Das Europäische Nach­lass­zeugnis - 17. Juli 2014

Erbschein adieu?

Bei Verabschiedung der EU-Erb­rechts­ver­ord­nung hat der euro­päische Ge­setz­geber ein bis dato gänz­lich un­be­kanntes Doku­ment ein­ge­führt, das an­stelle des hier­zu­lande ver­trauten Erb­scheins beantragt werden kann.

Das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) soll es insbesondere Erben und Testamentsvollstreckern erleichtern, ihre Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat nachzuweisen. Damit wird dem in der Praxis weitverbreiteten Problem Rechnung getragen, dass die zuständigen Stellen eines Staates die rechtliche Bedeutung und Aussagekraft der in einem anderen Staat ausgestellten Dokumente oftmals nicht kennen und deshalb nicht akzeptieren.
Das führt immer wieder zu erheblichen Verzögerungen sowie zur Entstehung zusätzlicher Kosten im Rahmen der Nachlassabwicklung.

Inhalt des ENZ

Um das vorgenannte Ziel zu erreichen, stellt das ENZ einen unionsweit einheitlichen Erbnachweis dar. Es kann unter anderem Auskunft über folgende Punkte enthalten:

  • die Person des Erblassers,
  • die Person des oder der Erben sowie deren Erbquoten,
  • Beschränkungen der Erben,
  • die Befugnisse eines Testamentsvollstreckers,
  • die auf den Erbfall anzuwendende nationale Rechtsordnung sowie
  • die persönlichen Daten des Erblassers, der Erben und des Testamentsvollstreckers.

Wirkungen

Das ENZ entfaltet seine Wirkung in allen Mitgliedstaaten, in denen die EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) gilt, ohne dass es hierzu eines besonderen Verfahrens bedarf. Das bedeutet, dass ins­be­son­dere ausländische, staatliche Stellen die im ENZ ausgewiesene Sach- und Rechtslage grundsätzlich anzuerkennen haben.
Hat also etwa ein italienisches Gericht über die Erbfolge eines Erblassers entschieden, sind jedenfalls im Normalfall alle Stellen der übrigen Mitgliedstaaten an diese Entscheidung gebunden.
Das ENZ kann insbesondere nicht auf den Nachlass in einem Mitgliedstaat beschränkt werden. Auf diese Weise soll in erster Linie für Erben und Testamentsvollstrecker die Verfügung über im Ausland befindliches Vermögen vereinfacht werden.
Sofern bei der Erteilung des ENZ gewisse Mindestanforderungen erfüllt wurden, kann es darüber hinaus den Nachweis der Erbfolge sowohl im Grundbuch als auch im Handelsregister erbringen.

Vertrauensschutz

Ähnlich dem deutschen Erbschein erzeugt auch das ENZ im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs gewisse Vermutungen. Das bedeutet, dass ein Dritter auf die Richtigkeit der im ENZ ausgewiesenen Umstände vertrauen darf, solange er nicht deren Unrichtigkeit kennt oder kennen muss.
Wer also etwa Zahlungen auf der Grundlage einer im ENZ enthaltenen Angabe leistet, kann grundsätzlich darauf vertrauen, an den richtigen Gläubiger zu zahlen. Ebenso verhält es sich, wenn eine Person im ENZ als zur Verfügung über Nachlassgegenstände bezeichnet ist und man von dieser Person Gegenstände aus dem Nachlass erwirbt; der Erwerber ist dann in seinem Vertrauen geschützt, da er in jedem Fall so behandelt wird, als habe er Gegenstände von einem Berechtigten erworben, selbst wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte.

Verhältnis zum Erbschein

Der deutsche Erbschein wird durch die Einführung des ENZ nicht verdrängt. Das schon deshalb nicht, weil das ENZ lediglich zur Verwendung im Ausland beantragt werden kann. Bei Erbfällen ohne Auslandsbezug wird daher auch in Zukunft allein die Beantragung eines deutschen Erbscheins in Betracht kommen.
Bei der Abwicklung von Nachlassangelegenheiten, die einen Auslandsbezug aufweisen, werden zukünftig beide Dokumente nebeneinander existieren können. Zwar wird die Erteilung eines Erbscheins häufig entbehrlich sein, sobald ein ENZ erteilt wurde. Grundsätzlich möglich wird die Beantragung eines Erbscheins jedoch auch in diesem Fall bleiben.

Verfahren

Antrags­­be­­rech­­tigt sind neben den Erben auch Tes­ta­­ments­­voll­­strecker oder Nach­­lass­­ver­walter.

Die Erteilung des ENZ setzt einen Antrag voraus. An­­trags­­be­­rech­­tigt sind neben den po­­ten­­ziel­­len Erben zudem Testa­­ments­­voll­strecker oder Nach­­lass­­ver­­walter. Nicht an­­trags­­be­­rech­tigt sind Nach­­lass­­gläubiger.
Zuständig für die Erteilung des Zeugnisses ist das Gericht oder die Behörde, die nach der EU-ErbVO auch zu den sonstigen Entscheidungen in der Nach­lass­an­ge­le­gen­heit berufen ist; in der Regel also das zuständige Gericht in dem Staat, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Anders als im deutschen Erbscheinverfahren wird dem Antragsteller nur eine Abschrift des ENZ ausgehändigt, die zudem nur eine Gültigkeit von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Ausstellung aufweist.
Nach Ablauf dieses Zeitraums kann jedoch eine Verlängerung der Gültigkeit oder eine neue beglaubigte Abschrift beantragt werden.

Fazit

Das Europäische Nachlasszeugnis soll die Abwicklung grenzüberschreitender Erbfälle erleichtern. In der Tat tauchen in der Praxis hier häufig Probleme auf, sodass seine Einführung zu begrüßen ist.
Bei entsprechenden Sachverhalten kann es daher in Zukunft ratsam sein, statt eines Erbscheins direkt die Erteilung eines ENZ zu beantragen. Da ein Dokument dieser Art bislang unbekannt ist, wird sich der tatsächliche praktische Nutzen allerdings noch zeigen müssen.
Wie die gesamte EU-ErbVO wird auch das ENZ erst auf Erbfälle ab dem 17. August 2015 Anwendung finden.

Zu den Autoren

Karin Friedrich-Büttner

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Erbrecht sowie Fachanwältin für Familienrecht. Sie ist Partner bei ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU – Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater – Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg.

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Dr. Ulrich Kühle

Bis zum 31. Mai 2014 Rechtsanwalt und Associate bei ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU – Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater – Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg

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