Umsatz­steuer­gesetz - 25. August 2016

Kommunen vor der Wahl

Eine neue umsatzsteuerliche Rechts­vor­schrift für öffent­liche Be­triebe er­fordert drin­gen­den Hand­lungs­bedarf für das Jahr 2016.

Zum 1. Januar 2016 wurde durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 2015 eine neue Rechts­vorschrift in Form des § 2b Umsatzsteuergesetz (UStG) eingeführt. Danach gelten juristische Personen öffentlichen Rechts (jPöR) nicht als Unternehmer, soweit sie Tätigkeiten ausüben, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Dies gilt auch, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Auf der anderen Seite gelten dann jPöR als Unternehmer im Sinne des UStG, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen gemäß § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG führen würde. Das ist der Fall, wenn sie ausschließlich auf privatrechtlicher Grundlage tätig werden.

Wettbewerbsverzerrungen

Gemäß § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG liegen keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vor, wenn der von einer jPöR im Kalenderjahr aus gleichartigen Tätigkeiten erzielte Umsatz voraussichtlich 17.500 Euro jeweils nicht übersteigen wird. Unklar ist, was unter „gleichartigen Tätigkeiten“ zu verstehen ist. Sind damit Tätigkeiten definiert, die jPöR im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, dann stellt sich die Frage, warum solche Tätigkeiten selbst aus einem unternehmerischen Bereich bei einer Grenze unter 17.500,00 Euro keine größeren Wettbewerbsverzerrungen darstellen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Umsatzgrenze – teilweise aus der Klein­unter­nehmer­regelung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG) übernommen – nun auf § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG übertragen wurde. Denn sollten diese Tätigkeiten dem unternehmerischen Bereich der jPöR eindeutig zugeordnet werden, sind solche Tätigkeiten per se dem unternehmerischen Bereich der jPöR und damit § 2 UStG zuzuordnen. Darüber hinaus liegt nach § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG keine große Wettbewerbsverzerrung vor, wenn vergleichbare, auf privatrechtlicher Grundlage erbrachte Leistungen einer Steuerbefreiung unterliegen und nicht nach § 9 UStG für Umsatz­steuer­pflicht optiert wurde. Der Sinn dieser Vorschrift besteht darin, dass auch Unternehmen aus dem privaten Sektor wegen steuerfreien Umsätzen gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG kein Vorsteuerabzug auf ihre Eingangsumsätze zustehen, sodass keine Differenzierung zwischen öffentlicher und privater Hand mit der Folge fehlender Wettbewerbsverzerrung vonnöten ist. Der wichtigste An­wen­dungs­fall betrifft hier die Vermietungsumsätze nach § 4 Nr. 12 UStG.

Interkommunale Beistandsleistungen

In § 2b Abs. 3 UStG sind die zwischen Kommunen erbrachten Leistungen (öffentlich-rechtliche interkommunale Beistandsleistungen) geregelt. Es handelt sich ebenfalls wie bei § 2b Abs. 2 UStG um eine gesetzliche unwiderlegbare Vermutung, die einen Negativkatalog darstellt, der durch die Verwendung des Rechtsbegriffs „insbesondere“ nicht abschließend ist. Die Voraussetzungen unter § 2b Abs. 3 Nr. 2 a)–d) UStG müssen darüber hinaus noch kumulativ erfüllt sein. Darin ist bestimmt, dass, sofern eine Leistung an eine andere jPöR ausgeführt wird, keine größere Wett­be­werbs­ver­zerrung vorliegt, wenn die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. In der gesetzlichen Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „langfristig“, „Kosten“, „gleichartig“ oder „im Wesentlichen“ besteht noch ein erheblicher Auslegungsbedarf, weil dies weder vom Gesetzgeber noch von der Finanzverwaltung bis heute befriedigend geklärt wurde.

EU-Vergaberecht

Zur Abgrenzung größerer Wett­be­werbs­ver­zerrungen kann das EU-Vergaberecht herangezogen werden.

Für die Abgrenzungskriterien hinsichtlich größerer Wettbewerbsverzerrungen könnten vor allem die auf der Basis des EU-Vergaberechts entwickelten Grundsätze herangezogen werden. Größere Wettbewerbsverzerrungen werden gemäß § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG verneint, wenn die Zusammenarbeit der öffentlichen Einrichtungen durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt wird. Dieses Kriterium, welches aus Art. 12 Abs. 4b. der EU-Vergaberichtlinie abgeleitet wurde, kann sowohl bei Fallgestaltungen, bei denen die leistende jPöR vom öffentlichen Auftraggeber kontrolliert wird, als auch bei der gleichberechtigten Zusammenarbeit von jPöR erfüllt sein. Die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebenden Grundsätze könnten bei der Auslegung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG herangezogen werden, sodass bei Leis­tungs­ver­ein­ba­run­gen über verwaltungsunterstützende Hilfstätigkeiten (zum Beispiel Ge­bäu­de­rei­ni­gung) re­gel­mäßig an­zu­nehmen ist, dass diese nicht durch spezifisch öffentliche In­te­res­sen be­stimmt sind (vgl. BFH-Urt. IV R 46/05 vom 15.05.2008 – C-386/11, Piepenbrock). Entsprechendes dürfte für Vereinbarungen gelten, deren Gegenstand im Wesentlichen auf die Ausführung von Grünpflegearbeiten sowie von Neubau- und Sa­nie­rungs­maß­nahmen an Straßen und Gebäuden beschränkt ist. So wird eine durch gemeinsame spe­zi­fische öf­fent­liche In­te­res­sen bestimmte Zusammenarbeit regelmäßig auf der Basis langfristiger öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen gemäß § 2b Abs. 3 Nr. 2a) UStG erfolgen. Diese Bedingung ist zwar nicht ausdrücklich in Art. 12 der EU-Vergaberichtlinie genannt, ergibt sich aber aus der Rechtsprechung des EuGH zum Wettbewerbsbegriff des EU-Vergaberechts (vgl. BFH-Urt. IV R 46/05 vom 15.05.2008 – C-480/06, Hamburger Stadtreinigung). Auch bei Fallgestaltungen, in denen der öffentliche Auftraggeber die leistende jPöR kontrolliert, werden regelmäßig langfristige öffentlich-rechtliche Vereinbarungen vorliegen. Basiert die Zusammenarbeit der öffentlichen Einrichtungen dagegen auf kurzfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen, handelt es sich üblicherweise um gelegentliche Amtshilfe, die mangels Nachhaltigkeit nicht zu einer wirt­schaft­lichen Tätigkeit im Sinne des Art. 9 Richtlinie über das gemeinsame Mehrwert­steuer­system (MwStSystRL) der leistenden jPöR führt.

Übergangsregelung

Die Neuregelung der Unternehmereigenschaft von jPöR markiert eine Zäsur bei der Um­satz­be­steue­rung öffentlicher Leistungen. Den Betroffenen muss ein geordneter Wechsel in das neue Besteuerungssystem ermöglicht werden. Eine Übergangsregelung (§ 27 Abs. 22 UStG) ermöglicht es den Betroffenen, die bisherige Rechtslage während eines Fünfjahreszeitraums fortzuführen: Der bisher geltende § 2 Abs. 3 UStG wird zum 1. Januar 2016 formell aufgehoben, ist aber kraft der Regelung in § 27 Abs. 22 Satz 1 UStG für die im Jahr 2016 auszuführenden Umsätze weiterhin anzuwenden. § 27 Abs. 22 Satz 1 UStG regelt, das der neue § 2b UStG an die Stelle des § 2 Abs. 3 UStG ab dem Jahr 2017 für auszuführende Umsätze tritt. Entscheidet sich eine jPöR für die weitere Anwendung des bisherigen § 2 Abs. 3 UStG, muss sie dies einmalig gegenüber dem Finanzamt bis zum 31. Dezember 2016 formlos erklären. In diesem Fall gilt die bisherige Regelung des § 2 Abs. 3 UStG für sämtliche vor dem 1. Januar 2021 auszuführende Umsätze weiter. Eine Beschränkung der Erklärung auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen ist nicht zulässig. Sie kann nur mit Wirkung zum nächstfolgenden Beginn eines Kalenderjahrs widerrufen werden. Im Fall der Erklärung ist ein Wechsel zum neuen Recht schon vor dem 1. Januar 2021 möglich, aber jeweils nur mit Wirkung zum Beginn des jeweils nachfolgenden Ver­an­la­gungs­zeit­raums. Nach einem solchen Wechsel hin zum neuen Recht ist die erneute Rückkehr zum alten Recht ausgeschlossen. Für auszuführende Umsätze ab dem 1. Januar 2021 gilt ausschließlich die Neuregelung des § 2b UStG.

BMF-Schreiben

Die leistungserbringende Einheit darf ihre Preise nur kostendeckend kalkulieren.

Das BMF (Schreiben vom 19.04.2016, III C 2 – S 7106/07/10012-06) hat vor kurzem zur Anwendung der Übergangsregelung Stellung genommen und führte unter anderem aus, dass es sich bei der Erklärung (Optionserklärung) nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handele, die durch eine jPöR für sämtliche von ihr ausgeübte Tätigkeiten einheitlich abzugeben sei und dass die Abgabe einer solchen Erklärung durch eine einzelne Organisationseinheit oder Einrichtung der jPöR (zum Beispiel Behörde, Dienststelle) nur für ihren Bereich nicht zulässig sei. Außerdem sei für diese Erklärung keine spezielle Form vorgesehen. Zur besseren Nachvollziehbarkeit sollten die Finanzämter die Schriftform anregen. Aus der Erklärung müsse sich hinreichend deutlich ergeben, dass die jPöR § 2 Abs. 3 UStG in der am 31. Dezember 2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31. Dezember 2016 und vor dem 1. Januar 2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwende. Hat sich eine jPöR bisher auf die neuere Rechtsprechung des BFH zur Unternehmereigenschaft der jPöR berufen, könne sie dennoch eine Erklärung mit der Wirkung abgeben, dass für sie ab dem 1. Januar 2017 § 2 Abs. 3 UStG in der am 31. Dezember 2015 geltenden Fassung anzuwenden sei. Diese Erklärung sei durch den gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten abzugeben und grundsätzlich an das nach § 21 Abgabenordnung (AO) zuständige Finanzamt zu richten. Ein BMF-Schreiben zu den Regelungen in § 2b UStG werde zu einem späteren Zeitpunkt ergehen.

Handlungsbedarf

Den Betroffenen wird vom Gesetzgeber Zeit eingeräumt, sich bis zum 31. Dezember 2016 entweder für das alte Recht des § 2 Abs. 3 UStG oder für das neue Recht des § 2b UStG zu entscheiden. Macht eine jPöR von dieser Regelung rechtzeitig bis zum 31. Dezember 2016 keinen Gebrauch, werden ihre sämtlichen auszuführenden Umsätze ab dem 1. Januar 2017 nach dem neuen Recht des § 2b UStG behandelt. Es ist daher allen jPÖR zu empfehlen, zwingend noch im Jahr 2016 zu überprüfen, welchen Umfang das eigene umsatzsteuerliche Unternehmen nach neuem Recht künftig haben wird. Als Nächstes muss unter Berücksichtigung der oben genannten Überprüfung der bestmögliche Zeitpunkt für den Wechsel bestimmt werden.

Beispiel

Eine Kommune verlangt für das Zeitparken auf einem Teil der Stellplätze einer öffentlichen Tief­garage Gebühren. Zuvor hatte sie aufgrund einer Widmungsverfügung die Stellplätze als Gemeindestraße gewidmet, die Ein- und Ausfahrtrampe sollte als öffentliche Zufahrt für die Benutzer der Parkflächen dienen. Die Kommune erzielt mit der Tätigkeit

1) voraussichtlich mehr als 17.500 Euro im Kalenderjahr

2) voraussichtlich weniger als 17.500 Euro im Kalenderjahr

Lösung zu 1)

Zwar hat die Kommune bei der Parkraumüberlassung in der Tiefgarage auf hoheitlicher Grundlage gehandelt, ihre Behandlung als Nichtunternehmer würde jedoch zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Eine Tiefgarage hat gegenüber den dem allgemeinen Verkehr dienenden Straßenflächen eine eigenständige Bedeutung. Sie kann nach der Art der Tätigkeit ebenso durch einen privaten Leistungsanbieter zur Nutzung überlassen werden. Die Nicht­be­steue­rung des auf hoheitlicher Grundlage durchgeführten Betriebs einer ge­büh­ren­pflich­ti­gen Tief­garage würde damit zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen, da bei einer nach der Art der Leistung vorzunehmenden Wettbewerbsprüfung nicht zwischen Tiefgaragen, Parkhäusern und anderen selbstständigen Parkplätzen zu differenzieren ist. Die Kommune übt die Tätigkeit damit als Unternehmer aus, was aus § 2b Abs. 1 Satz 2 UStG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 UStG folgt. Die Tätigkeit der Kommune ist somit steuerbar und steuerpflichtig.

Lösung zu 2)

Sofern die Kommune aus gleichartigen Tätigkeiten voraussichtlich nicht mehr als 17.500 Euro im Kalenderjahr erzielen wird, ist hier die gesetzliche Vermutung in § 2b Abs. 2 Nr. 1 UStG ein­schlä­gig. Die Kommune übt die Tätigkeit damit nicht unternehmerisch aus, sodass diese Tätigkeit der Umsatzbesteuerung nicht unterliegt.

Fazit

Die Neuregelung des § 2b UStG stellt nun im Wesentlichen klar, dass die Vermögensverwaltung in Zukunft umsatzsteuerbar ist und es auf die Jahresumsatzgrenze in Höhe von 30.678 Euro als Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art für Umsatzsteuerzwecke in Zukunft nicht mehr ankommt, soweit eine jPöR ihre Tätigkeiten auf privatrechtlicher Grundlage erbringt, sie ohne weitere Einschränkungen unternehmerisch handelt und damit als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG zu behandeln ist. Bei der Auslegung der Abgrenzungskriterien zu den öffentlich-rechtlichen Beistandsleistungen sind die auf der Basis des EU-Vergaberechts von dem EuGH entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Angesichts der enormen Menge klä­rungs­be­dürf­tiger im Gesetz vorgegebener neuer begrifflicher Definitionen ist es nicht auszuschließen, dass sich die deutschen Finanzgerichte zunehmend mit dem neuen § 2b UStG inhaltlich in absehbarer Zeit beschäftigen werden.

Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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