Digitale Transformation - 27. Oktober 2022

Besteht ein Recht auf Weiterbildung?

Mit der Digitalisierung entstehen viele neue Betätigungsfelder, zugleich aber werden zahlreiche bisherige Arbeitsplätze verschwinden. In Zeiten des Fachkräftemangels stellt sich somit die Frage, ob man Mitarbeiter zu einer Qualifizierung verpflichten kann oder diese hierzu gar einen Rechtsanspruch haben.

Die Entstehung und fortlaufende Weiterentwicklung digitaler Technologien wirkt sich auf viele Bereiche unseres Lebens aus. Wer erkennt sich etwa nicht dabei wieder, lieber schnell im Internet Bücher oder Kleidung zu bestellen, anstatt zum Einkaufen zu fahren? Und ist es auch nicht viel bequemer, eine Überweisung über Online-Banking zu tätigen? Dieser digitale Fortschritt wirkt sich zwangsläufig auch auf unsere Arbeitswelt aus. In vielen Branchen werden bestehende Arbeitsplätze nicht mehr benötigt oder sind zumindest, um neue Tätigkeitsfelder zu erweitern. Gleichzeitig werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Aus der Prognose Digitalisierte Arbeitswelt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2019 ging bereits hervor, dass bis zum Jahr 2035 fast 3,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen werden. Zugleich sollen aber auch etwa 4 Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Es ist davon auszugehen, dass die Corona-Pandemie diese Zahlen zwischenzeitlich noch hat ansteigen lassen. Problematisch ist dies für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber insoweit, da viele Mitarbeiter derzeit noch nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um die neuen Aufgabenbereiche zu übernehmen oder gar neue Arbeitsplätze zu besetzen. Das wird zwangsläufig zu einem erheblichen Fachkräftemangel führen, sodass es für Arbeitgeber schwer werden dürfte, neue qualifizierte Arbeitnehmer zu finden. Da stellt sich natürlich die Frage, wie man dem bereits jetzt am besten entgegenwirken kann. Sinnvoll ist es, den bereits beschäftigten Arbeitnehmern eine Qualifizierung zu ermöglichen, damit diese mit neuen Aufgaben betraut werden können.

Können Arbeitgeber Qualifizierung verlangen?

Es ist zunächst zu beleuchten, ob Arbeitnehmer dazu verpflichtet sind, nach Aufforderung des Arbeitgebers eine Qualifizierung durchzuführen. Für bestimmte Berufsgruppen, wie etwa Ärzte und Fachanwälte, besteht bereits eine gesetzliche Fortbildungspflicht. Dies ist allerdings die Ausnahme. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, dass Arbeitgeber über ihr Weisungsrecht gemäß § 106 Gewerbeordnung Qualifizierungen anordnen. Aber wie weit greift dieses Weisungsrecht? Dient die angeordnete Fortbildung dem Erhalt von Fähigkeiten des Arbeitnehmers, die zur Durchführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit erforderlich sind, ist dies möglich. Problematisch wird es jedoch, wenn durch die Qualifizierung vollkommen neue Kenntnisse angeeignet werden sollen, die im Ergebnis dazu führen, dass der Arbeitnehmer ein völlig anderes Aufgabengebiet ausführt. Freilich ist nicht jede Erweiterung des Aufgabenbereichs auch zugleich eine neue Tätigkeit. Berufsbilder ändern sich im Laufe der Zeit, was entsprechend zu berücksichtigen ist. Dient die Qualifizierung jedoch der Übernahme eines komplett anderen Aufgabenbereichs, wird das Weisungsrecht an seine Grenzen stoßen.

Arbeitnehmeranspruch auf eine Qualifizierung?

Aus Arbeitnehmersicht stellt sich wiederum die Frage, ob ein Anspruch auf eine Qualifizierung besteht. Grundsätzlich können Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Regelungen zu Qualifizierungen enthalten. Meist werden sich diese aber auf Regelungen zu bestimmten Teilbereichen erschöpfen und vermitteln den Arbeitnehmern daher keinen einklagbaren Anspruch. Auch arbeitsvertraglich geregelte Ansprüche dürften eher die Ausnahme sein. Da Arbeitgeber grundsätzlich nicht dazu verpflichtet sind, eine Qualifizierung zu gewährleisten, wird diese Möglichkeit durch Arbeitgeber bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses freiwillig wohl eher selten eingeräumt werden. Auch ein allgemeiner gesetzlicher Anspruch besteht nicht. Zwar kann eine betriebsbedingte Kündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam sein, sofern eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist. Ein Anspruch für Arbeitnehmer auf Qualifizierung wird hierdurch allerdings nicht begründet.

Wie löst man das Problem?

Da meist keine rechtliche Grundlage gegeben ist, wird man versuchen müssen, eine einvernehmliche Lösung mit den Arbeitnehmern herbeizuführen. Dies ist grundsätzlich immer möglich und sollte in der überwiegenden Anzahl der Fälle auch im Interesse beider Parteien liegen. Als Arbeitgeber kann man hierdurch Bestandsmitarbeiter halten und muss sich nicht auf eine langwierige Suche nach neuen Arbeitnehmern begeben. Denn diese dürften aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels sehr schwer zu finden sein, gerade wenn eine Vielzahl von Stellen besetzt werden muss. Aber auch die Mitarbeiter sollten in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit aufgrund digitaler Transformation bereits ein grundlegendes Interesse an Qualifizierungsmaßnahmen haben. Zeigen sich Arbeitnehmer dennoch nicht allzu begeistert, lässt sich die Motivation womöglich dadurch steigern, dass der Arbeitgeber die Kosten der Qualifizierung übernimmt. Zudem kann eine bezahlte Freistellung vereinbart werden. Dies mag gerade in Zeiten von Corona, in denen viele Unternehmen ihr Budget genauer im Blick haben müssen, zunächst nicht unbedingt verlockend klingen. Aber auch hier gibt es Entlastungen.

Qualifizierungschancengesetz

Das im Jahr 2019 in Kraft getretene Qualifizierungschancengesetz zielt gerade darauf ab, die Weiterbildung von beschäftigten Arbeitnehmern, deren Tätigkeiten durch Technologien ersetzt werden können oder die neue Aufgaben infolge des Strukturwandels übernehmen müssen, staatlich zu fördern. Unter bestimmten Voraussetzungen trägt die Bundesagentur für Arbeit die Weiterbildungskosten bis zu 100 Prozent. Auch Gehaltskosten können je nach Betriebsgröße in unterschiedlicher Höhe bezuschusst werden. Sofern der betreffende Arbeitnehmer keinen Berufsabschluss hat und es sich um eine berufsabschlussbezogene Weiterbildung handelt, ist sogar ein Zuschuss in Höhe von 100 Prozent möglich.

Die Weiterbildungsvereinbarung

Können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Ergebnis auf eine Qualifizierung verständigen, sollte eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien abgeschlossen werden. In dieser können neben Regelungen zur konkreten Qualifizierungsmaßnahme auch weitere, vor allem für Arbeitgeber sinnvolle Inhalte niedergelegt werden. Trägt der Arbeitgeber die Kosten für die Qualifizierung teilweise oder sogar vollständig aus eigener Tasche und bringt die Qualifizierung dem Arbeitnehmer auch über das konkrete Arbeitsverhältnis hinaus am allgemeinen Arbeitsmarkt berufliche Vorteile? Dann kann im Rahmen einer solchen Vereinbarung eine Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen mittels einer Rückzahlungsvereinbarung für eine bestimmte Zeit herbeigeführt werden. Arbeitgeber haben selbstverständlich ein Interesse daran, die durch eine Qualifizierung erworbenen Kenntnisse langfristig in ihrem Unternehmen zu nutzen. Da diesem Bedürfnis jedoch das in Art. 12 Grundgesetz verankerte Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, entgegensteht, darf der Arbeitnehmer durch die Rückzahlungsklausel im Ergebnis aber nicht unangemessen benachteiligt werden. Und genau das führt dazu, dass die rechtswirksame Ausgestaltung einer solchen Vereinbarung sehr hohen Anforderungen unterliegt. Zunächst müssen die durch den Arbeitgeber übernommenen Kosten genau bezeichnet sowie deren Höhe angegeben werden. Dem Arbeitnehmer muss schließlich ersichtlich sein, welche Rückzahlungsverpflichtung auf ihn zukommen kann.

Gestaltung der Bindungsdauer

Und auch die Bestimmung einer angemessenen Bindungsdauer gestaltet sich oft sehr schwierig, da dies immer vom Einzelfall abhängig ist. Zu berücksichtigen ist insbesondere die Dauer der Qualifizierungsmaßnahme einhergehend mit bezahlter Freistellung. Aber auch weitere Faktoren, wie die Qualität der Qualifizierungsmaßnahme und die daraus resultierenden Vorteile für den Arbeitnehmer, sind zu berücksichtigen. Hat man dann eine angemessene Bindungsdauer festgestellt, muss auch zwingend geregelt werden, dass sich die Rückzahlungsverpflichtung der Höhe nach für jeden vollen Beschäftigungsmonat nach Abschluss der Qualifizierung um ein Zwölftel mindert. Zudem ist auch zwingend zu regeln, dass nicht jede Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rückzahlungsverpflichtung auslöst. Fälle, in denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Sphäre des Arbeitgebers entstammt, sind auszunehmen. Und auch an eine Regelung zur Rückzahlung bei einem verschuldeten Abbruch der Qualifizierung durch den Arbeitnehmer sollte man denken. Es gilt also, vieles zu beachten. Um unwirksame Klauseln zu vermeiden, empfiehlt es sich, für die Vertragsgestaltung einen Rechtsanwalt ins Boot zu holen.

Fazit

Qualifizierungsmaßnahmen stellen ein geeignetes Mittel dar, um den Auswirkungen der digitalen Transformation auf den Arbeitsmarkt entgegenzuwirken. Daher sollte man sich eher früher als später mit diesem Thema auseinandersetzen. Arbeitgeber können hierdurch Arbeitsplätze in ihrem Unternehmen für die Zukunft sichern. Aber auch für die Mitarbeiter bieten sich hierdurch viele Vorteile. Neben der Möglichkeit, neues Wissen zu erwerben und sich am Arbeitsmarkt seinen Marktwert für die Zukunft zu sichern, kann im konkreten Arbeitsverhältnis auch eine ansonsten gegebenenfalls unumgängliche Kündigung vermieden werden.

Mehr dazu

finden Sie unter www.datev.de/fachkraefte-gewinnen

Ihr Weg in die digitale Kanzlei: www.datev.de/wissen-digitalisierung

Zur Autorin

NG
Nicole Golomb

Rechtsanwältin bei Ecovis in Regensburg

Weitere Artikel der Autorin