Prof. Gerd Gigerenzer im Gespräch - 28. August 2014

Nur der Tod und die Steuern sind sicher

Prof. Gerd Gigerenzer ist Psychologe und Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungs­for­schung in Berlin. Auf dem DATEV-Kongress spricht er über den ir­ra­tio­nalen Umgang mit Risiken und wie man trotz Un­ge­wiss­heiten die richtigen Ent­schei­dungen trifft. Unser Interview gibt einen Vor­ge­schmack auf seinen Vortrag.

DATEV magazin: Ihr Vortragsthema lautet: „Risiko – Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“. Wird der Zuhörer nach Ihrem Vortrag bessere Entscheidungen treffen können?

Gerd Gigerenzer: Davon gehe ich aus. In dieser Welt ist nichts sicher, außer dem Tod und den Steuern, wie Benjamin Franklin einmal sagte. Jedoch können wir alle lernen, mit dieser Un­ge­wiss­heit etwas informierter und entspannter umzugehen.

DATEV magazin: Was ist die Botschaft Ihres Vortrags?

Gerd Gigerenzer: Die Botschaft ist, dass man zwischen Situationen unterscheiden muss. Es gibt die, in denen man Risiken berechnen kann – dazu braucht man viele Daten, Wahr­schein­lich­keits­theorie und Statistik. Und es gibt Situationen, in denen man die Risiken nicht berechnen kann und auch nicht weiß, welche Alternativen und Konsequenzen es gibt. In diesem Fall braucht man gute Faustregeln und Intuition.

DATEV magazin: An vielen Beispielen aus Medizin, Rechtswesen und Finanzwelt zeigen Sie auf, wie die Psychologie des Risikos funktioniert. Wie lässt sich Risiko im Spannungsfeld zwischen Panikmache und Verharmlosung richtig einschätzen?

Gerd Gigerenzer: In unserer Gesellschaft fürchten wir uns oft vor den Dingen, die uns wahrscheinlich nicht umbringen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Medien oft über Dinge berichten, die genau dieser Art sind. Hier greift die Faustregel: Wenn die Medien über etwas berichten, was Ihre Gesundheit betrifft und gefährdet, ist es wahrscheinlich nicht das, was für Sie wirklich gefährlich ist. Zu unterscheiden, wo die wirklichen Gefahren liegen und wo wir uns nur von außen manipulieren lassen, das ist Risikokompetenz.

DATEV magazin: Die Menge an Informationen nimmt ständig zu. Wird es damit auch schwieriger, Entscheidungen zu treffen, weil wir gar nicht mehr unterscheiden können, welche Informationen für uns wichtig sind?

Gerd Gigerenzer: Oft hat man einen Berg von Informationen, unter dem man begraben liegt, und man weiß nicht, wo es hingehen soll. Hier verlässt sich ein erfahrener Entscheider auf sein Bauchgefühl.

DATEV magazin: Steuerberater sind Zahlenmenschen. Kann man sagen, dass sich Zahlen­menschen rationaler entscheiden?

Gerd Gigerenzer: Ich habe keinen Zweifel, dass Steuerberater auf ihrem Gebiet rationaler entscheiden als Otto Normalverbraucher. Das ist auch ihr Beruf. Inwiefern nun der durch­schnitt­liche Steuer­be­rater in Deutsch­land ein gutes Bauch­ge­fühl für andere Dinge hat, zum Beispiel den richtigen Partner zu finden, das kann ich nicht be­ur­teilen. Aber es gibt Personen, die selbst bei der Partnersuche Pro-und-Contra-Listen machen und versuchen, die klassische Methode von Gewichten und Addieren anzuwenden.

DATEV magazin: Sie sagen, dass wir eine risikokompetente Gesellschaft brauchen. Kann man den richtigen Umgang mit Risiken lernen?

Gerd Gigerenzer: Natürlich kann man den Umgang mit Risiken lernen. So wie man Lesen und Schreiben lernen kann. Wenn wir heute feststellen, dass viele Menschen mit Risiken, Geld oder digitalen Medien nicht umgehen können, dann liegt das nicht daran, dass sie unfähig sind und etwas in ihrem Gehirn falsch verdrahtet ist, sondern dass sie dies einfach nicht gelernt haben. Wenn wir der nächsten Generation den Umgang mit Risiken spielerisch bereits in der Schule beibringen würden, dann würde sie diesen am Ende genauso beherrschen wie Lesen und Schreiben.

DATEV magazin: Sie halten große Stücke auf die Intuition. Was verstehen Sie darunter?

Gerd Gigerenzer: Intuition ist gefühltes Wissen, das drei Eigenschaften besitzt. Erstens ist es sehr schnell im Bewusstsein, sodass ich spüre, was ich tun soll. Zweitens: Ich kann es nicht begründen. Drittens: Es lenkt sehr viele unserer Entscheidungen, sowohl professionell als auch privat. Intuition ist also kein sechster Sinn, keine göttliche Eingabe und auch keine Willkür. Und es ist auch nicht so, dass nur Frauen sie haben, sondern ebenso Männer.

Wann lohnt es sich, länger nach­zu­denken und mehr Daten zu finden – und wann ist es gefährlich?

DATEV magazin: Wann ist es besser, sich auf seine Intuition statt auf seinen Verstand zu verlassen?

Gerd Gigerenzer: Das ist eine wichtige Frage. Wir leben in einer Welt der In­for­ma­tions­flut, in der un­auf­hör­lich Daten ge­sam­melt werden und die Ratio über die In­tui­tion ge­stellt wird – in den meisten Be­reichen zu­min­dest. Wir müssen sie auf die gleiche Ebene stellen und uns eine andere Frage stellen: Wann lohnt es sich, länger nachzudenken und mehr Daten zu finden – und wann ist dies eine gefährliche Sache? Hier haben wir in unserer Forschung einige Antworten gefunden. Die allereinfachste ist diese: Wenn Sie auf einem Gebiet große Erfahrung haben, dann sollten Sie sich auf Ihren ersten Impuls, auf Ihre Intuition verlassen. Wenn Sie Neuling sind, dann lieber nicht, dann denken Sie besser nach.

JETZT ANMELDEN

JETZT ANMELDEN

unter www.datev.de/kongress

Zum Autor

HF
Herbert Fritschka

Redaktion DATEV magazin

Weitere Artikel des Autors