Ein Rückblick - 22. Dezember 2022

Vom Zollwesen

Schon der sumerische und ägyptische Fernhandel hatte unter ihm zu leiden. Spätere Könige, Kaiser und Territorialherren freuten sich seines Beitrags zum Kassenstand und erst seit dem 19. Jahrhundert nahm seine Erhebung wirklich geordnete Form an: der Zoll.

Unter all den Formen, in denen die Staatsmacht ihren Tribut einfordert, gehört seit Menschengedenken das Zollwesen zu den unbeliebtesten. Das liegt unter anderem daran, dass der oder dem Zahlungspflichtigen der gesamte Vorgang – die Ent­richtung einer Gebühr für den Import oder Export ihres oder seines Eigentums beim Übertritt an irgendeinem Schlagbaum – als ein Abkassieren ohne erkennbare staatliche Gegenleistung erscheinen muss. Zwar hat dies hierzulande und in der zivili­sierten Welt seine formale Ordnung und ist nach Höhe und Be­rechnungsgrundlage des zu erlegenden Betrags ein transparen­ter, kalkulierbarer und im gewerblichen Handel über EU-Au­ßengrenzen hinweg ein eher buchhalterischer Prozess, den­noch erlebt man sich in gewisser Weise zuweilen als geschröpft: Man zahlt noch einmal für etwas, das einem schon gehört.

Zöllner – ein Beruf mit historischem Image-Problem

Noch wesentlich ärgerlicher gestaltet sich das Ganze in jenen weniger rechtsstaatlich geprägten Weltgegenden, denen Transparency International regelmäßig einen rekordverdäch­tig hohen Korruptionswahrnehmungsindex attestiert. Dort präsentiert sich das Thema Zoll mitunter als reine Willkür de­rer, die den bewussten Schlagbaum bewachen. Man versteht dann, warum es schon die Bibel nicht gut gemeint hat mit dem betreffenden Berufsstand und ihm, dem Zöllner. Historisch be­trachtet, hat der Zöllner also ein gewisses Image-Problem. Schauen wir darum einmal, auf welche Rollen dieser Berufs­stand in der Geschichte unseres Kontinents zurückblickt. Rasch stößt man da auf einen Sachverhalt, der zu dem Verruf des Zöllners ganz erheblich beigetragen haben dürfte: Im Rö­mischen Imperium wurden Wege- und Warenzölle nämlich nicht direkt von staatlich besoldeten Beamten erhoben, son­dern ganze Regionen wurden an Zollpächter (publicani) ver­pachtet, die den jeweiligen Provinzgouverneuren eine be­stimmte, jährlich abzuliefernde Einnahmesumme garantieren mussten. Wie sie diese Summe aufbrachten und darüber hin­aus für sich selbst einen Gewinn erzielten, blieb diesen weitge­hend selbst überlassen. Damit war freilich bei der Bemessung von Zöllen jedweder Willkür Tür und Tor geöffnet mit der Fol­ge, dass Zöllner verhasst waren und schon in der Antike zum Inbegriff von Gier und Korruption wurden. Andererseits muss­ten namentlich die Passierzölle auch dazu aufgewandt wer­ den, die Straßen und Brücken in einem guten Zustand zu er­halten. Das römische Straßenwesen war daher vorbildlich und sein Stand wurde erst in der Neuzeit wieder erreicht.

Zollburgen und „Roubhüser“

Im Mittelalter ging das Zollrecht auf die fränkischen, später deutschen Könige und nachgeordnete Landesherren über, und auch sie delegierten die Erhebung der Binnenzölle mit al­len Rechten und Pflichten häufig an Dritte. Gleichzeitig diffe­renzierte sich das Zollwesen: Es wurden Tribute fällig beim Betreten von Städten und Hoheitsgebieten, beim Passieren bestimmter Zollstätten längs der Handelswege, bei der Nut­zung von Straßen, schiffbaren Flüssen, Brücken, für die Nut­zung von Hafenanlagen und für den Auftritt auf öffentlichen Märkten. Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen der Er­schließung neuer Verkehrswege und dem Bau von Burgen zu deren Schutz und zur Generierung von Ein­nahmen durch entsprechende Zölle und so­genannte Wegbegleiter: Herbergen, Kapel­len, Versorgungs- und Raststätten sowie entgeltliches Geleit. Konflikte zwischen den aufstrebenden Städten und dem landsässi­gen Adel, der zunehmend auf solche Ein­nahmen angewiesen war, blieben da nicht aus, sodass die Zollburgen in den Städten mitunter als „Roubhüser“ galten, wenn etwa Handelswaren zur Deckung angebli­cher Zollansprüche kurzerhand konfisziert wurden. Dies wiederum galt als Verletzung des Landfriedens, was gewaltsame Ausein­andersetzungen nach sich ziehen konnte: Strafmaßnahmen, bei denen so manche Zollburg in Flammen aufging.

Neugestaltung im Merkantilismus

Der Zusammenhang wirtschaftlicher Prosperität mit der Aus­gestaltung des Zoll- und Abgabewesens geriet dabei erst ganz allmählich in den Blick. Im 17. Jahrhundert wurden die ent­sprechenden ökonomischen Mechanismen umfassender er­kannt und führten zum Merkantilismus, einer Wirtschaftspoli­tik, die Binnenzölle beseitigte, Zunftrechte beschnitt, den Ex­port von Waren erleichterte, den Import jedoch künstlich ver­teuerte, indem sie ihn mit Zöllen belegte. Das Ziel: eine positive Leistungs- und Handelsbilanz. Hintergrund war der wachsende Geldbedarf absolutistischer Herrscher für stehen­de Heere und eine repräsentative Hofhaltung. Der fiskalische Eingriff in den freien Handel wurde darüber zur gängigen wirtschaftspolitischen Praxis. Auf deutschem Boden gestalteten sich die Dinge etwas kom­plizierter, denn ein einheitliches Reich gab es nicht, stattdes­sen ein Gewimmel von mehr als 300 Klein- und Mittelstaaten. Zeitweise gab es etwa 1.800 Zollstellen, und wer etwa von Köln nach Königsberg unterwegs war, musste 80 Mal seine Waren kontrollieren lassen und Zollabgaben entrichten. Es versteht sich, dass Fernhandel so nicht gedeihen kann. Erst 1834 beendete die Gründung des Deutschen Zollvereins die­se Praxis mit der Abschaffung der Binnenzölle.

Anfänge des Freihandels

Vordenker des nächsten Entwicklungsschritts hin zum Frei­handel, dem zollfreien Warenverkehr ohne Schranken, waren zwei britische Ökonomen: Adam Smith (1723–1790) und Da­vid Ricardo (1772–1823). Sie setzten dem Merkantilismus ein liberales Modell entgegen, nach dem alle Staaten vom Frei­handel profitieren sollten. Jeder solle an seinem Ort das her­stellen, was er am kostengünstigsten produzieren könne, es zollfrei exportieren und im Zielland importieren dürfen. So würden sich alle Länder gegenseitig ergänzen, alle Handels­waren würden billiger und der allgemeine Wohlstand wüchse. Bis heute hat sich die Idee des free trade nicht gänzlich gegen berechtigte Einwän­de und protektionistische Ansätze durch­zusetzen vermocht. Mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 schufen Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Deutschland zwar die Voraussetzungen für einen Wirtschaftsraum ohne Zollgrenzen, aber erst 1968 mündete dies in die Europä­ische Zollunion: die Abschaffung ihrer na­tionalen Zölle und Handelsbeschränkun­gen und die Festsetzung eines gemeinsamen Zolltarifs für Waren aus Nicht-EWG-Ländern. 1993 schließlich fielen mit dem Europäischen Binnenmarkt die letzten Beschränkungen innerhalb der EU. Zollgrenzen gibt es nur noch an deren Au­ßengrenzen. Das Pendant auf internationaler Ebene repräsen­tiert seit 1995 die Welthandelsorganisation (WTO). Große in­ternationale Freihandelsabkommen wie CETA oder das ge­plante TTIP stehen freilich auch in der Kritik, weil die Han­delspartner in ungleicher Weise von ihnen profitieren und ökologische und humanitäre Standards keine angemessene Berücksichtigung finden. Dass im Übrigen eine allzu enge Verflechtung der Volkswirt­schaften auch problematische Abhängigkeiten schafft, ist eine Lektion, die die Welt gerade lernen muss.

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Carsten Seebass

Redaktion DATEV magazin

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