Die ökonomischen Auswirkungen eines flächendeckenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz (KI) in Deutschland haben der eco-Verband und das Beratungsunternehmen Arthur D. Little untersucht.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) hat sich in Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren nahezu verdoppelt. Etwa jedes zehnte Unternehmen (elf Prozent) in Deutschland nutzt die Technologie. Im Jahr 2017 waren es erst sechs Prozent. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Bitkom Research im Auftrag von Tata Consultancy Services (TCS). Vor allem kleinere Unternehmen ab 100 bis 200 Mitarbeitern nutzen KI häufiger als vor zwei Jahren: 2017 setzten zwei Prozent der Befragten die Technologie ein, inzwischen sind es acht Prozent. Vorreiter sind aber weiterhin Großunternehmen (17 Prozent).

„Bei neuen Technologien ist es nicht ungewöhnlich, dass viele Firmen sie erst einführen, wenn der Wettbewerb damit bereits erfolgreich am Markt ist und sich Best Practices erkennen lassen“, sagt Kay Müller-Jones, Leiter Consulting und Services Integration bei TCS. „Aber diese Strategie ist im Falle von KI riskant. Sie ist kein bloßer Trend, sondern wird als entscheidend für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen angesehen. Und mit jedem Tag des Abwartens wächst der Rückstand auf die führenden Firmen und der Druck des Marktes steigt.“

KI kann zum Wachstumsmotor werden

Zudem haben Technologien und Anwendungen auf Basis Künstlicher Intelligenz ein enormes Wirtschaftspotenzial. Eine gemeinsame Studie von eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. und Arthur D. Little, unterstützt vom Vodafone Institut, untersucht erstmals anhand von 150 Use Cases, welche Effekte konkret für Unternehmen in Deutschland durch KI zu erwarten sind.

Die Erkenntnis: Wird KI flächendeckend eingesetzt, ist ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von über 13 Prozent bis 2025 (im Vergleich zu 2019) realistisch. Dies entspricht einem Gesamtpotenzial von ca. 488 Mrd. Euro. Davon entfallen ca. 330 Mrd. Euro (70 Prozent) auf Kosteneinsparungen und ca. 150 Mrd. Euro (30 Prozent) auf Umsatzpotenziale für alle Branchen.

Absolut profitieren am meisten die Branchen Handel / Konsum sowie Energie, Umwelt / Chemie mit je knapp unter 100 Milliarden Euro. Besonders große Chancen sehen die Verfasser für Industrie 4.0: Mit etwas über 50 Prozent (182,5 Milliarden Euro) steckt das größte Kosteneinsparpotenzial in der Unterstützung der Produktion durch KI.

Wirtschaft braucht politischen Rückenwind

Um diese enormen Potenziale von Künstlicher Intelligenz voll auszuschöpfen, empfiehlt der eco-Verband Unternehmen jetzt schnell zu handeln und mögliche Einsatzszenarien von KI für sich zu prüfen:

„Wir beobachten, dass Unternehmen in Deutschland KI Technologien bislang noch sehr zaghaft nutzen. Ein längeres Zögern und Hadern beim Einsatz von KI in den jeweiligen Unternehmensprozessen kann sich der Wirtschaftsstandort Deutschland aber nicht länger leisten“, sagt eco-Vorstandsvorsitzender Oliver J. Süme. „Im internationalen Wettbewerb müssen wir jetzt mit Offenheit und Experimentierfreude sowohl seitens der Internetwirtschaft als auch der Anwenderindustrien voranschreiten und KI in unseren Schlüsselbranchen der Wirtschaft implementieren. Nur so werden wir von diesem Technologieeinsatz schnellstmöglich profitieren und durch unsere Erfahrungen hieraus neue Geschäftsmodelle generieren“, so Süme.

Für eine erfolgreiche Einführung von KI-Technologien benötigt die deutsche Wirtschaft aus Sicht von eco auch politischen Rückenwind. Die von der Bundesregierung Ende 2018 vorgestellte nationale KI-Strategie müsse nun zügig umgesetzt und weiter konkretisiert werden.

„Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, der neben gezielter Forschung und Entwicklung auch auf leistungsfähige digitale Infrastrukturen setzt und die gesellschaftliche Akzeptanz für KI-Technologien fördert. Damit auch kleine und mittelständische Unternehmen KI optimal und souverän nutzen können, muss der Mittelstand besonders gefördert werden“, fordert Oliver J. Süme.

Mehr Akzeptanz und Offenheit schaffen

Lars Riegel, KI Experte bei der internationalen Beratung Arthur D. Little und Co-Autor der Studie, sieht deutsche Technologieunternehmen hinter den chinesischen und amerikanischen Wettbewerbern. In diesen Ländern fließen Milliarden an R&D-Budgets in die Entwicklung von KI-Lösungen, -Plattformen und -Bausteine. Deutsche Unternehmen können diese Entwicklungen nutzen, um sich erfolgreich als Anbieter von KI-Fähigkeiten as a Service (KIFaas) im Umfeld der deutschen Kernindustrien wie Automobilindustrie oder Maschinenbau zu positionieren.

Riegel: „Wir sind optimistisch, dass deutsche Unternehmen in diesen Branchen mittelfristig international führend werden. Die erste Herausforderung ist, das tiefe Domänenwissen in KI-Fähigkeiten zu übersetzen. Dazu muss aber zuerst intern das Verständnis, was eine KI-Fähigkeit und eine KI-Positionierung ist, geschärft werden. Dann kann auf den grundlegenden internationalen Plattformen aufgebaut werden.“

Besonderen Handlungsbedarf sieht Inger Paus, Geschäftsführerin des Vodafone Instituts, beim Thema Akzeptanz und Offenheit gegenüber neuen Technologien: „Das volks- und betriebswirtschaftliche Potential von Künstlicher Intelligenz ist riesig – aber wir müssen es auch heben. Im internationalen Vergleich stehen die Deutschen Automatisierung und Algorithmen besonders skeptisch gegenüber. Es ist besorgniserregend, dass für die meisten deutschen Unternehmen, insbesondere auch für den Mittelstand, KI noch kein Thema ist.“

Einen wichtigen Baustein zur Förderung von KI im Mittelstand liefert eco mit dem Projekt Service Meister, mit dem sich eco auch im KI-Innovationswettbewerb der Bundesregierung durchsetzen konnte. Ziel von Service-Meister ist es, mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) das nötige Service-Wissen zu industriellen Anlagen skalierbar zur Verfügung zu stellen. Die anlagen-, abteilungen- und firmenübergreifende Serviceplattform wird speziell auf die Herausforderungen des deutschen Mittelstands zugeschnitten sein.

Die Studienergebnisse auf einen Blick:

Wird KI zeitnah branchenübergreifend eingesetzt, ist ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von über 13 Prozent bis 2025 (im Vergleich zu 2019) realistisch.

Dies entspricht einem Gesamtpotenzial von ca. 488 Milliarden Euro in 2025 (bei einer jährlichen Wachstumsrate von ca. 34 Prozent). Davon entfallen rund 330 Milliarden Euro (70 Prozent) auf Kosteneinsparungen ca. 150 Milliarden Euro (30 Prozent) auf Umsatzpotenziale für alle Branchen.

Industrie 4.0: Mit etwas über 50 Prozent (182,5 Milliarden Euro) steckt das größte Potenzial in der Unterstützung der Produktion durch KI.

Signifikante Auswirkungen werden für die Branchen Handel & Konsum sowie Energie, Umwelt & Chemie mit je knapp unter 100 Milliarden Euro erwartet.

Zahl der KI-Startups wächst

Das beträchtliche Marktpotenzial macht das Thema KI natürlich auch für Startups und Investoren interessant. So wurden in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 218 Neugründungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) finanziert. Damit liegt die Bundesrepublik im europäischen KI-Ökosystem auf dem dritten Platz – hinter Großbritannien (590 Startups) und Frankreich (235 Startups).

Bei den Investitionen kann sich Deutschland mit rund 510 Millionen Dollar aber nur auf dem vierten Platz hinter Frankreich (1,3 Milliarden Dollar), Großbritannien (1,2 Milliarden) und Israel (902 Millionen) Platzieren. Und das obwohl sich das Investitionsvolumen in Deutschland im Vergleich zu 2018 fast verdoppelt hat. Dies geht aus der Studie „The road to AI – Investment dynamics in the European ecosystem“ hervor, die Roland Berger in Zusammenarbeit mit France Digitale, dem größte Startup-Verband in Europa, der 1400 digitale Startups und mehr als 100 Investoren umfasst, veröffentlicht hat. Für die Studie wurden die 28 Mitglieder der Europäischen Union (inklusive Großbritannien) sowie Norwegen, die Schweiz und Israel befragt.

„Viele Entwicklungen sind sehr erfreulich, da sie zeigen, dass das europäische KI-Ökosystem weiter stark wächst“, sagt Jochen Ditsche, Partner von Roland Berger. „Doch im Vergleich zu China und den USA ist das europäische KI-Ökosystem zu stark fragmentiert und leidet unter mangelnder Integration.“ Probleme, so Ditsche, die sich mit dem EU-Austritt Großbritanniens noch verschärfen könnten.

Chinesische Investoren spielen untergeordnete Rolle

Auf Frankreich, Großbritannien Israel und Deutschland entfielen in den Jahren 2009 bis 2019 gut 80 Prozent der Investitionen. Unter den fünf größten ausländischen Geldgebern sind amerikanische Investoren in den jeweiligen Ländern stark vertreten: Sie stellten im vergangenen Jahr 17,5 Prozent der ausländischen Geldgeber in Großbritannien, 14 Prozent in Deutschland und 7,5 Prozent in Frankreich dar. Chinesische Investoren spielen hingegen bisher kaum eine Rolle. Die europäischen KI-Ökosysteme hängen immer noch stark von ihren inländischen Investoren ab.

„Allerdings hat die Finanzierung von KI-Startups erst seit 2014 richtig Fahrt aufgenommen“, so Ashok Kaul, Partner von Roland Berger. „Seitdem liegen die jährlichen Wachstumsraten bei über 50 Prozent.“. In Zahlen: 2014 wurden in allen untersuchten Ländern insgesamt nur 528 Millionen Dollar in KI-Startups investiert – nur etwas mehr als 2019 allein in Deutschland.

Europa ist zu stark fragmentiert

Trotz des starken Wachstums in Europa, fehlt es nach wie vor an der notwendigen Abstimmung zwischen den einzelnen Ländern. So gibt es zum Beispiel bei der Datenschutz-Grundverordnung aufgrund unterschiedlicher Interpretationen einen europäischen Flickenteppich. „Europa darf sich nicht weiter im Klein-Klein verlieren“, warnt Ashok Kaul. „Wir benötigen eine Strategie, die den freien Datenfluss sicherstellt, Synergien zwischen den Ländern schafft und damit die unterschiedlichen Stärken und Schwächen bei Patenten, Infrastruktur, Investitionskapazität und Fachkräften ausgleicht.“

Großbritannien hat im europäischen KI-Ökosystem eine Schlüsselrolle inne. Im Ländervergleich sorgen die Briten für die höchsten Ausgaben in Forschung und Entwicklung und melden die meisten Patente an. „Der Brexit kann den Zugang zu Daten weiter behindern und die Innovation und Dynamik in ganz Europa beeinträchtigen“, warnt Jochen Ditsche. „Deshalb benötigen wir ein umfassendes und in die Zukunft gerichtetes Framework zwischen der EU und Großbritannien, damit Digitalunternehmer und Investoren den eingeschlagenen Wachstumskurs weiterverfolgen können.“

Autor: Jürgen Schreier

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