Gesellschaftsrecht - 23. Februar 2017

Vorsorge treffen

Was der Brexit für Unternehmen in Deutsch­land be­deutet, ist heute noch nicht ab­seh­bar. Gleich­wohl sollten be­troffene Ge­sell­schaften jetzt schon handeln und den „Worst Case“ zu­min­dest mit ein­be­rechnen.

Die Briten – seit jeher euroskeptisch – haben am 23. Juni 2016 überraschend ernst gemacht und sich mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der EU ausgesprochen. Wie sich der Brexit konkret auf den Rechtsverkehr auswirken wird, hängt maßgeblich von den Aus­tritts­ver­hand­lungen ab. Am wenigsten würde sich ändern, wenn das Vereinigte Königreich (UK) neben Norwegen, Liechtenstein und Island Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) wäre. Dann würde weiterhin EU-Recht gelten. Allerdings müsste sich das UK dann – ohne Mit­sprache­rechte – auch weiterhin an ungeliebte Rechtsgrundsätze wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit halten. Da dieser Aspekt gerade Motiv für den Austritt war, ist diese Variante eher un­wahr­schein­lich. Weitere Alternativen wären ein bilaterales Abkommen des UK mit der EU, gegebenenfalls mit Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), analog der Schweiz (einziger aktueller Mitgliedstaat der EFTA, der das EWG-Abkommen nicht ratifiziert hat), eine schlichte Zollunion nach Muster der Türkei oder gesonderte Freihandelsabkommen wie mit Kanada oder den USA. In all diesen Fällen wäre aber EU-Recht jedenfalls nicht vollumfänglich anwendbar. Schließlich könnte man das UK aus EU-Sicht künftig schlicht als WTO-Drittstaat behandeln.

Welche Gesellschaften sind betroffen?

Vom Brexit in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht betroffen sind alle Gesellschaften britischen Rechts mit Verwaltungssitz in Deutschland (nicht: Gesellschaften, die ihre Geschäftstätigkeit im UK ausüben), also insbesondere die Limited (Ltd. – vergleichbar der deutschen GmbH), die Public Limited Company (PLC – vergleichbar der deutschen AG) sowie die Limited Liability Partnership (LLP – vergleichbar der deutschen Partnerschaft), des Weiteren sind betroffen Kom­man­dit­ge­sell­schaften, deren Komplementär in britischer Rechtsform auftritt (zum Beispiel eine Limited & Co. KG), sowie Europäische Aktiengesellschaften mit Sitz im UK, die Europäische wirtschaftliche Interessenvertretung (EWIV) mit Sitz im UK beziehungsweise mit britischen Mitgliedern und schließlich grenzüberschreitende Umwandlungen und Verschmelzungen mit Bezug zum UK. Insbesondere die britische Ltd. hat in Deutschland großen Zuspruch erhalten. Geringer Grün­dungs­auf­wand bei umfassender Haftungsbeschränkung sprechen für sich. Dasselbe gilt für die LLP. Auch die Vermeidung der Arbeitnehmermitbestimmung dürfte für manches Unter­nehmen at­trak­tiv gewesen sein. PLC sind in Deutschland aber eher selten, ein prominentes Beispiel wäre die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG.

Niederlassungsfreiheit für britische Gesellschaften

Dass in einem anderen Mitgliedstaat der EU gegründete Rechtsträger ihren Verwaltungssitz überhaupt nach Deutschland verlegen können, ohne ihren Status einzubüßen, ist der EU-recht­lichen Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) zu verdanken. Sie durchbricht die all­ge­meinen kol­li­sions­recht­lichen Grundsätze. Der EuGH hat in diversen prominenten Entscheidungen (zum Beispiel Überseering, Urteil vom 05.11.2002 – Rs. C-208/00; Centros, Urteil vom 09.03.1999 – Rs. C-212–97) klargestellt, dass Gesellschaften, die in einem EU-Staat gegründet wurden, ihre Ge­schäfts­tä­tig­keit aber hauptsächlich oder sogar ausschließlich in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, dennoch weiterhin nach ihrem Gründungsstatut zu behandeln sind. Im UK gegründete Gesell­schaften mit Verwaltungssitz in Deutschland können sich aktuell also noch in Deutschland auf die mit ihrer Rechtsform nach britischem Recht geltenden Vorteile, wie etwa die Haf­tungs­be­schrän­kung, berufen, ohne hierfür die deutschen gesellschaftsrechtlichen Regelungen einhalten zu müssen, – und dies selbst dann, wenn sie im UK gar keinen Verwaltungssitz mehr haben. Das ist nicht selbstverständlich, denn nach der in Deutschland herrschenden Sitztheorie findet nach allgemeinem internationalem Gesellschaftsrecht auf eine Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat, auch deutsches Recht Anwendung. Entscheidend ist der Verwaltungssitz, nicht der Gründungssitz. Verwaltungssitz ist dort, wo die Entscheidungen der Unternehmensleitung in konkrete Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.

Wegfall der Niederlassungsfreiheit

Entfällt nun die EU-rechtliche Niederlassungsfreiheit in Bezug auf das UK, werden britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland mangels rechtlicher Grundlage für die Bei­be­hal­tung ihrer Rechtsform nach deutschem Recht behandelt – mit der Folge, dass sie je nach Art ihrer Tätigkeit zu einer OHG oder GbR umqualifiziert werden. Eine Umdeutung etwa der Ltd. in eine GmbH beziehungsweise der LLP in eine Partnerschaft mbB kommt nicht in Betracht, da wesentliche Voraussetzungen häufig nicht erfüllt sein dürften. So müsste zum Beispiel das Mindestkapital nach § 5 Abs. 1 GmbHG ein­gezahlt oder die entsprechende Berufs­haft­pflicht­ver­siche­rung nach § 8 Abs. 4 PartGG abgeschlossen sein. Davon abgesehen fehlt es regelmäßig an der für deutsche Kapitalgesellschaften unerlässlichen Registereintragung. Vor der Eintragung ins Handelsregister existiert weder die GmbH (§ 11 Abs. 1 GmbHG) noch die AG (§ 41 Abs. 1 AktG). Auch für die Partnerschaft ist die Eintragung ins Partnerschaftsregister konstitutiv, § 7 Abs. 1 PartGG. Ohne die Eintragung wird die PartG als GbR behandelt. Eine etwa eingetragene Zweig­nieder­lassung nach §§ 13d-g HGB hilft hier nicht, da ja nur diese und nicht die Gesellschaft selbst eingetragen ist.

Persönliche Haftung der Gesellschafter

Die Behandlung als OHG oder GbR hat für alle Gesellschafter die persönliche Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Folge, und zwar auch für Altschulden, die bereits vor dem Brexit entstanden sind. Rechtsgrundlage ist § 128 HGB, der analog auch für die GbR gilt. Aus Gläubigersicht führt das zu einer Erhöhung der Haftungsmasse zugunsten des Gläubigers, der neben dem Gesellschaftsvermögen wahlweise auf das Privatvermögen der Gesellschafter zu­grei­fen kann. Zwar steht dem gegenüber, dass die Gesellschafter bei einer OHG/GbR mangels Regelungen zum Mindestkapital unbeschränkt zu Entnahmen berechtigt und auch nicht in­sol­venz­an­trags­ver­pflichtet sind – an der Erhöhung des Haftungsrisikos der Gesellschafter ändert das jedoch nichts.

Vertreter ohne Vertretungsmacht

Die Behandlung der Ltd. beziehungsweise PLC als OHG beziehungsweise GbR hat auch Aus­wir­kung auf die Vertretungsmacht der Directors, die oftmals nicht zugleich Gesellschafter und damit sogenannte Fremdgeschäftsführer sind. Für die GbR sowie die OHG gilt das sogenannte Prinzip der Selbstorganschaft (§§ 709, 714 BGB, §§ 114, 125 HGB). Das bedeutet, dass die Gesellschafter die Geschäfte der Gesellschaft grundsätzlich selbst führen und sie die Gesellschaft auch nach außen vertreten. Die Geschäftsführung darf nicht vollständig auf einen Dritten übertragen werden. Wenn die Gesellschafter untätig bleiben und dem Director keine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilen, stellt sich daher die Frage, ob der Director, der schlicht so weitermacht wie bisher, als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt – mit den Risiken der schwebenden Un­wirk­sam­keit des Rechtsgeschäfts (§ 177 Abs. 1 BGB) sowie der Eigenhaftung (§ 179 BGB), wenn die Gesellschaft das Rechtsgeschäft nicht genehmigt. Zwar könnte man an eine konkludente Vollmachtserteilung denken. Dem steht jedoch entgegen, dass die Vollmacht aufgrund der persönlichen Haftung der Gesellschafter nun viel weiter reichen würde als zuvor. Die Haf­tungs­be­schrän­kung auf das Vermögen der Gesellschaft gilt ja nicht mehr. Andererseits können sich die Gesellschafter gegenüber Dritten keineswegs ohne Weiteres auf eine fehlende Bevollmächtigung berufen. Eine Haftung der Gesellschafter kann sich auch aus allgemeinen Rechts­schein­grund­sätzen ergeben, wenn sie etwa den Abschluss von Rechtsgeschäften durch den Director weiterhin zulassen (sogenannte Anscheins- oder Duldungsvollmacht).

Kapitalgesellschaft als Komplementär einer KG

Die Rechtsprechung erkennt überwiegend – und zwar ohne zwischen dem EU-/EWR-Ausland und Drittstaaten zu differenzieren – die Möglichkeit an, Auslandsgesellschaften als Komplementär für eine deutsche KG einzusetzen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 21.03.1986 – BReg 3 Z 148/85; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 21.04.1989 – 5 W 60/88). Der Komplementär übt zwar keine eigene Geschäftstätigkeit aus, haftet jedoch für die Verbindlichkeiten der KG, § 161 HGB. In Fällen, in denen eine britische Komplementärgesellschaft ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat und im UK nur über eine Postanschrift verfügt, ohne dort eine geschäftliche Aktivität auszuüben, fällt die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen weg, sodass die Gesellschafter der Komplementärgesellschaft für die Verbindlichkeiten der KG persönlich und unbeschränkt haften. In dem Sonderfall, dass nur eine einzige natürliche Person Gesellschafter einer Ltd. als Kom­ple­men­tärin zugleich einziger Kommanditist der KG ist, erlischt die KG und der Gesellschafter führt dann ein Einzelunternehmen. Denn nach herrschender Meinung kann dieselbe Person nicht zugleich Komplementär und Kommanditist sein (BGH, Urteil vom 01.06.1987 – II ZR 259/86).

Umzug oder rechtzeitiger Formwechsel

Um die Haftung ihrer Gesellschafter zu vermeiden, könnte die britische Gesellschaft ihren Ver­wal­tungs­sitz in das UK – und damit außerhalb der EU – verlegen, was häufig nicht gewünscht sein dürfte. Zudem würde das eine Wegzugsbesteuerung nach § 12 Abs. 1, 3 KStG und § 4g EStG auslösen. Eine Neugründung in deutschem Gewand wird in aller Regel ebenfalls unpraktikabel sein: Der alte Rechtsträger müsste liquidiert und das Vermögen gesondert im Rahmen eines Asset Deals auf den neuen Rechtsträger transferiert werden. Vorzugswürdig ist daher die rechtzeitige Umwandlung in oder Verschmelzung auf eine passende Unternehmensform deutschen Rechts, wenn der Verwaltungssitz in Deutschland beibehalten werden soll. Zielgesellschaften wären für die Ltd. eine GmbH, für die PLC eine AG und für die LLP eine PartG, eventuell die PartG mbB. Ist eine Umwandlung geplant, sollte rasch gehandelt werden, denn das deutsche Um­wand­lungs­ge­setz sieht nach seinem Wortlaut keine Umwandlungen von ausländischen Gesellschaftsformen in deutsche Rechtsträger vor. Nur solange das UK noch Mitglied der EU ist, können betroffene Gesellschaften von der EuGH-Rechtsprechung zu grenzüberschreitenden Umwandlungen innerhalb der EU profitieren. Danach sind aufgrund der Niederlassungsfreiheit Gesellschaften aus den EU-/EWR-Staaten wie Inlandsgesellschaften zu behandeln (EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C -411/03). Solange der Brexit noch nicht vollzogen ist, können deshalb Umwand­lun­gen nach dem UmwG erfolgen.

Europäische Aktiengesellschaft

Mit dem Brexit wäre im UK ansässigen SE die Grundlage entzogen. Sie könnten jedoch rechtzeitig ihren Sitz identitätswahrend in einen anderen EU-Staat verlegen. Da gemäß Art. 7 Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) bei der SE Satzungs- und Verwaltungssitz nicht auseinanderfallen dürfen, müsste jedoch zwingend auch das operative Geschäft in einen anderen EU-Staat verlegt werden. Ansonsten wären die SE, die im UK verbleiben, nach einem Brexit wohl in PLC umzuwandeln. Die PLC müsste dann aber im UK einen tatsächlichen Ver­wal­tungs­sitz haben. Rechtsgrundlage wäre Art. 66 SE-VO. Für eine in Deutschland oder im übrigen EU-Gebiet weiterhin tätige Zweigniederlassung wäre die Registereintragung hinsichtlich der neuen Rechtsform entsprechend zu korrigieren, schon um eventuell einer Rechtscheinhaftung vorzubeugen.

EWIV

Gemäß Art. 4 Abs. 1 EWIV-VO können nur solche juristischen Personen Mitglied eines EWIV sein, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Sie müssen nach dem Recht eines Mit­glied­staats gegründet sein. Mitglieder, die diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, müssen ausscheiden. Britische Gesellschaften könnten somit nicht mehr Mitglied eines EWIV sein. Ein EWIV mit Sitz im UK müsste seinen Satzungssitz in ein EU-Land verlegen, denn dieser muss nach Art. 12 Abs. 1 EWIV-VO zwingend in der EU beziehungsweise im EWR liegen. Eine Sitzverlegung findet nur innerhalb der EU/EWR statt, Art. 13 EWIV-VO, sodass auch insoweit schnell gehandelt werden müsste.

Bestandsschutz

Die oben geschilderten Rechtsfolgen würden eintreten, wenn EU-Recht nach dem Brexit nicht mehr anwendbar ist und die Politik keine anderweitigen Regelungen findet. Ob unabhängig davon bestehenden Gesellschaften eine Art Bestandsschutz zumindest für eine Über­gangs­zeit zugute kommen sollte, ist nicht geklärt. Man könnte das auf den intertemporalen Grundsatz der Lex temporis actus stützen. Dieser besagt, dass im Fall der Änderung der Rechtslage das Vertrauen der Betroffenen in die unter der alten Rechtslage geschaffenen Rechtsverhältnisse angemessen zu schützen ist. Diese Überlegung bietet jedoch keinesfalls eine sichere Rechts­po­si­tion.

Fazit

Betroffene Unternehmen sollten sich daher nicht auf die Austrittsverhandlungen zwischen dem UK und der EU verlassen. Neue Gesellschaften sollten bereits jetzt nur noch dann nach britischem Recht gegründet werden, wenn der tatsächliche Verwaltungssitz auch im UK liegen soll. Bereits bestehende Gesellschaften nach britischem Recht, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben und auch beibehalten wollen, sollten unbedingt rechtzeitig an eine Umwandlung in eine pas­sen­de deutsche Rechtsform denken, um der Haftungsfalle zu entgehen.

Zum Autor

Dr. Christian Ostermaier

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Fachanwalt für Arbeitsrecht; Partner bei SNP Schlawien ­Partnerschaft mbB Rechtsanwälte Steuerberater Wirtschaftsprüfer
in München

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