Harte Währung - 29. Oktober 2020

Zur Zukunft von Münzen und Scheinen

Der Abgesang auf das vertraute Bargeld ist vielstimmig und einschüchternd für alle, die mit Bargeld eigentlich ganz gut zurechtkommen. Der Refrain beschwört den Siegeszug des E-Payment, den Triumph des E-Commerce. Zuviel Einigkeit sollte uns skeptisch machen.

Laut Bitkom ärgern sich – Stand 2019 – zwei Drittel der Bundesbürger, dass man hierzulande nicht überall bargeldlos bezahlen kann, gleichzeitig aber werden drei Viertel der Zahlungen im deutschen Einzelhandel immer noch bar abgewickelt, obwohl 90 Prozent aller Geschäfte digitale Bezahlmöglichkeiten anbieten. Ein augenscheinlicher Widerspruch, der schlicht jener Schwerkraft der Verhältnisse geschuldet ist, die wir als unreflektiert durch die Jahrzehnte dahinrollende Gewohnheiten kennen. Wenn also gegen eine weitgehende Digitalisierung unserer Zahlungsvorgänge im Alltag vernünftigerweise wenig Einspruch zu erheben ist, wäre es jedoch etwas vollkommen anderes, wollte man daraus die etwa in Schweden bereits vorgetragene Forderung ableiten, Bargeld vollkommen abzuschaffen und damit die Option des Bürgers, selbst frei zu entscheiden, wie er seine Rechnungen begleichen möchte.

Wozu brauchen wir eigentlich Geld?

Da ist einmal die Zahlungsmittelfunktion – die ist problemlos digital abbildbar, sofern die technische Infrastruktur stabil überall zur Verfügung steht, wovon heute noch nicht die Rede sein kann. Geld ist weiterhin ein Wertaufbewahrungsmittel. Wie sicher sind aber digitale Systeme gegenüber Angriffen von außen und vor allem von innen? Der Wirecard-Krimi ist ein Lehrstück über die Fragwürdigkeit von verlässlichen Sicherheitsmaßnahmen gegen betrügerische Angriffe. Wie anders ließe es sich erklären, dass selbst einer hoch renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über Jahre die Manipulationen, Luftbuchungen, realen Verluste bis hin zur Beiseiteschaffung von Millionenbeträgen entgehen konnten? Bei Wirecard handelt es sich nicht um eine windige Import-Exportfirma mit Sitz in Halunkistan, sondern um ein DAX-Unternehmen und – passend zum Thema – just um einen Dienstleister zur Abwicklung digitalen Zahlungsverkehrs. Der Glaube an eine manipulationssichere digitale Verwaltung von Vermögenswerten ist eine Illusion. Man erinnere sich ferner an die Schuldenkrise des Euroraums, die durch die De-facto-Pleite Griechenlands ab 2010 ausgelöst worden war. Schon, dass Griechenland, das die Eurozugangskriterien zu jedem Zeitpunkt unterboten hat, überhaupt in den Kreis der Euroländer aufgenommen wurde, ist, je nach Interpretation, entweder ein Offenbarungseid der Kontrollinstanzen oder ein Beleg dafür, dass auf dem Altar des politischen Kalküls zuweilen eben auch die ökonomische Vernunft geopfert wird – und damit das Vertrauen der Bürger in den Willen zum Erhalt privater Vermögenswerte. Der seinerzeitige Ansturm der griechischen und zypriotischen Bürger auf die Banken, um an Barwerten zu retten, was im Falle des damals unmittelbar drohenden Staatsbankrotts und folgenden Euro-Austritts noch zu retten gewesen wäre, belegt die Wichtigkeit einer von den genannten Institutionen unabhängigen Möglichkeit zur Verwahrung monetärer Werte. In einer bargeldlosen Welt gäbe es diese nicht mehr, der Bürger wäre den politischen Entscheidungen der Regierung ausgeliefert. Die Entscheidungsgewalt über eigene Vermögenswerte ginge im Krisenfall schlicht vom Bürger auf den Staat über. Negativzinsen könnten, wenn es volkswirtschaftlich opportun erschiene, über Nacht eingeführt werden, überhaupt stünde dem staatlichen Zugriff auf private Vermögenswerte allein die Rechtsstaatlichkeit des Gemeinwesens entgegen. Nach dem Ausmaß des Vertrauens in dieses bemisst sich die Bereitschaft, sich auf diese alleinige Absicherung des Eigentums einzulassen. Nun stehen wir in dieser Hinsicht in Deutschland recht solide da. Zeichnete sich eine Abschaffung des Bargelds tatsächlich ab, wäre aber eine Flucht in Sachwerte, Edelmetalle und Immobilien sowie in solide physische Fremdwährungen wie Dollar oder Schweizer Franken die unvermeidliche Folge – mit allen negativen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Durch Letzteres käme auch eine weitere Funktion des Gelds ins Rutschen, nämlich die, ein Wertmaßstab für den Marktpreis von Gütern und Dienstleistungen zu sein. Der Nominalwert von Noten und Münzen steht in einer nachvollziehbaren Beziehung zu diesen, genauer zu ihrer Verfügbarkeit und – gegebenenfalls – Knappheit. Verzerrungen entstehen dann, wenn das Marktgeschehen durch höhere Gewalt (Krieg, Hungersnot) verzerrt wird, oder eben, wenn die Flucht in alternative Werte die Werthaltigkeit einer Währung und damit ihre Maßstäblichkeit infrage stellen. Genau dies aber träte ein, wenn Immobilienpreise explodieren und der Goldpreis in astronomische Höhen schießt, weil die Verfügungsgewalt über das eigene Vermögen mittels einer Bargeldabschaffung nicht außer Kraft gesetzt, aber staatlicher Kontrolle unterworfen würde.

Alles eine Frage des Vertrauens

Die Akzeptanz einer möglichen Abschaffung des Bargelds ist eine Frage des Vertrauens. Es ist bezeichnend und entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass eben darum just in Schweden und der Volksrepublik China die Abkehr vom Bargeld weltweit am weitesten fortgeschritten ist. In Schweden ist das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen und Maßnahmen traditionell hoch. Der Umstand, dass die Abschaffung analoger Zahlungsvorgänge zugunsten der digitalen stets unverwischbare Spuren hinterlässt, ficht zwischen Malmö und Kummavuopio offenbar nur eine Minderheit ernstlich an. Dass jeder Mensch, insofern er unentrinnbar als Marktteilnehmer in Erscheinung tritt, absolut gläsern wird, weil alle Konsumtionsakte und Aufenthaltsorte lückenlos nachvollziehbar werden, gelten als hinnehmbar in einem Staat, der das volle Vertrauen seiner Bürger genießt. Vielerorts ist in Schweden schon heute Barzahlung gar nicht mehr möglich, und das Land ist auf bestem Wege, die erste bargeldlose Volkswirtschaft Europas zu werden. Ganz anders in China, dem Land, in dem die politische Elite dem Staatsvolk so wenig vertraut, dass es dieses mit inzwischen 625 Millionen Videokameras auf Schritt und Tritt überwacht, ein Punktesystem für Staatsfrömmigkeit eingeführt hat und in dem keine Telefonkarte ohne Gesichtsscan erworben werden kann. Und wie ließe sich diese Überwachung leichter bewerkstelligen als durch eine Spurenverfolgung in Gestalt der Abschaffung des Bargelds? Darum ist Bargeld auch geprägter und gedruckter Datenschutz.

Warnung vor der digitalen Inflation

Ein letzter Aspekt ist ein volkswirtschaftlicher: Die Abschaffung des Bargelds würde das Verhältnis zwischen Zentralbanken und Kreditinstituten nachhaltig verändern. Erstere würden keine Gewinne mehr erwirtschaften, ein fiskalisch womöglich verkraftbares Problem, doch schwerer würde wiegen: die Gefahr einer Inflation. Geschäftsbanken könnten theoretisch viel Geld erschaffen, indem sie in nahezu beliebiger Weise Kredite vergeben und dadurch den Geldmengenumlauf erhöhen. Fällt das sogenannte Geldmengenaggregat 1 weg, also das laufende Bargeld – ohne Kassenbestände der Finanzinstitute und Sichteinlagen der Kunden, weil nun alles Geld permanent als reines Giralgeld bei den Banken verbleibt, wächst die von dieser verwaltete Geldmenge um genau die Summe des Aggregats 1 an. Entsprechend mehr Geld fließt dann in den Wirtschaftskreislauf ein. Es gibt also durchaus rationale Gründe, am Fortbestand des Bargelds als eines physisch handhaften Tauschmittels für Waren und Dienstleistungen festzuhalten, eines Bargelds, das man von A nach B tragen und mit dem man Dinge bezahlen kann, die weder Banken noch den Staat etwas angehen. Geld, mit dem man im Krisenfall zumindest der Möglichkeit nach unabhängig ist von Akkustand, digitalem Netz und staatlicher Bevormundung, Banken- und Staatspleiten.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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