Sozialversicherungsrecht - 25. April 2024

Eine teure Reise nach Mekka – Jobcenter darf Geldgeschenk für Pilger-Reise auf Bürgergeld anrechnen

LSG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 25.04.2024 zum Urteil L 18 AS 684/22 vom 24.04.2024 (nrkr)

Der 18. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Berliner Jobcenter berechtigt war, ein Geldgeschenk als Einkommen bzw. Vermögen auf das Bürgergeld anzurechnen. Das Geldgeschenk in Höhe von 65.250 Euro hatten die drei Leistungsempfänger von ihrer Nachbarin erhalten, um nach Mekka reisen zu können. Im konkreten Fall hat der 18. Senat die Frage der Anrechenbarkeit bejaht.

Die Kläger – Vater, Mutter und ihr minderjähriger Sohn – leben in einer gemeinsamen Wohnung im Norden von Berlin. Sie bezogen vom Jobcenter unter anderem von Juni 2018 bis einschließlich Dezember 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bezeichnung seit Januar 2023: Bürgergeld) nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). In eben diesem Zeitraum gewährte ihnen das Jobcenter Leistungen in Höhe von insgesamt rund 22.600 Euro. Die 1971 geborene Mutter kümmerte sich regelmäßig um die Nachbarin der Familie – die pflegebedürftige, 1926 geborene und inzwischen verstorbene Frau R. Anfang Mai 2018 überwies Frau R. einen Betrag in Höhe von 65.250 Euro auf das Konto der Mutter. Wie Frau R. später angab, handelte es sich hierbei um ein Geschenk, das dazu dienen sollte, den Klägern den lang gehegten Wunsch einer Reise nach Mekka zu ermöglichen. Die Kläger informierten das Jobcenter nicht über die Geldzuwendung; stattdessen wurde der Betrag noch im selben Monat vom Konto abgehoben.

Anfang 2020 wurde das Jobcenter vom Landeskriminalamt im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens gegen die Eltern (siehe hierzu „Weitere Informationen“ unten) über den Geldeingang informiert. Das Jobcenter nahm daraufhin sämtliche Bewilligungsbescheide für den Zeitraum von Juni 2018 bis Dezember 2019 zurück und forderte die Kläger auf, die ihnen gewährten SGB II-Leistungen in Höhe von insgesamt rund 22.600 Euro zu erstatten. Das Jobcenter argumentierte, dass die Kläger im genannten Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen seien. Die hiergegen gerichtete Klage der Familie vor dem Sozialgericht (SG) Berlin blieb ohne Erfolg.

Gegen das Urteil des SG Berlin legten die Kläger Mitte 2022 Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg ein. Sie machten geltend, dass es sich um eine zweckgebundene Schenkung gehandelt habe, die sie von Frau R. als Dank für die jahrelange liebevolle Pflege erhalten hätten. Als religiöse Familie sei es ihr sehnlichster Wunsch gewesen, einmal nach Mekka zu reisen. Sie hätten nicht gewusst, dass sie das Jobcenter über den Geldeingang informieren müssten. Das Geld hätten sie bestimmungsgemäß verwendet. Die Reise nach Mekka, die sie zu fünft (die drei Kläger sowie zwei weitere Personen) angetretenen hätten, habe sie insgesamt rund 55.600 Euro gekostet. Darin enthalten seien neben den Aufwendungen für Flug, Schiff, Übernachtung und Verpflegung auch die Kosten für einen religiösen Guide, der sie begleitet habe. Belege zu ihrer Reise könnten sie allerdings nicht vorlegen. Alles sei, wie es der Üblichkeit entspreche, in bar ohne Quittung bezahlt worden. Außerdem habe sich die Mutter, wie mit Frau R. abgesprochen, für 7.000 Euro noch „die Zähne machen lassen“. Mit dem restlichen Geld (ca. 3.000 Euro) seien – ebenfalls nach Absprache mit Frau R. – Schulden getilgt und ein Betrag gespendet worden.

Das LSG hat die Berufung der Kläger nunmehr mit seinem Urteil vom 24. April 2024 zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung des SG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Jobcenters rechtmäßig seien. Die Kläger seien im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Aufgrund der ihnen im Mai 2018 zugeflossenen einmaligen Einnahme in Höhe von 65.250 Euro, die rechtlich als Einkommen (in Bezug auf den Zeitraum von Juni bis November 2018) bzw. als Vermögen (in Bezug auf den Zeitraum von Dezember 2018 bis Dezember 2019) einzustufen sei, hätten ihnen ausreichende Mittel zur Deckung ihres Bedarfs zur Verfügung gestanden. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für sie grob unbillig wäre, wenn die von Frau R. gewährte freiwillige Zuwendung als Einkommen berücksichtigt werde. Bezieher von Bürgergeld seien grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen der Selbsthilfe jegliche Einnahmen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu verwenden. Anders verhalte es sich zwar in Fällen, in denen – wie hier – eine Geldzuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft sei, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde. Indes seien auch solche Geldzuwendungen nicht in unbegrenzter Höhe privilegiert. Obergrenze für die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen seien nach den Gesetzgebungsmaterialien die geltenden Vermögensfreibeträge, die im damaligen Zeitraum für die Kläger insgesamt 16.500 Euro betragen hätten. Der Restbetrag in Höhe von 48.750 Euro reiche zur Bedarfsdeckung aus. Schließlich sei nicht von einem zwischenzeitlichen Verbrauch der Mittel auszugehen. Die von den Klägern vorgetragene Behauptung, insgesamt rund 55.600 Euro für die Reise nach Mekka ausgegeben zu haben, sei nicht belegt. Es widerspreche der Lebenserfahrung, eine Flugreise mit Kosten von mehr als 5.000 Euro in bar zu bezahlen. Auch fehlten jegliche Angaben zum Zeitpunkt der Reise, die neben Flugtickets und Belegen über Hotelübernachtungen zum Beispiel auch durch Ein- und Ausreisestempel im Reisepass belegbar wären.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Die unterlegenen Kläger können beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Zum rechtlichen Hintergrund

Maßgebliche Vorschrift ist § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II. Dort heißt es: „Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre.“

Weitere Informationen

Die Eltern wurden 2021 bzw. 2022 in einem strafgerichtlichen Verfahren jeweils zu einer Geldstrafe wegen Betruges zu Lasten des Jobcenters verurteilt. Das Ermittlungsverfahren war eingeleitet worden, nachdem einem Pflegehelfer von Frau R. die hohe Kontoabbuchung aufgefallen war.

Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg