Status eines Drittstaats - 28. Januar 2021

Mit dem Brexit umgehen

Seit Anfang des Jahres ist die bislang größte Tragödie in der Geschichte der Europäischen Union Fakt. Das Vereinigte Königreich ist endgültig nicht mehr Teil der europäischen Familie – mit weitreichenden Folgen in zahlreichen Rechtsgebieten.

Auch wenn Großbritannien am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union (EU) austrat, ergaben sich aus steuerlicher Sicht zunächst keine unmittelbaren Konsequenzen. Das unter Biegen und Brechen verhandelte Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU sah eine sogenannte Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 vor. Der deutsche Gesetzgeber trug diesem Umstand mit dem Brexit-Übergangsgesetz Rechnung. Nach diesem Gesetz war Großbritannien innerhalb der Übergangsphase im Bundesrecht als EU-Mitglied zu behandeln. Dasselbe galt auch im Recht der Bundesländer, die hierzu eigene Gesetze erließen. Da das Steuerrecht so an den Status eines EU-Mitgliedstaats anknüpfte, hatte dies für Sachverhalte mit Bezug zu Großbritannien bis Ende 2020 keine negativen steuerlichen Konsequenzen. Das Vereinigte Königreich und die EU wollten die Übergangsphase nutzen, um die befürchteten Folgen eines harten Brexits zu vermeiden. Kurz vor knapp erfolgte schließlich die Einigung auf ein umfassendes Handels- und Kooperationsabkommen, das insbesondere Warenfreihandel ohne Zölle und Mengenbeschränkungen vorsieht. Damit wurde ein harter Brexit doch noch abgewendet. Im Steuerrecht ergeben sich dennoch weitreichende Konsequenzen. Denn aus steuerlicher Sicht bedeutet der Brexit, dass sich Großbritannien seit dem 1. Januar 2021 als steuerlicher Drittstaat behandeln lassen muss. Durch diese Stellung können Steuerpflichtige keine steuerlichen Privilegien mehr nutzen, die in grenzüberschreitenden Sachverhalten an den Status als EU- beziehungsweise EWR-Mitglied anknüpfen. Ebenso entfällt die Anwendung des Primärrechts der EU, darunter insbesondere die Anwendung der Grundfreiheiten. Jedoch bleibt für Beteiligungen an britischen Gesellschaften die Kapitalverkehrsfreiheit anwendbar, da diese auch Beteiligungen an Gesellschaften von Drittstaaten umfasst. Zu beachten ist, dass gegenüber Großbritannien die Stand-still-Klausel des Art. 64 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wiederauflebt, die Bestandsschutz für bestimmte Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit im Hinblick auf Drittstaaten gewährt.

Gesetzgeberische Maßnahmen

Mit dem am 29. März 2019 in Kraft getretenen Brexit-Steuerbegleitgesetz reagierte der deutsche Gesetzgeber bereits auf mögliche Besteuerungstatbestände, die durch den Austritt Großbritanniens aus der EU ausgelöst werden. Der bloße EU-Austritt sollte nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu negativen Folgen für die Steuerpflichtigen führen. In Verbindung mit dem Brexit-Übergangsgesetz bedeutet dies, dass der EU-Austritt steuerlich auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Übergangsphase fingiert wurde. An Stellen, an denen das Gesetz vom Austritt spricht, ist damit das Ende der Übergangsphase gemeint. Das Gesetz verhindert die durch den Austritt ausgelöste Liquidationsbesteuerung (§ 12 Abs. 3 S. 4 Körperschaftsteuergesetz – KStG). Zudem gewährt das Gesetz Bestandsschutz für vor dem Austritt gebildete Ausgleichsposten nach § 4g Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) sowie für eine Rücklagenbildung nach § 6b EStG, wenn die Antragstellung vor dem Austritt erfolgte (§ 6b Abs. 2a EStG). Bestandsschutz besteht auch im Fall einer Wegzugsbesteuerung für vor dem Austritt gewährte Stundungen nach § 6 Abs. 5, 8 Außensteuergesetz (AStG). Auch in anderen Steuerarten sollten durch das Brexit-Steuerbegleitgesetz negative Folgen verhindert werden. Im Bereich der Grunderwerbsteuer war nach § 4 Nr. 6 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) ein Wechsel des Rechtsträgers von Grundstücken von einer britischen Limited auf beispielsweise eine OHG steuerbefreit. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer galt für Erwerbe, für die die Steuer vor dem Ablauf der Übergangsphase entstanden ist, Großbritannien weiterhin als EU-Mitgliedstaat (§ 37 Abs. 17 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz – ErbStG). Dies hat verhindert, dass es zu nachteiligen Effekten für steuerbegünstigt übertragenes Betriebsvermögen nach § 13a Abs. 3 ErbStG kam. Denn sonst wären britische Löhne in der späteren Lohnsumme nicht mehr zum Tragen gekommen, während sie aber bei der Mindestlohnsumme hätten berücksichtigt werden müssen.

Sitztheorie für britische Limiteds

Mit dem Ausscheiden Großbritanniens wird auch die beliebte Rechtsform der britischen Limited aus Deutschland verschwinden. Nach Ablauf der Übergangsphase ist auf britische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland nämlich die Sitztheorie anzuwenden, wonach das Gesellschaftsstatut des Sitzstaats anzuwenden ist. Die Anwendung dieses Gesellschaftsstatuts wurde bisher durch die Niederlassungsfreiheit der EU verhindert. In Abhängigkeit der Gesellschafterstruktur der Limited kommt es durch Anwendung der Sitztheorie in Deutschland zur Begründung eines Einzelkaufmanns, einer GbR beziehungsweise einer OHG. Eine Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven in der Limited erfolgt hierdurch aber nicht. Denn der Gesetzgeber normierte in § 12 Abs. 4 KStG, dass das Betriebsvermögen, das einer Limited vor dem Austritt zugerechnet wurde, ihr auch nach dem Austritt ununterbrochen zugerechnet bleibt. Mit § 122m Umwandlungsgesetz (UmwG) schuf der Gesetzgeber zudem die Möglichkeit, sich der Limited noch vor dem Austritt zu entledigen, indem diese grenzüberschreitend auf eine deutsche Kapitalgesellschaft verschmolzen wird. Voraussetzung für die Anwendung von § 122m UmwG ist aber, dass der Verschmelzungsplan vor dem Austritt notariell beurkundet wurde und eine unverzügliche Registereintragung erfolgte. Durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 2 S. 3 UmwStG auf Verschmelzungen nach § 122m UmwG ist eine steuerliche Buchwertfortführung bei einer solchen Verschmelzung möglich. Nach dem Ende der Übergangsphase dürfte es für umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen aber bereits zu spät sein.

Wegfall von EU-Richtlinien

Zu zahlreichen Auswirkungen im Bereich der Ertragsteuern dürfte es in der Praxis noch durch den Wegfall wichtiger EU-Richtlinien kommen. Verbundene Unternehmen können seit dem 1. Januar 2021 nicht mehr die Steuerermäßigungen für Dividenden aus der Mutter-Tochter-Richtlinie beziehungsweise für Zinsen und Lizenzen aus der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie in Anspruch nehmen. Durch die Nichtanwendbarkeit der Richtlinien kommt es daher zu einer vermehrten Anwendung des deutschen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) mit Großbritannien. Zwar ermäßigt das Abkommen die Quellensteuer auf Zinsen und Lizenzgebühren auf null Prozent. Bei Dividenden ist aber nur eine maximale Ermäßigung auf fünf Prozent im Rahmen des Schachtelprivilegs möglich. Hierfür muss der im Vereinigten Königreich ansässige wirtschaftlich Nutzungsberechtigte beziehungsweise „Beneficial Owner“ mit mindestens zehn Prozent direkt an der ausschüttenden Kapitalgesellschaft beteiligt sein. Bei einer Beteiligung von zehn Prozent oder weniger kann die Quellensteuer lediglich auf 15 Prozent reduziert werden. In der Praxis wird bei Dividendenausschüttungen nur der Steuerabzug aus deutscher Sicht relevant sein. Denn bisher hat Großbritannien keine Quellensteuer auf Dividendenzahlungen erhoben. Erschwert werden kann die Anwendung der DBA-Quellensteuerreduktionen noch zusätzlich dadurch, dass die Ermäßigungen durch einen Principal-Purpose-Test eingeschränkt werden, der im Grunde genommen aktives Treaty Shopping verhindern will. Über die Auslegung des Principal-Purpose-Tests lässt sich im Einzelfall trefflich streiten. Zur Rechtssicherheit der Steuerermäßigungen wird dies sicher nicht beitragen. Auch bei der Finanzverwaltung wird der Principal-Purpose-Test stärker in den Fokus rücken. Durch die Umsetzung des multilateralen Instruments hat Deutschland in einigen DBA einen solchen Test eingeführt. Damit wird dieser Test künftig aus dem Alltag bei grenzüberschreitenden Zahlungen ohnehin kaum wegzudenken sein. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf Strukturen gerichtet werden, in denen Lizenzzahlungen zwischen einer deutschen Kapitalgesellschaft und einer im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft fließen und beide eine gemeinsame britische Mutter haben. Denn auch für solche Konstellationen entfällt künftig die Anwendung der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie. Ob eine Restbesteuerung an der Quelle verbleibt, entscheidet sich im Einzelfall nach dem jeweiligen DBA.

Vermehrte Hinzurechnungsbesteuerung?

Großbritannien hatte bisher einen Körperschaftsteuersatz von 19 Prozent und fiel damit per se unter das Kriterium der Niedrigbesteuerung im Rahmen der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung. Für deutsche Steuerpflichtige war es bisher möglich, sich auf den Substanznachweis nach § 8 Abs. 2 AStG zu berufen. Gelang der Nachweis, kam die Hinzurechnungsbesteuerung nicht zur Anwendung. Für Drittstaatgesellschaften ist dieser Nachweis laut Gesetz nicht möglich. Zwar sieht die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie des Bundesfinanzhofs (BFH) aufgrund der Kapitalverkehrsfreiheit die grundsätzliche Möglichkeit, im Drittstaatenfall einen Nachweis zu führen, wenn Deutschland diese Informationen auch nachprüfen kann. Allerdings könnte der Weg über die Kapitalverkehrsfreiheit nach der Gesetz-zur-Umsetzung-der-Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD)-Umsetzung beim allgemeine Hinzurechnungstatbestand versperrt sein. Die Möglichkeit könnte dann lediglich für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter bestehen.

Achtung, Zoll!

Seit dem 1. Januar 2021 gehört Großbritannien auch nicht mehr der Europäischen Zollunion an und ist damit zollrechtliches Drittland aus Sicht der EU. Die Erhebung von Zöllen auf Waren ab dem 1. Januar 2021 konnte durch das Handels- und Kooperationsabkommen noch rechtzeitig verhindert werden. Trotz dieser Erleichterung kommt auf Beteiligte am grenzüberschreitenden Verkehr mit dem Vereinigten Königreich aber ein erheblicher administrativer Mehraufwand zu. Neben der Registrierung bei den Zollbehörden müssen sämtliche Zollformalitäten beachtet werden. Das Abkommen gilt insbesondere für den präferenziellen Warenverkehr mit Ursprungserzeugnissen. Entsprechend sind spezielle Ursprungs- und Verfahrensregeln zu beachten sowie Präferenznachweise zu erbringen. Die dadurch erforderliche Zollabfertigung könnte zunächst Rückstaus auf beiden Seiten des Ärmelkanals verursachen. Zu beachten ist, dass für Nordirland aufgrund des Austrittsabkommens ein zollrechtlicher Sonderstatus gilt. Zu beachten ist, dass für Nordirland ein Sonderstatus gilt.

Wegfall des harmonisierten Mehrwertsteuersystems

Einen erheblichen Einfluss auf den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr dürfte auch der Wegfall des harmonisierten Mehrwertsteuersystems bringen (Ausnahme: Nordirland). Zahlreiche Vereinfachungsregelungen sind nach dem Austritt nicht mehr anwendbar. Da Großbritannien nun sein Mehrwertsteuersystem entharmonisieren kann, ist davon auszugehen, dass es dies auch tun wird. Unternehmen sollten daher mögliche Änderungen aufmerksam verfolgen, um bei der Gestaltung ihrer Vertriebswege angemessen reagieren zu können (Ausnahme Nordirland).

Ausblick

Das Hin und Her um die Verschiebung des Austritts und die Frage Deal oder No-Deal hatten bei vielen Zweifel hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des ganzen Brexit-Unterfangens ausgelöst. Ein Last-Minute-Deal konnte die schlimmsten Folgen zum Ablauf der Übergangsphase verhindern. Wer sein Unternehmen vorausschauend auf diesen Zeitpunkt vorbereitet hat, den werden wohl wenige Überraschungen treffen. Spannend wird es zu beobachten, wie sich das britische Steuerrecht entwickeln und welche steuerlichen Standortvorteile die britische Politik für Unternehmen schaffen wird. Denn aus dem Krisenjahr 2020 geht Großbritannien alles andere als gestärkt hervor

Zum Autor

JS
Dr. Johannes Suttner

Steuerberater und Manager, WTS Group AG Steuerberatungsgesellschaft in München

Weitere Artikel des Autors