Bewertung von Pensionszusagen - 26. November 2015

Weg damit, bevor es zu schwer wird

Die Europäische Zentralbank hat das Zins­niveau auf Tal­fahrt geschickt. Vielen Unter­neh­men ist noch nicht be­wusst, dass da­durch in den kom­men­den Jahren ihr Jahres­ab­schluss be­las­tet werden dürfte.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Jahren durch geldpolitische Maßnahmen wie die stufenweise Absenkung des Leitzinses auf historisch niedrige 0,05 Prozent oder das jüngst aufgelegte Anleihenkaufprogramm mit dem schier unglaublichen Volumen von rund einer Billion Euro das Zinsniveau auf Talfahrt geschickt. Dadurch sollten Kredite noch weiter verbilligt werden, um die lahmende europäische Wirtschaft anzukurbeln. Was jedoch auf der einen Seite für Kreditnehmer vorteilhaft wirken soll, setzt die Kreditgeber auf der anderen Seite zunehmend unter Druck. Viele Unternehmen sind sich dabei noch nicht bewusst, dass sie in ihren Bilanzen Positionen ausweisen, in denen sie selbst in der Funktion des Kreditgebers stehen, und das lang anhaltende Zinstief in den kommenden Jahren so manchen Jahresabschluss verhageln wird.

Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz

Mit Einführung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) im Jahr 2010 leitete der Gesetzgeber einen radikalen Umbruch in der Bewertung von Pensionsverpflichtungen ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war dem Handelsgesetzbuch (HGB) keine spezielle Regelung zur Bewertung von Pensionsrückstellungen zu entnehmen. Die Bewertung musste nur nach ver­siche­rungs­mathe­ma­tischen Grundsätzen und einem ausreichend vorsichtig bestimmten Kalkulationszins erfolgen. Nach Ansicht des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) kam dabei ein Zinssatz zwischen drei Prozent und sechs Prozent infrage. Da der steuerliche Bewertungszins ebenfalls sechs Prozent beträgt, verzichteten bis zu diesem Zeitpunkt rund 90 Prozent der Unternehmen auf eine eigenständige Bewertung und bilanzierten auch in der Handelsbilanz den Steuerbilanzwert. Diese Praxis beendete der Gesetzgeber, indem er eine Spezialvorschrift zur Bestimmung des Be­wer­tungs­zinses ins Handelsgesetzbuch (HGB) aufnahm. Dem Rechnungszins kommt bei der Be­wer­tung einer Pen­sions­verpflichtung dabei eine zentrale Bedeutung zu. Eine Pensionszusage ist letztlich nichts anderes als eine aufgeschobene Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer geht dabei entweder durch seine Arbeit (= Arbeit­ge­ber­fi­nan­zierung) oder durch eigene Beiträge (= Entgeltumwandlung) in Vorleistung und erhält, soweit es sich um eine reine Altersversorgung handelt, die Vergütung erst mit Eintritt in den Ruhestand. Bilanziell muss der Arbeitgeber die zukünftige Verpflichtung bereits bei deren Entstehen berücksichtigen. Der Kalkulationszins stellt dabei die Rendite dar, die der Arbeitgeber entweder intern oder durch seine externe Kapitalanlage (in der Regel in Form einer Rück­dec­kungs­ver­siche­rung) erwirtschaften muss. Sinkt der Rechnungszins, so muss der Arbeitgeber kalkulatorisch mehr Geld zurücklegen, um die Versorgung zu finanzieren. Durch den Zinseszinseffekt wirkt ein sinkender Rechnungszins aber nicht linear, sondern exponentiell.

Koppelung

Durch die Koppelung des Bewertungszinses an einen Marktzins wollte der Gesetzgeber letztlich einen realistischen Ausweis der Pensionsverpflichtungen erreichen. Nunmehr ist nach § 253 Abs. 2 HGB bei der Bewertung von Pensionsverpflichtungen ein Zins anzuwenden, der monatlich durch die Bundesbank ermittelt wird. Es handelt sich hierbei um einen Durchschnittszins der vor­an­ge­gan­ge­nen sieben Jahre. Basis des Zinses ist die sogenannte Null-Prozent-Zins-Swapkurve mit einer Restlaufzeit von 15 Jahren. Aufgrund des zwischenzeitlichen Zinshochs Mitte der 2000er-Jahre lag der Bewertungszins für den 31. Dezember 2009 bei 5,25 Prozent. Um den Umstellungsaufwand für die Unternehmen erträglich zu halten, erlaubte der Gesetzgeber, den Mehraufwand aufgrund der Umbewertung auf 15 Jahre zu verteilen.
Auch in den folgenden Jahren waren die Veränderungen im Zins überschaubar. So bilanzierten die deutschen Unternehmen zum 31. Dezember 2014 noch mit einem Zins von 4,53 Prozent. Eine Veränderung um 72 Basispunkte innerhalb von fünf Jahren. Im Jahr 2015 wird sich dies jedoch radikal ändern. Der Zinssatz wird dann voraussichtlich auf 3,92 Prozent gefallen sein. Eine Veränderung von 61 Basispunkten in nur einem Jahr. Dieser Wert darf als sehr sicher angesehen werden, da aufgrund des siebenjährigen Zeitraums von insgesamt 84 Monatszinsen zum 1. September bereits 80 Monate bekannt sind und nur fünf Zinssätze unbekannt. Auch die zukünftige Richtung des Bewertungszinses ist deshalb klar absehbar. Aktuell scheidet jeden Monat ein Zins aus dem Jahr 2008 von über 4,5 Prozent aus der Betrachtung aus und wird durch einen aktuellen Zins von unter einem Prozent ersetzt. Dadurch verringert sich mittelfristig auch der Durchschnittszins weiter. Unterstellt man beispielsweise, dass das derzeitige Zinsniveau für die kommenden drei Jahre unverändert bleibt, so wird der Bewertungszins am 31. Dezember 2018 auf circa 2,79 Prozent gefallen sein.

Zinsbedingte Steigerung

Die lang anhaltende Niedrigzinsphase belastet die Unternehmen somit insbesondere in den kommenden drei bis vier Jahren.

Aufgrund dieses rapiden Zinsrückgangs werden die aus­zu­wei­sen­den Ver­pflich­tungen allein zins­be­dingt in den nächsten drei bis vier Jahren um circa zehn Prozent p. a. an­steigen. Hinzu kommt bei tätigen An­wär­tern auf Ver­sor­gungs­leis­tungen der jähr­lich üb­liche Anstieg der Ver­pflich­tungen auf­grund des der Be­wer­tung zu­grunde lie­genden An­spar­pro­zesses um circa fünf Prozent. Auf­grund dessen wird sich – bei un­ver­än­der­tem Zins­niveau – die aus­zu­wei­sende Pen­sions­rück­stellung jährlich um circa 15 Prozent erhöhen. Dieser Mehraufwand ist vollständig in den jeweiligen Jahren in den Aufwand der Unternehmen zu buchen und belastet damit letztlich unmittelbar den handelsrechtlichen Gewinn der Unternehmen. Bedenkt man weiterhin, dass in deutschen Bilanzen Ende 2014 Pensionsrückstellungen von rund 321 Milliarden Euro ausgewiesen wurden, lauert hier für die kommenden Jahre ein enormes ökonomisches Risiko. Insbesondere werden die sprunghaften Anstiege der Verpflichtungswerte in den seltensten Fällen durch einen vergleichbaren Anstieg der Vermögenswerte kompensiert, sodass selbst beim Vorliegen von saldierungsfähigem Vermögen die Rückstellung jährlich deutlich zunimmt. Absurderweise möchte sich der Fiskus jedoch nicht an dieser Entwicklung beteiligen. Der steuerliche Zinsfuß von sechs Prozent, ein Relikt aus dem Jahr 1982, wurde bisher nicht angepasst. Die lang anhaltende Niedrigzinsphase belastet die Unternehmen somit insbesondere in den kommenden drei bis vier Jahren durch die starke Erhöhung der Pensionsrückstellungen. Diese Erhöhungen sind jedoch steuerlich irrelevant und führen zu einer – im Verhältnis zur realistischen Leistungsfähigkeit der Unternehmen – übermäßigen Besteuerung dieses Gewinns.

Besserung in Sicht?

Es bleibt abzuwarten, ob sich der Gesetzgeber dieser offensichtlichen Fehlentwicklung annimmt und den steuerlichen Zinssatz an die aktuelle Marktsituation anpasst. Die Bundesregierung hat zumindest in einer jüngst veröffentlichten Antwort zu einer Kleinen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen angedeutet, den Zinsfuß von sechs Prozent auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, den handelsrechtlichen Glättungszeitraum von sieben Jahren auf zwölf Jahre zu verlängern. Der Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz hatte am 17. Juni 2015 im Rahmen einer Beschlussempfehlung den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert. Der Bundestag möchte sich mit der Thematik bereits nach der Sommerpause befassen. Durch diese Maßnahme wird das rapide Absinken des Bewertungszinses in den kommenden Jahren verlangsamt. Der gesetzgeberische Wille, sprich die Verpflichtungen realistisch zu bewerten, wird dadurch faktisch ausgehöhlt. Sofern das Zinsniveau nämlich langfristig, wie beispielsweise in Japan, auf dem aktuellen Niveau konstant bleibt, handelt es sich nur um eine Verschiebung des Aufwands in die Zukunft. Bei steigendem Zinsniveau würde sich der HGB-Rechnungszins dafür aber auch wieder langsamer erholen. Es wird also spannend, wie viel Realismus die Große Koalition den deutschen Unternehmen letztlich zumuten möchte. Den international bilanzierenden Unternehmen mag diese Diskussion befremdlich vorkommen. Nach den Bilanzierungsstandards IFRS und US-GAAP kommt ein reiner Stichtagszins zur Anwendung. Die Auswirkungen der Niedrigzinsphase sind dort deshalb bereits seit einigen Jahren in den Jahresabschlüssen verarbeitet. Nichtsdestotrotz wäre eine Entlastung der Unternehmen mit Direktzusagen sehr zu begrüßen. Letztlich hängt nämlich der tatsächliche Verpflichtungsumfang nicht von einem gesetzlichen Rechnungszins ab, sondern allein von der unternehmensindividuell erwirtschafteten Rendite.

Risikovorsorge verbessern

Während Unternehmer heute vielfältige Risikovorsorge betreiben, werden die beschriebenen Zinsrisiken nach unserer Erfahrung oftmals nicht ausreichend in den Unternehmensplanungen berücksichtigt. Um Unternehmer bei der Analyse zu unterstützen, bieten manche Dienstleister aus der Finanz- und Versicherungsbranche ihren Kunden die Möglichkeit, Prognosewerte unter der Anwendung verschiedener Zinsszenarien zu berechnen und anschaulich darzustellen. Sollen die Bilanzrisiken dagegen zukünftig ausgeschlossen werden, bietet es sich gegebenenfalls an, die vorhandenen Direktzusagen auf beitragsorientierte Leistungszusagen mit kongruenter Rückdeckung umzustellen. Hierdurch bestimmt sich der Verpflichtungswert für die Handelsbilanz zukünftig alleine nach dem Wert der Rück­dec­kungs­ver­siche­rung. Ein weiteres Absinken des Bewertungszinses wirkt sich dann nicht mehr auf die Pensionsrückstellung aus. Sofern die Rückdeckungsversicherung saldierungsfähig und -pflichtig ist, entfällt gar die Rück­stel­lungs­bil­dung komplett und es verbleibt lediglich eine Anhangsangabe. Kann oder soll die Zusage dagegen nicht geändert werden, so ist auch die Auslagerung der Zusage auf einen Pensionsfonds und/oder eine Unterstützungskasse eine beliebte Lösungsstrategie. Dabei wird vorhandenes Firmenvermögen zusammen mit den Pensionsrückstellungen aus dem Unternehmen aus­ge­son­dert. Neben der Bilanzbereinigung wird dadurch auch die Rentnerverwaltung über­tra­gen und das Firmenvermögen gegen die Unternehmensinsolvenz geschützt. Dies ist vor allem für Unternehmer oftmals ein wichtiger Aspekt, da sie auf ihre betriebliche Altersversorgung angewiesen sind.

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Zu den Autoren

DS
Dominik Stadelbauer

Diplom-Betriebswirt (FH) und Leiter des Bereichs Grundsatzfragen der betrieblichen Altersversorgung

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SA
Dr. Stefanie Alt

Diplom-Kauffrau und Mitglied des Vorstands der NÜRNBERGER Pen­sionsgesellschaften und Geschäftsführerin der NÜRNBERGER Beratungs- und Betreuungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung und Personaldienstleistungen

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