Anteilsveräußerung an indische Firmen - 17. November 2021

Die Rolle rückwärts

Indien hat zum 1. Oktober 2021 die rückwirkende Anwendung eines Steuergesetzes von 2012 aufgehoben. Das Gesetz stellte die indirekte Veräußerung von Anteilen an indischen Unternehmen steuerpflichtig, mit Rückwirkung für Vorgänge bis 1961.

Auslöser der Aufhebung war letztlich die Tatsache, dass mehrere Unternehmen den indischen Staat erfolgreich vor internationalen Schiedsgerichten wegen Verletzung bestehender Investitionsschutzabkommen verklagt hatten. Mit der Aufhebung versucht die indische Regierung nun weiteren Schaden abzuwenden, Vertrauen bei internationalen Investoren zurückzugewinnen und so letztendlich für ein besseres Investitionsklima zu sorgen.

Relevanz der Entscheidung

Zum einen betrifft das Gesetz viele ausländische Unternehmen, die Investitionen in Indien veräußert oder umstrukturiert haben. Das Gesetz stellt den Gewinn aus der Übertragung von Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft in Indien steuerpflichtig wenn deren gemeiner, also marktüblicher Wert „substantiell“ aus in Indien belegenen Wirtschaftsgütern besteht. Zu solchen Wirtschaftsgütern zählen Anteile an indischen Unternehmen. In einem weiteren Schritt wurde 2015 das Wort „substantiell“ als „mehrheitlich“ definiert und ein Schwellenwert von INR 100 Millionen (ca. EUR 1,1 Millionen) eingeführt. Werden also Anteile an ausländischen (Holding-)Gesellschaften übertragen, deren Wert zu mehr als 50 Prozent aus Anteilen an indischen Unternehmen bestand, ist der resultierende Veräußerungsgewinn in Indien steuerpflichtig. Und dies eben auch mit Rückwirkung für Übertragungen zurück bis 1961. Zum anderen geht es hier um viel Geld. Allein im bekanntesten Fall der Vodafone Gruppe erhob der indische Staat eine Steuernachforderung von fast 2 Milliarden Euro. Im Fall des englischen Unternehmens Cairn waren es ca. 1 Milliarde Euro.

Vertrauen war erschüttert

Es ist eine Sache, eine Steuer einzuführen oder zu erhöhen. Eine andere ist es, dies rückwirkend zu tun. Unternehmen berücksichtigen bei ihrem Handeln auch steuerliche Kosten. Bestimmte unternehmerische Entscheidungen machen nur Sinn, wenn keine oder nur geringe steuerliche Kosten entstehen. Einen Vorgang, der ursprünglich steuerfrei war, rückwirkend steuerpflichtig zu stellen, ist überraschend und kollidiert mit der Planung der Unternehmen. Es geht also auch um das Vertrauen in den Staat Indien. Erschwerend kommt hinzu, dass Indien mit dem Gesetz von 2012 eine Entscheidung des indischen Supreme Courts ausgehebelt hat. Der Supreme Court hatte im Fall Vodafone im Januar 2012 entschieden, dass die Gesetzeslage eine Besteuerung solcher indirekten Übertragungen nicht zulässt. Kern der Begründung war, dass das Besteuerungsrecht Indiens nur die Veräußerung von in Indien belegenen Wirtschaftsgütern erfasst und Anteile an ausländischen (Holding-)Gesellschaften eben keine in Indien belegenen Wirtschaftsgüter sind. Nur zwei Monate später, im März 2012 entzog Indien mit der rückwirkenden Gesetzesänderung diesem Urteil die Grundlage. Dies wurde weithin als ein Bruch des rechtsstaatlichen Vertrauensgrundsatzes verstanden.  

Anfechtung der Gesetzesänderung

In Indien wird nicht zwischen echten und unechten Rückwirkungen unterschieden, so wie es in Deutschland üblich ist. Aus deutscher Sicht würde es sich bei der Gesetzesänderung von 2012 um eine sogenannte echte Rückwirkung handeln. Es wird eine belastende Rechtsfolge an Sachverhalte geknüpft, die bereits (lange) abgeschlossen sind. Nur in seltenen Ausnahmefällen, bei fehlendem Schutzinteresse, sind Ausnahmen vorgesehen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine rückwirkende Änderung, wie in Indien, bei uns Bestand hätte. Die indische Rechtslage ist anders. Die Gesetzesänderung wurde als „Klarstellung“ der bisherigen Rechtslage bezeichnet. Praktisch als eine Erläuterung, dass das Gesetz schon immer (seit 1961) so zu verstehen gewesen sei, dass die indirekte Übertragung von in Indien belegenen Wirtschaftsgütern ein steuerpflichtiger Vorgang ist. Und im Unterschied zu „substantiellen“ Änderungen des Steuerrechts zu Lasten der Steuerpflichtigen sei eine solche „Klarstellung“ grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Kritisch ist, dass weder der Begriff einer Klarstellung noch der einer „substantiellen Änderung“ legal definiert sind. Unter einer „Klarstellung“ lässt sich viel verstehen, nicht zuletzt weil im Steuerrecht, wie in jedem Recht, viele Tatbestandsmerkmale einer Auslegung zugänglich sind. Der Begriff „Klarstellung“ könnte auf jedes strittige Tatbestandsmerkmal angewandt werden. Er ist daher unserer Meinung nach nicht tauglich, um die Rechtmäßigkeit eines Rückwirkung zu beurteilen. Entsprechend haben Vodafone und andere Betroffene nicht den unsicheren Weg beschritten, die Rückwirkung selbst vor den indischen Gerichten anzufechten.

Klage vor dem Schiedsgericht

Geklagt wurde vor dem ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag wegen einer Verletzung ihrer Rechte aus den mit ihren Sitzstaaten und Indien bestehenden Investitionsschutzabkommen – und man war erfolgreich. Das Schiedsgericht gab beiden betroffenen Unternehmen Ende 2020 Recht. Es wies das Argument Indiens zurück, dass die Steuergesetzgebung der Staaten nicht von Investitionsschutzabkommen erfasst werde. Ferner stellte es fest, dass das Gesetz von 2012 nicht  geeignet gewesen wäre, nur Gewinne aus missbräuchlichen und somit nicht geschützten Gestaltungen zu besteuern. Es habe jeden Fall der indirekten Übertragung von Anteilen an indischen Unternehmen erfasst, auch nicht steuerlich motivierte. Die Rückwirkung war aus Sicht des Schiedsgerichts damit auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigt. Während Indien Rechtmittel gegen die Entscheidungen einlegte, versuchten die betroffenen Unternehmen, die Schiedsurteile zu vollstrecken. In Frankreich hatte dies kürzlich Erfolg. Ein Gericht in Paris entschied im Fall Cairn, dass das Unternehmen Besitz des indischen Staats pfänden lassen könne. In Indien entschloss man sich daraufhin zu einem Befreiungsschlag und hob die rückwirkende Geltung des Gesetzes von 2012 auf. Aufgehoben werden parallel alle auf der Rückwirkung basierenden Steuernachforderungen und Verfahren, auch solche, die bereits abgeschlossen sind. Schon gezahlte Steuern werden erstattet. Erfasst werden alle indirekten Übertragungen, die vor dem 28. Mai 2012 abgeschlossen wurden. Eine Verzinsung der Steuerrückzahlungen soll jedoch nicht gewährt werden. Dieses finanziell nicht unerhebliche Detail könnte noch für weitere streitige Auseinandersetzungen sorgen.

Die internationale Reaktion

Zunächst ist zwar festzuhalten, dass die Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen aus der  indirekten Übertragungen von Anteilen an indischen Unternehmen an sich nicht aufgehoben wurde. Sie bleibt bestehen und ist bei Umstrukturierungen immer zu beachten. Entfallen ist jedoch die Rückwirkung auf Übertragungen vor dem 28. Mai 2012. Dies wird natürlich begrüßt. Es wird ferner gelobt, dass die Regierung bereits seit einiger Zeit zu erkennen gibt, solche Rückwirkungen in Zukunft nur noch zurückhaltend einzusetzen. Indien gilt zwar nicht als einfaches Land. Auf dem „Ease of Doing Business Index“ steht es im Mittelfeld. Die Bürokratie ist hoch, die Infrastruktur schwierig. Aber Indien hat einen großen Trumpf, der gerade in Asien immer wichtiger wird. Seine Rechtsstaatlichkeit und die fehlende politische Einmischung in private Unternehmen. Der Grundsatz, dass belastende Steuergesetze nur für zukünftige und nicht für abgeschlossene Sachverhalte gelten sollten, ist einer davon. Indien hat dies verstanden und das ist sehr zu begrüßen.

Was ist nun zu erwarten?

Indien versucht aktuell, viele bestehende Investitionsschutzvereinbarungen neu zu verhandeln, unter anderem mit dem Ziel, die Besteuerung von Unternehmen von der Schutzwirkung der Abkommen auszunehmen. Wir sehen das kritisch. Und während die Steuersätze für in Indien gegründete Unternehmen fallen, also Investitionen ins Land geholt werden sollen, werden ausländische Unternehmen von der indischen Finanzverwaltung unverändert argwöhnisch beäugt. Es wäre wünschenswert, dass mehr Vertrauen entsteht. Indien sollte zukünftig sensibler zwischen einer aggressiven Steuerplanung und dem einfachen und berechtigten Bedürfnis von Unternehmen nach Verlässlichkeit, klareren Strukturen und Steuergerechtigkeit unterscheiden. Wir sind aber überzeugt, dass Indien mit seinen rechtstaatlichen Werten im internationalen Wettbewerb um Investitionen noch viel punkten wird.

Zu den Autoren

TR
Tillmann Ruppert

Rechtsanwalt und Partner am Standort in Nürnberg, Indien-Desk

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GM
Gaurav Makhijani

Chartered Accountant, Associate Partner und Head of Tax (New Delhi & Nordindien) bei Rödl & Partner im Team Indien. Er verfügt über rund 10 Jahre Erfahrung im Bereich Unternehmens- und internationale Besteuerung.

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