Ausgleichsansprüche - 26. Januar 2023

Den Einsatz vergüten

Wer die Pflege eines nahen Angehörigen über Jahre hinweg übernimmt, sollte dafür auch belohnt werden. Daher bietet es sich an, entsprechende Regelungen in eine letztwillige Verfügung aufzunehmen.

Viele Menschen verdrängen die eigene Sterblichkeit und verpassen daher häufig den Zeitpunkt, in dem sie noch bei vollen geistigen Kräften die eigene Nachfolge regeln könnten. Das ist zwar menschlich verständlich, führt aber nach dem Tod innerhalb der betroffenen Familien häufig zu Streit und Missgunst. Vor allem diejenigen Familienangehörigen, die die Verstorbene oder den Verstorbenen bis zum Tode zu Hause gepflegt haben, fordern in der Regel einen finanziellen Ausgleich dafür.

Hintergrund

Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamts (Destatis) werden hierzulande jährlich rund 2,1 Millionen Menschen mit Pflegegrad zwei bis fünf und damit mehr als die Hälfte aller 4,1 Millionen Pflegebedürftigen (51,3 Prozent) allein durch Angehörige zu Hause versorgt. 72.700 von ihnen hatten den höchsten Pflegegrad (fünf) und wiesen damit schwerste Beeinträchtigungen mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung auf. Etwa ein Drittel der Pflegebedürftigen ist hochbetagt, wobei der Frauenanteil überwiegt. Rund vier von fünf Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt.

Ausgleichsanspruch

Erbringt ein Erbe, der gleichzeitig Abkömmling (Kind, Enkel oder Urenkel) des Erblassers ist, Pflegeleistungen für den Erblasser, gewährt ihm das Gesetz gegenüber weiteren Miterben bei Aufteilung des Nachlasses einen bevorzugten Ausgleichsanspruch in Geld. Gemäß § 2057a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann dieser Erbe zusätzlich zu seinem Auseinandersetzungsguthaben gemäß seiner Erbquote die Auszahlung eines unter konkreter Betrachtung der von ihm geleisteten Pflegeaufwendungen bezifferten Ausgleichsbetrags verlangen. Allerdings ist die gesetzliche Vorschrift unklar, da § 2057a Abs. 3 BGB den Rahmen für die Bemessung dieser Ausgleichszahlung denkbar weit absteckt.

Richtungsweisende Entscheidung

Daher oblag es der Rechtsprechung zu klären, wie ein Ausgleich tatsächlich zu berechnen sei. Zunächst hatte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem Urteil die gesetzlichen Berechnungsmaßstäbe zur Bemessung des Ausgleichsbetrags konkretisiert (OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 07.02.2020, Az. 13 U 31/18). In dem zugrunde liegenden Fall ging es um den Ausgleichsanspruch eines Abkömmlings, der über einen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren die Erblasserin zunächst noch in deren Wohnung betreute und sie danach aufgrund vollständiger Hilflosigkeit infolge ihrer weit fortgeschrittenen Demenz für weitere sieben Jahre in die eigene Wohnung aufnahm und dort pflegte. Während der Zeit, in der die Erblasserin noch in ihrer eigenen Wohnung lebte, war eine Haushaltshilfe für sie tätig, ferner wurden durch einen ambulanten Pflegedienst einzelne Pflegeleistungen erbracht. Für die gesamte Tätigkeit innerhalb dieses Zehnjahreszeitraums verlangte der pflegende Miterbe einen Betrag in Höhe von 40.000 Euro, den ihm das OLG Frankfurt/Main schließlich auch zusprach.

Definition der Pflegeleistung

Zu begrüßen ist, dass das OLG Frankfurt/Main in der zitierten Entscheidung eine Vielzahl von Generalklauseln sowie unbestimmten Rechtsbegriffen im Zusammenhang mit Ausgleichsansprüchen konkretisierte. Danach sind unter Pflegeleistungen im Sinne des § 2057a BGB Leistungen zu verstehen, die gesetzlich durch § 14 Sozialgesetzbuch (SGB) XI beim Begriff der Pflegebedürftigkeit aufgeführt werden. Demnach geht es um Hilfeleistungen bei der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung. Jedoch kann auch die bloße Anwesenheit des pflegenden Miterben Teil der Pflegeleistung sein, wenn und soweit er für Gespräche mit dem Pflegebedürftigen oder zur Sicherung des Pflegebedürftigen im Falle plötzlich notwendig werdender Hilfe zur Verfügung steht (vergleiche auch OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2016, 3 U 25/16). Diese Pflegeleistungen müssen sich nach Ansicht des Gerichts über einen längeren Zeitraum erstrecken und in besonderem Maße dazu beitragen, das Vermögen des Erblassers zu erhalten. Daher seien nur überobligatorische Leistungen ausgleichungspflichtig, also solche Leistungen, die über normale Unterstützungsleistungen im Rahmen einer normalen Eltern-Kind-Beziehung hinausgehen. Weitere Voraussetzung ist, dass die vom pflegenden Miterben erbrachten Leistungen zur Erhaltung des Erblasservermögens beigetragen haben. Dies sei dann der Fall, wenn die erbrachten Pflegeleistungen – auch bei fiktiver Gegenrechnung von Leistungen der Pflegeversicherung – die Kosten für eine professionelle Pflege oder für eine Heimunterbringung erspart haben.

Berechnung des Ausgleichsbetrags

Bei der Berechnung des Ausgleichungsbetrags ist zunächst auf Grundlage der amtlichen Pflegestatistik des Statistischen Bundesamts von den durchschnittlichen Heimkosten für Pflegebedürftige der jeweiligen Pflegestufe beziehungsweise des jeweiligen Pflegegrads auszugehen. Unter Orientierung am Bundesdurchschnitt wird dann der fiktive Eigenanteil des jeweiligen Erblassers ermittelt, wobei die laufenden Einnahmen (Renten oder Taschengelder) des Erblassers zu berücksichtigen sind. Nach Abzug dieser laufenden Einnahmen vom fiktiven Eigenanteil wird dann der Betrag ermittelt, der dem Vermögen des Erblassers hätte entnommen werden müssen, um den Eigenanteil zu leisten. Dieser monatlich verbleibende Betrag ist schließlich auf die Gesamtanzahl der Monate hochzurechnen, in denen Pflegeleistungen erbracht wurden. Im vorliegenden Fall ermittelte das OLG Frankfurt/Main einen monatlichen Betrag in Höhe von 700 Euro, der durch die Pflegeleistungen des Miterben dem Vermögen der Erblasserin erspart blieb.

Tätigkeiten dokumentieren

Ist abzusehen, dass ein Abkömmling im Wesentlichen die Hauptlast der an das pflegebedürftige Elternteil zu erbringenden Leistungen trägt, ist die Pflegeperson gut beraten, die erbrachten Leistungen zumindest grob nach Ort, Art und Zeit zu dokumentieren. Gleiches gilt für die Dokumentation der Pflegebedürftigkeit des betroffenen Elternteils. Ratsam ist zudem, die Bescheide über die Gewährung von Pflegestufen beziehungsweise Pflegegraden aufzubewahren. Derartige Maßnahmen helfen später bei der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft sowie Unklarheiten im Hinblick auf den Ausgleichsanspruch gemäß § 2057a BGB für den pflegenden Miterben zu beseitigen.

Auslegungsprobleme

Aus dem Gesagten folgt aber nicht, dass jeder Erbe, der den Erblasser gepflegt hat, seine Pflegeaufwendungen von den Miterben automatisch erstattet bekommt. Dies ergibt sich aus einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 24. März 2021 (IV ZR 296/20). Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Pflichtteilsstreit, bei dem der Erbe die Pflichtteilsforderung unter der Berücksichtigung eines ihm nach § 2057a BGB mutmaßlich zustehenden Ausgleichsanspruchs ablehnte. Der Erbe hatte den Erblasser über einen sehr langen Zeitraum gepflegt. Der BGH führte aus, dass die Regelung des § 2057a BGB der Disposition des Erblassers unterliege, mithin dieser ohne Weiteres berechtigt sei, die Ausgleichungspflicht einzuschränken oder auszuschließen. Dies entspreche der herrschenden Meinung. Folglich müsse eine entsprechende Regelung ausdrücklich in die Verfügung von Todes wegen aufgenommen werden, um zu verhindern, dass erst im Wege der Auslegung ermittelt werden könne, ob eine Ausgleichungspflicht nach § 2057a BGB vom Erblasser gewollt sei oder ob allein durch die Erbeinsetzung des pflegenden Abkömmlings die Pflegeleistungen hinreichend kompensiert sein sollten, ohne dass die Pflegeleistungen sich darüber hinaus noch mindernd auf den Pflichtteil auswirken.

Regelung im Testament

Spätestens nach dieser BGH-Entscheidung bietet es sich an, etwa in einem Testament klar zu regeln, ob diejenigen Erben, die den Erblasser bis zum Tod gepflegt haben, neben der Erbschaft auch einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch gegen die übrigen Erben haben sollen oder nicht. Eine entsprechende Formulierung, die einen Ausgleich nach § 2057a BGB ausschließt, könnte wie folgt lauten: „Ich setze meine Tochter zu meiner Alleinerbin ein. Eine Nacherbfolge findet nicht statt. Meine Tochter hat mich seit dem Jahr […] hingebungsvoll gepflegt. Ich schließe den Ausgleich dieser Leistungen meiner Tochter nach § 2057a BGB aus. Die Pflegeleistungen meiner Tochter sollen daher bei der Berechnung des Pflichtteils meines Sohnes S unberücksichtigt bleiben.“

Pflegeleistungen und Pflichtteilsansprüche

Bereits im Jahre 1992 hatte der BGH dargelegt, dass Pflegeleistungen von Abkömmlingen nach § 2057a BGB auch bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen seien (BGH, Urteil vom 09.12.1992, NJW 1993, 1197). Die Ausgleichsforderung des § 2057a BGB wirke dabei sowohl zugunsten als auch zulasten des Pflichtteilsberechtigten. Der Berechnung des Pflichtteils sei stets der gesetzliche Erbteil in der Gestalt zugrunde zu legen, den der Pflichtteilsberechtigte im Fall der gesetzlichen Erbfolge auch unter Berücksichtigung der Leistungen nach § 2057a BGB erhalten würde. Daraus folgt, dass etwaige Leistungen, die nach § 2057a BGB auszugleichen sind, auch in einem notariellen Nachlassverzeichnis darzustellen sind, da sie für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils maßgeblich sind. Der Notar muss über diese Leistungen aufklären und sie dokumentieren, während der Anwalt des pflegenden Abkömmlings auf die Aufnahme der ausgleichspflichtigen Leistungen nach § 2057a BGB bestehen sollte.

Fazit

Potenzielle Erblasser sind gut beraten, ihre Nachfolge frühzeitig zu regeln, sofern sie wollen, dass das Erbe bei denjenigen ankommt, die die ganze Pflegelast tragen. Es bietet sich an, im Rahmen eines Testaments festzulegen, wie hoch entsprechende Ausgleichszahlungen ausfallen sollen, um nachträglich Auslegungsprobleme zu vermeiden.

Mehr dazu

DATEV-Fachbuch: „Ratgeber häusliche Pflege“, 4. Auflage, www.datev.de/shop/35495

Elektronisches Wissen Familienrecht, www.datev.de/shop/60177

Zum Autor

Dr. Sven Gelbke

Rechtsanwalt in Köln und Geschäftsführer der JustSolutions GmbH

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