Der Konflikt um die gesetzliche Rentenversicherungspflicht ist eine Art Stellvertreterkrieg, den es zu beenden gilt. Insoweit ist vor allem die Politik gefordert, eine für alle Beteiligten tragbare Lösung zu finden.
Der Konflikt zwischen der Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ist geradezu vorprogrammiert. Denn inzwischen bestehen für die meisten verkammerten freien Berufe Versorgungswerke, in denen die Mitgliedschaft ebenso Pflicht ist wie in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Hinzu kommt: Anders als die gesetzliche Rentenversicherung beruhen die berufsständischen Versorgungseinrichtungen nicht auf Bundes-, sondern auf Landesrecht und erfassen deshalb in durchaus unterschiedlicher Weise und nicht immer parallel die Angehörigen freier Berufe, die verkammert sind. So sind beispielsweise die Patentanwälte in Bayern Pflichtmitglieder der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (Art. 38 Abs. 1 Nr. 2 BayVersoG). In anderen Bundesländern gehören sie keinem Versorgungswerk an.
Die Versorgungswerke sind zusammengefasst in der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. (ABV) mit Sitz in Berlin. Diese umfasst inzwischen 89 durchaus unterschiedlich strukturierte Versorgungseinrichtungen, wie sich leicht aus der Zahl von 16 Bundesländern sowie der Anzahl an verkammerten freien Berufen, die erfasst werden, erklärt. Versorgungseinrichtungen bestehen vor allem für Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker (siehe die Übersicht unter www.abv.de).
Dem Grundsatz nach sind Pflichtmitglieder der berufsständischen Versorgungseinrichtungen die Mitglieder der Kammern für den betreffenden freien Beruf (siehe zum Beispiel Art. 33 ff. BayVersoG). Pflichtmitglied in der Rentenversicherung ist, wer „gegen Arbeitsentgelt (…) beschäftigt“ ist (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch [SGB] VI).
Das eine Mal wird also an einen (freien und verkammerten) Beruf, einen beruflichen Status angeknüpft, das andere Mal an die Art der Beschäftigung, nämlich eine solche gegen Arbeitsentgelt. Zwar sieht § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Angehörigen verkammerter freier Berufe die Möglichkeit zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bei Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung vor. Das kann aber bei Tätigkeit auf Basis eines Anstellungsvertrags, also gegen Arbeitsentgelt, zu handfesten Konflikten führen, wie jetzt die drei Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 2014 zeigen.
Motive
Es ist nachvollziehbar, warum so viele Freiberufler versuchen, sich zugunsten eines Versorgungswerks befreien zu lassen.
Nicht aus dem Auge lassen darf man die Gründe für das Entstehen der Versorgungswerke sowie die Motive der Berufsträger, sich zugunsten der Versorgungswerke von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen.
Die Versorgungswerke sind aus dem Bemühen entstanden, den Angehörigen freier Berufe eine der Sozialversicherung entsprechende Altersversorgung zu garantieren, die sie früher so nicht hatten, mit, wie sich gezeigt hat, erheblichen Problemen im Alter. Von diesem Ansatz her ist es gleich, ob Freiberufler der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht oder der Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk unterliegen. Hauptsache ist, sie sind für das Alter adäquat abgesichert.
Die Probleme, die jetzt aus den genannten Urteilen des BSG erwachsen, haben letztlich ihre Ursache darin, dass die Versorgungswerke attraktiver sind als die gesetzliche Rentenversicherung und deshalb jeder Freiberufler, auch wenn er gegen Arbeitsentgelt tätig ist, in das für ihn maßgebliche Versorgungswerk strebt und umgekehrt die gesetzliche Rentenversicherung mit aller Macht bemüht ist, die guten Risiken in Gestalt der Freiberufler, die ihr zugunsten der Versorgungswerke verloren gehen, wieder einzufangen.
Eben weil die berufsständischen Versorgungseinrichtungen attraktiver sind und der gesetzlichen Rentenversicherung gute Risiken nehmen, ist es seit geraumer Zeit keinem freien Beruf mehr gelungen, ein Versorgungswerk neu zu etablieren. Der letzte Berufsstand, der noch ein eigenes Versorgungswerk zu gründen vermochte, war der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer mit dem Versorgungswerk der Wirtschaftsprüfer in Nordrhein-Westfalen als Basis, dem sich aufgrund von Staatsverträgen die anderen Bundesländer angeschlossen haben. Den Steuerberatern ist das nicht mehr gelungen. In Bayern sind sie deshalb wie auch die Patentanwälte in der (nunmehrigen) Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung untergeschlüpft.
Wenn die gesetzliche Rentenversicherung im Alter erheblich bessere Leistungen bieten würde, als die berufsständischen Versorgungseinrichtungen das tun, dann würden viele Freiberufler versuchen, zumindest zusätzlich eine Beschäftigung „gegen Arbeitsentgelt“ (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) zu finden. Da es sich jedoch genau umgekehrt verhält, liegt es nahe, sich so weit wie möglich zugunsten eines Versorgungswerks befreien zu lassen.
Fazit
Im Vordergrund muss die Frage stehen, was den jeweiligen freien Beruf ausmacht, ihn prägt und ob sich diese Prägung im konkreten Anstellungsverhältnis verwirklicht. Das tut es am ehesten bei Anstellung in der Kanzlei oder der Praxis eines Kollegen. Aber auch darüber hinaus kann das Anstellungsverhältnis entsprechend ausgestaltet werden. Um Zweifel zu beseitigen und Rechtssicherheit zu geben, wäre es am sinnvollsten, eine gesetzliche Regelung entsprechend der in § 58 Nr. 5 a Steuerberatergesetz (StBerG) auch für andere freie Berufe zu treffen.