Einkommensteuer - 29. Dezember 2023

Gewinnbegriff beim Investitionsabzugsbetrag

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 29.12.2023 zum Gerichtsbescheid 10 K 1873/22 vom 02.05.2023 (nrkr - BFH-Az.: X R 14/23)

Das Tatbestandsmerkmal „Gewinn“ i. S. von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ist als Steuerbilanzgewinn und nicht als steuerlicher Gewinn i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG auszulegen. Außerbilanzielle Positionen sind nicht zu berücksichtigen (gegen Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 15.06.2022, BStBl I 2022 S. 945).

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb im Streitjahr einen Gewerbebetrieb und ermittelte den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Danach ergab sich ein unstreitiger Steuerbilanzgewinn in Höhe von 199.309,90 Euro. Unter Berücksichtigung von ebenfalls unstreitigen außerbilanziellen Kürzungen (steuerfreie Erträge nach § 3 Nr. 40 Einkommensteuergesetz von 1.170 Euro) und Hinzurechnungen (nichtabziehbare Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5, 6 und 7 Einkommensteuergesetz von 1.457 Euro sowie Gewerbesteuer nach § 4 Abs. 5b Einkommensteuergesetz von 10.199,00 Euro) ergab sich ein steuerpflichtiger Gewinn i. S. v. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz von 209.795,90 Euro. Zum 31.12.2020 machte die Klägerin einen gewinnmindernden Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 120.000 Euro geltend.

Das Finanzamt ging entsprechend dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 15.06.2022 (BStBl I 2022 S. 945) davon aus, dass der vom Kläger beanspruchte Investitionsabzugsbetrag nicht gewährt werden könne, da die Gewinngrenze des § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b Einkommensteuergesetz von 200.000 Euro überschritten sei. Die nach erfolglosem Vorverfahren eingelegte Klage hatte Erfolg.

Aus den Gründen

Der Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2020 seien abzuändern, weil ein Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 Einkommensteuergesetz in Höhe von 120.000 Euro gewinnmindernd zu berücksichtigen sei. Die Klägerin habe die Gewinngrenze von 200.000 Euro nicht überschritten, weil sie einen Gewinn i. S. von § 7g Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz in Höhe von 199.309,90 Euro (Steuerbilanzgewinn) erzielt habe.

Maßgeblichkeit des Steuerbilanzgewinns und nicht des steuerlichen Gewinns

Nach Auffassung des Senats sei unter „Gewinn“ i. S. von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz der Steuerbilanzgewinn und nicht der steuerliche Gewinn i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz zu verstehen. Eine Korrektur um außerbilanzielle Positionen wie nichtabziehbare Betriebsausgaben oder einkommensteuerfreie Einnahmen finde nicht statt.

Eine eigenständige Definition des Begriffs „Gewinn“ finde sich in § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz nicht. Es sei zwar bestimmt, dass der Gewinn nach § 4 oder § 5 Einkommensteuergesetz zu ermitteln und damit grundsätzlich an den nach steuerrechtlichen Vorschriften ermittelten Gewinn und nicht – bei Gewerbetreibenden – an den handelsbilanziellen Jahresüberschuss anzuknüpfen sei. Nicht geregelt sei jedoch, ob der Gewinn um nicht abziehbare Betriebsausgaben zu erhöhen bzw. um steuerfreie Betriebsvermögensmehrungen zu mindern ist, d.h. der steuerliche Gewinn i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz für die Bestimmung der Gewinngrenze ausschlaggebend sein soll.

Wortlautauslegung

Der Wortlaut des § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz deute auf eine Maßgeblichkeit des nicht korrigierten Gewinns hin. Das Gesetz stelle auf den nach § 4 bzw. § 5 Einkommensteuergesetz „ermittelten“ Gewinn ab. Dies lasse darauf schließen, dass Erhöhungen und Minderungen, die sich außerhalb der Gewinnermittlung vollziehen würden, bei der Bestimmung des Grenzwerts von 200.000 Euro unberücksichtigt bleiben sollen.

Zwar könnte auch ein nach „§ 4“ ermittelter Gewinn die Korrekturen nach § 4 Abs. 5 Einkommensteuergesetz (nicht abziehbare Betriebsausgaben), § 4 Abs. 5b Einkommensteuergesetz (nicht abziehbare Gewerbesteuer) und § 4 Abs. 4a Einkommensteuergesetz (nicht abziehbare Schuldzinsen) enthalten. Damit sei aber nicht erklärt, weshalb auch andere – nicht in § 4 Einkommensteuergesetz normierte – Korrekturen in die Gewinngrenze einzubeziehen wären (z. B. Teilabzugsverbot nach § 3c Abs. 2 Einkommensteuergesetz, Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Einkommensteuergesetz, bei Körperschaften: nicht abziehbare Aufwendungen nach § 10 Körperschaftsteuergesetz). Zudem spreche mehr dafür, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „nach § 4 […] ermittelter Gewinn“ zum Ausdruck bringen wollte, nicht nur die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz, sondern ebenso diejenige durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz als für Zwecke des § 7g Einkommensteuergesetz zulässige Gewinnermittlung zu bestimmen.

Teleologische Auslegung

Nach dem Gesetzeszweck sollen sowohl durch den Investitionsabzugsbetrag als auch durch Sonderabschreibungen die Liquidität, Eigenkapitalausstattung und die Investitions- und Innovationsbereitschaft begünstigter Klein- und Mittelbetriebe gestärkt werden. Dabei soll die von der Einkunftsart unabhängige einheitliche Gewinngrenze zu einem zielgenaueren und in der Praxis auch ohne besonderen Verwaltungsaufwand anwendbaren Abgrenzungskriterium führen. Indikator für eine Einstufung als begünstigungsfähiger Betrieb sei der Gewinn, der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abbilde. Dies lasse nur den Schluss zu, dass auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers das durch die jeweilige Gewinnermittlungsmethode gewonnene Ergebnis für die Bestimmung des Grenzwerts maßgeblich sei. Betriebsausgaben i. S. von § 4 Abs. 4 Einkommensteuergesetz, die lediglich aufgrund spezieller gesetzlicher Anordnung bei der Berechnung des letztlich zu besteuernden Gewinns wieder hinzuzurechnen sind (z. B. § 4 Abs. 4a, Abs. 5 und Abs. 5b Einkommensteuergesetz), minderten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Dasselbe gelte umgekehrt für den Zufluss steuerfreier Betriebsvermögensmehrungen.

Historische Auslegung

Eine historische Auslegung von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz führe zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Gewinnhöhe als Anknüpfungspunkt für die Betriebsgrößengrenze bei Einnahmen-Überschuss-Rechnern nach § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. c Einkommensteuergesetz a. F. sei durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eingeführt worden. Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs ergebe sich jedoch nicht, was der Gesetzgeber unter „Gewinn“ verstanden habe.

Systematische Auslegung

Die gesetzessystematische Auslegung von § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz führe zu der Schlussfolgerung, dass „Gewinn“ das durch die jeweilige Gewinnermittlungsmethode gewonnene Ergebnis bedeute. Dies ergebe sich aus einem Vergleich zur Auslegung der Gewinnbegriffe in § 4 Abs. 4a Satz 2 Einkommensteuergesetz und in § 34a Abs. 2 Einkommensteuergesetz. Für diese Fälle habe der Bundesfinanzhof entschieden, dass insoweit nur der steuerbilanzielle Gewinn maßgeblich sein könne und außerbilanzielle Gewinnkorrekturen nicht zu berücksichtigen seien. Gründe für eine unterschiedliche Auslegung der Gewinnbegriffe in § 4 Abs. 4a Satz 2 Einkommensteuergesetz, § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz und § 34a Abs. 2 Einkommensteuergesetz seien nicht erkennbar.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2023