Unter uns - 25. Januar 2024

Mehr Freiheit bedeutet mehr Verantwortung

Jörg Eckstädt sieht sich als Mitwirkender in der Organisation, womit seine Braunschweiger Kanzlei gemeint ist, in der 15 Menschen "wirken", wie er es formuliert.

Zu Beginn sollen drei Buchempfehlungen stehen: „Radikal führen“ von Dr. Reinhard K. Sprenger, „Reinventing Organizations“ von Frédéric Laloux und „Jenseits vom schnellen Gewinn“ von Stefan Fourier. Drei einer ganzen Reihe von Büchern, die aus Jörg Eckstädt den Kanzleichef gemacht haben, der er geworden ist – und der beim Wort Chef sofort interveniert. Denn Jörg Eckstädt sieht sich als Mitwirkender in der Organisation, womit seine Braunschweiger Kanzlei gemeint ist, in der 15 Menschen, nein, nicht arbeiten, sondern wirken, wie Jörg Eckstädt es formuliert. „Man muss auf die Vokabeln achten, das habe ich in den vergangenen fast zwölf Jahren seit der Kanzleigründung gelernt. Es ist wahnsinnig wichtig, welche Begriffe wir benutzen“, sagt der Steuerberater, der eine ganz besondere Herangehensweise an die Kanzleiführung hat, gemeinsam mit seiner beruflichen Partnerin: mit sehr vielen Freiheiten für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei völliger Transparenz und Freiwilligkeit, dafür agierend in Abwesenheit von Machthierarchien.
Alles startete einst klassisch, oder, um es mit Jörg Eckstädt zu sagen: „über die Knüppeltour“. Das heißt: Ausbildung zum Steuerfachangestellten, über Bilanzbuchhalter, Steuerfachwirt hin zur Beraterprüfung, jahrelanges Angestelltenverhältnis, teils als Partner, und 2012 schließlich die Ausgründung der eigenen Kanzlei, in die fünf Jahre später Jörg Eckstädts ehemalige Auszubildende Ramona Jasko als berufliche Partnerin eingestiegen ist. So weit das Klassische, jetzt wird es besonders: nämlich an dem Punkt, an dem wir über die Form der Zusammenarbeit in einer Kanzlei sprechen.
„Die Grundidee besteht darin, bei völliger Freiwilligkeit, Transparenz von Löhnen und Umsatzzahlen sowie Abwesenheit von Machthierarchie ohne Arbeitszeit- und Arbeitsortvereinbarung zusammenzuarbeiten. Das heißt, dass Entscheidungen nach Kompetenz getroffen werden und nicht nach Hierarchie.“ So weit die Theorie, wie sie Jörg Eckstädt beschreibt. Das heißt ganz konkret: „Dass wir in neue Kanzleiräume umgezogen sind, hat das Team entschieden. Ich sah dafür keine Notwendigkeit. Das Sekretariat wurde komplett vom Sekretariat eingerichtet und nicht vom Chef, der vom DMS, Postein- und Postausgang, Fristen und Bescheiden in aller Regel keine Ahnung hat. Neue Mitarbeiter werden durch Mitarbeiter eingestellt, nicht durch die Kanzleileitung, die Entscheidung zur Mandatsannahme oder -ablehnung ebenso.“ Jörg Eckstädt sieht seine Rolle in dem Konstrukt darin, Zusammenarbeit zu ermöglichen, Konflikte zu moderieren und sichtbar zu machen, wie andere Menschen die Welt sehen, sowie die Mitarbeiter bei ihrer Verantwortung zu begleiten.

Der Mandant ist immer dabei

Jörg Eckstädts Konzept basiert auf der Grundlage, die Entscheidungskompetenz so dicht wie möglich an die Sachkompetenz zu bringen. „Verantwortung ist nicht delegierbar. Ich kann Menschen Verantwortung nicht aufzwingen, das funktioniert nicht, und ich sage meinen Mitarbeitern immer: Der Preis für mehr Freiheit ist mehr Verantwortung. Der Schlüssel liegt darin, als Chef die Demut zu haben, das eigene Ego zu überwinden, also die Mitarbeiter in den Verantwortungsraum hineintreten zu lassen und ihnen die Chance zu geben, eigene Vorstellungen zu entwickeln, zu äußern und umzusetzen, gegebenenfalls zu scheitern, hinzufallen, aufzustehen und letztlich an sich selbst zu wachsen und am Ganzen zu partizipieren. Manchmal wird einem dieses kooperative Verhalten als Schwäche ausgelegt. Das gilt es auszuhalten – zugunsten des Baus der idealen Kooperationsarena.“
Völlig frei von Regeln ist Jörg Eckstädts Ansatz jedoch nicht. In der Kanzlei findet beispielsweise jeden Dienstag eine Runde statt, in der neben den Mitarbeitern auch eine Puppe mit am Tisch sitzt, die für die Mandanten steht und die alle daran erinnern soll, dass jedes Thema, das besprochen wird, für den Kunden relevant sein muss.
Und wie reagieren neue Mitarbeiter auf die Arbeitsweise der Kanzlei? „Entweder gehen sie nach acht Wochen wieder, was tatsächlich schon einige Male passiert ist, oder sie bleiben für immer hier. Dazwischen gibt es nichts“, sagt Jörg Eckstädt, der zum Schluss noch einen weiteren Satz auf den Weg gibt: „Kluge Unternehmensführer schaffen es, dass die Menschen ihnen vertrauen. Weise Unternehmensführer schaffen es, dass die Menschen sich selbst vertrauen.“

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TG
Thomas Günther

Redaktion DATEV magazin

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