwendungsbereich ist, wie der Gegenstand im Zolltarif definiert wird. Eine aktuelle Ausnahme wird im weiteren Verlauf vorgestellt.

Kombinierte Nomenklatur

Mit den in der Anlage 2 genannten (Unter-)Positionen des Zoll­tarifs ist die Kombinierte Nomenklatur (KN) gemeint. Diese seit 1987 mindestens jährlich aktualisierte Verordnung der Europä­ischen Union (EU) enthält eine systematische Klassifizierung aller denkbaren Waren, die nach Abschnitten, Kapiteln, Positio­nen und Unterpositionen eingeteilt ist. Warengruppen werden darin mit einem bis zu achtstelligen numerischen Code verse­hen. Das Kapitel 44 KN (Holz und Holzwaren) beginnt bei­spielsweise, wie in der nachstehenden Tabelle dargestellt:

WarenbezeichnungKN-Position
Brennholz; Holz in Form von Plättchen oder Schnitzeln; Sägespäne, Holzabfälle und Holzausschuss:4401
·  Brennholz in Form von Rundlingen, Scheiten, Zweigen, Reisigbündeln oder ähnlichen Formen:
·  Holz in Form von Plättchen oder Schnitzeln:
4401 10 00
·  Nadelholz4401 21 00
·  anderes Holz4401 22 00
·  Sägespäne, Holzabfälle und Holzausschuss, auch zu Pellets, Briketts, Scheiten oder ähnlichen Formen zusammengepresst:4401 30
·  Sägespäne 4401 30 10
·  andere4401 30 90

Die Herausforderung besteht nun darin, mit den Begriffen der KN etwas anzufangen. Hierzu muss man wissen, dass ihre Auslegung einer eigenen Logik folgt, die sich sklavisch am Wortlaut orientiert und die objektiv feststellbaren Eigen­schaften einer Ware in den Vordergrund rückt, während die Verwendung der Ware nur selten eine Rolle spielt.

Auslegungshilfen

Wenn man klären will, ob eine Ware – beispielsweise Holz­hackschnitzel – tatsächlich von der meist nur schlagwortarti­gen Bezeichnung in der KN erfasst ist, muss man die zahlrei­chen Hilfsmittel für die Auslegung der KN kennen. Gewöh­nungsbedürftig für den Steuerrechtler mag sein, dass es zwar ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zur Reichweite der Anlage 2 gibt (BStBl. I 2004, 638). Dieses ist jedoch selbst für die Verwaltung nicht verbindlich. Der Eu­ropäische Gerichtshof (EuGH) hat den Mitgliedstaaten näm­lich schon vor 40 Jahren verboten, Dienstanweisungen zu er­lassen, die den Inhalt der KN verändern. Also, maßgeblich sind allein die folgenden zolltariflichen Auslegungshilfen:

  • EU-Einreihungsverordnungen,
  • allgemeine Vorschriften und warenspezifische Anmerkun­gen in der KN,
  • Erläuterungen zur KN sowie
  • Erläuterungen und Avise zum Harmonisierten System (HS).

Bevor man eine KN-Position sucht und die einzureihende Ware unter die Merkmale dieser Position subsumiert, muss geprüft werden, ob es nicht eine Einreihungsverordnung der EU gibt, die dies schon für einen erledigt hat. Darin wird eine Ware, die in der Verordnung genau beschrieben wird, einer konkreten KN-Unterposition zugewiesen. Es ist eine Art Ein­zelfallgesetz. Diese Verordnungen sind zeitlich anwendbar auf Sachverhalte – also Umsätze, die nach ihrem Erlass statt­gefunden haben. Sachlich anwendbar sind sie auf alle Ge­genstände, die mit der in der Verordnung genannten Ware identisch oder ihr hinreichend ähnlich sind. Wenn es – wie häufig – keine Einreihungsverordnung gibt, muss anderwei­tig eine KN-Position identifiziert werden, die auf die einzurei­hende Ware anwendbar ist. Hierzu muss man sich zunächst in der KN auf die Suche nach einer warenspezifischen An­merkung machen, die den Abschnitten oder Kapiteln jeweils vorangestellt ist. Außerdem enthält die KN in einem Allge­meinen Teil sechs Allgemeine Vorschriften (AV). Sie befassen sich mit

  • der Bedeutung des Wortlauts und der Hierarchie der Glie­derungsebenen (AV 1, 6),
  • unvollständigen, unfertigen, zerlegten, gemischten oder mehrstoffigen Waren (AV 2),
  • der Lösung von Konkurrenzen, wenn mehrere KN-Positio­nen in Betracht kommen (AV 3, 4) sowie
  • Behältnissen und Verpackungen (AV 5).

Eine weitere wichtige, wenn auch nicht verbindliche Ausle­gungshilfe sind die von der EU-Kommission erlassenen Er­läuterungen zur KN. Darin werden Waren, die teilweise sehr detailliert beschrieben werden, einzelnen KN-Unterpositio­nen zugewiesen. Für Verwirrung mag sorgen, dass es noch eine andere Art von Erläuterungen gibt, nämlich die Erläute­rungen zum HS. Das HS ist die völkerrechtliche Vorlage für das Klassifizierungssystem der KN und bis zu den ersten sechs Stellen identisch mit ihr. Die Weltzollorganisation (WCO) gibt die Erläuterungen zum HS heraus, in de­nen meist in abstrakter Weise die Waren oder Warengruppen einer bestimmten (Unter-)Position des HS beschrieben wer­den. Darüber hinaus erlässt die WCO so­genannte Tarifavise, in denen – wie bei Einreihungsverordnungen – Waren einer konkreten (Unter-)Position zugewiesen werden. Wie die Er­läuterungen zur KN sind auch die Erläuterungen und Avise zum HS nicht verbindlich.

Tarifauskünfte

Um die häufig bestehende Unsicherheit bei der Tarifierung von Waren zu beseitigen, gibt es die verbindliche Zollta­rifauskunft (vZTA). Hierdurch wird für drei Jahre die Einrei­hung einer Ware amtlich festgelegt. Zuständig für die Ertei­lung ist allein das Hauptzollamt (HZA) Hannover. Der Antrag muss elektronisch, etwa über das Bürger- und Geschäftskun­denportal (BuG) der Zollverwaltung, gestellt werden. An­tragsbefugt ist, wer nachweist, dass die betreffende Ware eingeführt wird oder werden soll. Für rein nationale Umsätze oder solche innerhalb der EU (Lieferung, innergemeinschaft­licher Erwerb) kann gebührenfrei eine unverbindliche Zollta­rifauskunft für Umsatzsteuerzwecke (uvZTA) eingeholt wer­den. Die zuständigen Dienststellen des Bildungs- und Wis­senschaftszentrums der Generalzolldirektion sind im Internet abrufbar (www.zoll.de).

Korrektur gemäß Neutralitätsgrundsatz

Neu justiert wurde das Verhältnis von Zolltarif und Umsatz­steuer durch die Holzhackschnitzel-Entscheidung(en) des Bundesfinanzhofs (BFH). Darin ging es vordergründig um ein geradezu holzspalterisches Problem: Die zolltarifliche Einrei­hung unter Anwendung der oben skizzierten Auslegungshil­fen führt dazu, dass nur Brennholz und Holzpellets, nicht je­doch Holzhackschnitzel, die als Brennmaterial verwendet werden, von Anlage 2 Nr. 48 UStG erfasst werden und damit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Daraus er­gibt sich ein offensichtliches Gleichheitsproblem. Obwohl all diese Waren im Brennstoffmarkt konkurrieren, profitieren nur Brennholz und Pellets von der Steuerbegünstigung. Nach einer Vorlage an den EuGH (Vogel, UR 2022, 219) entschied der BFH jüngst (Urteil vom 21.04.2022, V R 2/22, UR 2022, 693 m. Anm. Bender), dass dies gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt. Dieser verbietet eine steu­erliche Ungleichbehandlung von austauschbaren Waren, die miteinander im Wettbewerb stehen. In Anwendung dieses Grundsatzes sind Holzhackschnitzel, da sie unter den Begriff „Brennholz“ im Sinne der Spalte „Waren­bezeichnung“ von Anlage 2 Nr. 48 UStG fallen, steuerlich begünstigt. Dabei ist es unerheblich, dass sie nicht von den KN-Positionen erfasst sind, die den Begriff „Brennholz“ eigentlich konkretisieren. Da­mit wird der Vorrang des Zolltarifrechts bei der Bestimmung des ermäßigten Um­satzsteuersatzes in einem wichtigen Punkt korrigiert. Steuerbegünstigt sind alle Ge­genstände, die von dem in der Spalte „Warenbezeichnung“ enthaltenen Begriff erfasst sind und entweder auch unter den zolltariflichen Begriff (Spalte: „Zolltarif“) fallen oder mit ei­ner davon erfassten Ware in Konkurrenz stehen.

Klagen Sie ruhig

Ist Ihre Mandantschaft auch nach Durchführung des Ein­spruchsverfahrens nicht zufrieden, zögern Sie nicht, zur Klage zu raten, sofern der Fall nicht völlig aussichtslos er­scheint. Solange Sie beschreiben können, was Ihr Mandant letztlich wirtschaftlich erreichen möchte (das sogenannte materiellrechtliche Begehren), können Sie wenig falsch ma­chen. Die Finanzgerichte (FG) sind zur Amtsermittlung ver­pflichtet und müssen die Anträge im Interesse des Rechts­schutzes auslegen. Verspätetes Vorbringen gibt es faktisch nahezu nicht. Ein schönes Beispiel bietet der Fall eines Im­porteurs von Hundesnacks, der vor dem FG Hamburg gegen die vom BMF vertretene Auslegung einer EuGH-Entschei­dung den ermäßigten Steuersatz erstritt (UStB 2021, 5).

Zum Autor

TB
Dr. Tobias Bender

Richter am Finanzgericht Hamburg

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