Gefahr: Scheinselbstständigkeit - 11. September 2013

Mehr Sein als Schein

Die Zahl der Scheinselbstständigen steigt stetig. Findet eine Rentenversicherungsprüfung Jahre später statt, sind hohe Nachzahlungen von Steuern und Sozialabgaben zu erwarten.

Längst sind die Scheinselbstständigen nicht mehr nur auf dem Bau zu finden. Sie arbeiten in Verlagen, Speditionen, IT-Betrieben, als Reisebegleiter, Reinigungskräfte, Trainer oder Pfleger. Auftraggeber wollen Lohnkosten drücken und Sozialabgaben meiden und die Auftragnehmer trauen sich oft nicht, um den Status eines Arbeitnehmers zu kämpfen, aus Angst, dann gar keinen Job zu bekommen.

Statusfeststellung

Jeden Auftraggeber trifft zu Beginn der Auftragsvergabe die Pflicht zur Einstufung der jeweiligen Tätigkeit. Wird eine versicherungsfreie Selbstständigkeit unterstellt, birgt dies bei einer Rentenversicherungsprüfung in späteren Jahren das Risiko hoher Nachzahlungen von Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeträgen und Vorsteuer. Dagegen hilft das sogenannte optionale Statusfeststellungsverfahren bei der Clearing-Stelle der Deutschen Rentenversicherung. Auch der Auftragnehmer kann das Clearing-Verfahren beantragen. Sind sich beide Vertragspartner einig, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ist das optionale Clearing-Verfahren nicht notwendig. Allerdings leitet die Rentenversicherung von sich aus das sogenannte obligatorische Statusfeststellungsverfahren ein, wenn ein GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer, ein Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling erstmalig als Beschäftigter bei der Sozialversicherung angemeldet wird. Kann die Rentenversicherung keine Entscheidung treffen, weil die Beteiligten den Feststellungsbogen unvollständig beantworten oder ihre Mitwirkungspflichten bei Rückfragen verletzen, muss die Anmeldung storniert werden. Dann ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht mehr möglich. Damit verbunden ist das Risiko von hohen Beitragsnachforderungen und dem Verlust der gesetzlichen Krankenversicherung.

Folgen im Beitragsrecht

Für schein­­selbst­­ständig Beschäftigte fallen auf das gezahlte Ent­gelt die üblichen Sozial­­abgaben an.

Für schein­­selbst­­ständig Beschäftigte fallen auf das gezahlte Entgelt die üblichen Sozial­­abgaben an. Grund­­sätzlich beginnt die Ver­­sicherungs­­pflicht mit Beginn der Beschäf­t­igung, auch bei rück­­wirkender Fest­stellung, was zu er­heb­lichen Säumnis­­zu­schlägen führen kann.
Wird dagegen innerhalb eines Monats ab Be­schäfti­gungs­aufnahme das optionale Status­fest­stellungs­verfahren beantragt, beginnt die Ver­sicherungs­pflicht erst, sobald das Ergebnis bekannt gegeben wurde. Das gilt aller­dings nur, wenn der Beschäftigte zustimmt und zwischen­zeitlich anderweitig gegen Krankheit und Alter versichert war, was in der Praxis oftmals nicht erfüllt ist. Neben dem späteren Beginn der Ver­sicherungs­pflicht und damit verbunden geringeren Beiträgen kann der Status­fest­stellungs­antrag auch Säumnis­zuschläge reduzieren, weil die rück­wirkenden Beiträge erst mit den Meldungen des Monats nach Unan­fecht­barkeit der Entscheidung fällig werden. Als dritten Vorteil bietet das Fest­stellungs­ver­fahren die Möglichkeit, die Arbeitnehmerbeiträge am abzuführenden Gesamt­sozial­versicherungs­beitrag länger als für drei Monate vom Lohn einzu­behalten, was allerdings nur bei noch be­schäftigten Arbeit­nehmern möglich ist. Darüber hinausgehende Arbeitnehmeranteile muss der Arbeitgeber, wenn er keine Status­fest­stellung beantragt hat, selbst tragen, da der unter­lassene Antrag als Verschulden gilt. Beitrags­nach­forder­ungen sind für die letzten vier Jahre zulässig, bei (bedingt) vor­sätzlicher Verkürzung sogar für 30 Jahre.

Folgen bei der Lohnsteuer

Schutz gegen eine Haftungs­­in­an­­spruch­­nahme bei der Lohn­steuer bietet nur eine An­­rufungs­­auskunft ans Finanzamt.

Ist der Schein­­selbst­­ständige auch steuer­­recht­­licher Arbeit­­nehmer, kann die nicht ein­be­­haltene Lohn­steuer vom Arbeit­­geber rück­­wirkend mindestens für vier Jahre (§ 191 Abs. 3 AO) nach­ge­­fordert werden, selbst wenn der Auftrag­­nehmer auf sein „Honorar“ bereits Ein­kommen­­steuer gezahlt hat. Ist de facto keine Steuer mehr rück­­ständig, würde die Haftung jedoch ins Leere laufen. Aller­­dings können die Be­­messungs­­grund­lagen zur Lohn­steuer- und Ein­kommen­­steuer­­be­rechnung diffe­r­ieren, zudem bleiben vom Schein­­selbst­­ständigen abziehbare Betriebs­ausgaben und weitere Steuer­­abzugs­­beträge wie bei­spiels­weise Sonder­ausgaben bei der Lohnsteuer un­berück­­sichtigt. Die eigent­lich bestehende Möglichkeit, eine per Haftung gezahlte Lohnsteuer vom Schein­selbst­ständigen wieder zurück­zu­fordern, kann nicht immer rechtlich durch­gesetzt werden. Das erschwert die Berechnung des Lohn­steuer­haft­betrags, der sich an den individuellen Lohn­steuer­abzugs­merk­malen ausrichten soll (BFH 29.5.2008, VI R 11/07; LEX­inform 0588328), allerdings nicht selten vom Finanzamt nach der ungünstigsten Steuerklasse VI veranschlagt wird (§ 39c Abs. 1 EStG; FG München 1.4.2010, 8 V 3819/09; LEXinform 5010925). Problematisch ist zudem die Frage nach dem Brutto- oder Nettosteuersatz und der Umstand, dass Lohnsteuer auch auf einen Regressverzicht der per Haftungsbescheid gezahlten Lohnsteuer (BFH 5.3.2007, VI B 41/06; LEXinform 5903445) sowie auf die übernommenen Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge entstehen kann (BFH 13.9.2007, VI R 54/03; LEXinform 0585074 – gilt nur für Schwarzarbeit).
Allerdings kann bei angenommener Scheinselbstständigkeit nicht gleich ein illegales Beschäftigungsverhältnis unterstellt werden, das sozialversicherungsrechtlich zur „Nettolohnfiktion“ mit der Folge einer noch größeren Berechnungsproblematik führen würde. Schutz gegen eine Haftungsinanspruchnahme bei der Lohnsteuer bietet nur eine Anrufungsauskunft ans Finanzamt nach § 42e EStG zu Beginn der Beschäftigung.

Folgen bei der Umsatzsteuer

Ein Scheinselbstständiger kann umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer bleiben, wenn er nicht in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert und ihm auch nicht weisungsgebunden ist. Sollte dies der Fall sein, muss der Scheinselbstständige bei Überschreiten der Kleinunternehmergrenzen in seinen Rechnungen Umsatzsteuer ausweisen und abführen, der Aufraggeber kann ­diese als Vorsteuer abziehen. Vom Rechnungsbetrag muss er den Arbeitnehmeranteil am ­Gesamtsozialversicherungsbeitrag einbehalten und zusammen mit seinem Arbeitgeberanteil abführen. Beim scheinselbstständigen Unternehmer darf der Arbeitnehmeranteil das umsatzsteuerpflichtige Entgelt nicht mindern. Scheitert beim Scheinselbstständigen die Unternehmereigenschaft hingegen an der Eingliederung und Weisungsgebundenheit, droht dem Auftraggeber die Rückzahlung bereits erhaltener Vorsteuerbeträge samt sechsprozentiger Verzinsung. Der Auftragnehmer schuldet die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer grundsätzlich weiterhin. Nur wenn der Auftraggeber noch keine Vorsteuer abgezogen hat oder dem Finanzamt wieder zurückzahlt, kann der Auftragnehmer seine Rechnungen noch berichtigen (§ 14c Abs. 2, § 17 UStG). Hatte der Scheinselbstständige selbst Vorsteuern abgezogen, ist auch er zur Rückzahlung verpflichtet.

Kriterien der Scheinselbstständigkeit

Die Abgrenzungskriterien sind im Sozialversicherungs-, Steuer- und Arbeitsrecht zwar nicht identisch und werden von der Rechtsprechung unterschiedlich ausgelegt, dennoch spielen vor allem die fünf Kriterien der Sozialversicherungsprüfer eine bedeutende Rolle:

  • Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers
  • Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen (fünf Sechstel des Umsatzes) für nur einen Auftraggeber
  • keine regelmäßig Beschäftigten (mehr als geringfügig oder kurzfristig)
  • Ausüben derselben Tätigkeiten durch fest angestellte Arbeitnehmer
  • vorangehende Arbeitnehmertätigkeit

Aus der Gewichtung dieser einzelnen Kriterien muss der Rentenversicherungsprüfer den Schwerpunkt der Tätigkeit bestimmen. Dabei spielt auch das bisherige Berufsleben eine Rolle. Existenzgründer gelten als selbstständig tätig, solange sie den Gründungszuschuss von der Bundesarbeitsagentur beziehen (§ 7 Abs. 4 SGB IV).

Arbeitnehmerähnliche Selbstständige

Wenn bei einem Beschäftigten die Kriterien für eine Selbstständigkeit überwiegen, insbesondere durch freie Arbeitsgestaltung und fehlende Eingliederung, kann er dennoch rentenversicherungspflichtig werden. Zum Personenkreis der meldepflichtigen, arbeitnehmerähnlichen Selbstständigen gehören nach § 2 S.1 Nr. 9 SGB VI Unternehmer, die im Zusammenhang mit der selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigten und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Bei Gesellschaftern, vor allem bei alleinigen GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführern, kommt es darauf an, ob die Gesellschaft im Außenverhältnis mehrere Auftraggeber hat und wie viel Personal sie beschäftigt. Bei selbstständigen Handwerkern ist trotz echter Selbstständigkeit zu prüfen, ob sie der Rentenversicherungspflicht unterliegen, was grundsätzlich in der Anlage A der Handwerksrolle eingetragene Handwerker betrifft. Nach 18-jähriger Beitragszahlung ist bei ihnen ein Befreiungsantrag möglich.

Fazit

Angesichts der vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Geschäftsbeziehungen ist eine Einordnung anhand fester Kriterien nicht möglich. Checklisten (beispielsweise LEXinform 4900501) geben Anhaltspunkte für eine möglichst treffsichere Entscheidung. Es kommt dabei nicht auf die einzelnen Kriterien an, sondern auf das überwiegende Gesamtbild der tatsächlichen Gegebenheiten. Im Zweifel sollte eine Statusfeststellung bei der Deutschen Rentenversicherung sowie eine Anrufungsauskunft beim Finanzamt eingeholt werden.

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Dialogseminar online „Freie Mitarbeit und die Gefahr der Scheinselbstständigkeit“ (Art.-Nr. 76118)

Zur Autorin

Jutta Liess

Steuerberaterin in eigener Kanzlei, betreut überwiegend mittelständische Unternehmen. Daneben ist sie seit vielen Jahren als Autorin für renommierte Fachverlage und als Referentin von Steuerseminaren tätig.

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