Bedarfsplanungsrichtlinie - 22. November 2013

Überplante Mediziner

Die reformierte Bedarfsplanungsrichtlinie will das Ungleichgewicht im Versorgungsangebot ausgleichen. Betroffen sind alle Arztgruppen vom Hausarzt bis zum hoch spezialisierten Humangenetiker.

Je speziali­sierter­ die ärzt­liche ­Leistung, desto größer ist deren Planungs­bereich.

Zur bedarfs­gerechten Ver­sorgung der gesetzlich Ver­sicherten und mit dem Ziel, den Anstieg der Arzt­zahlen in über­versorgten Gebieten zu verhindern, hat der Gesetz­geber im Jahr 1993 die Bedarfs­planung eingeführt. Drohte vor 20 Jahren noch eine Ärzte­schwemme in Deutschland, fehlen nun in ländlichen Gebieten die Hausärzte. Bei den Fachärzten haben wir dagegen größtenteils eine Über­ver­sorgung. Zum 1. Januar 2013 ist die sogenannte Bedarfs­planungs­richt­linie mit dem Ziel reformiert worden, die haus­ärztliche Versorgung möglichst lokal dar­zustellen. Je speziali­sierter die ärztliche Leistung (beispiels­weise Radiologie oder Strahlen­therapie) ist, desto größer ist der regionale Planungs­bereich für diese Arztgruppe.

Ärztegruppen

In die neue Bedarfsplanung werden nun die hausärztliche Versorgung, die fachärztliche Versorgung und bisher nicht geplante Arztgruppen einbezogen. Die Basis für Bedarfsplanung ist der Versorgungsbedarf der Bevölkerung sowie der Einzugsbereich der jeweiligen Arztgruppen.
Die Arztgruppe der hausärztlichen Versorgung umfasst in erster Linie Hausärzte sowie Fachärzte für Allgemeinmedizin, Praktische Ärzte sowie Ärzte ohne Gebietsbezeichnung. Die Verhältniszahl beträgt einheitlich 1:1.671, also ein Hausarzt auf 1.671 Einwohner. Zur allgemeinen fachärztlichen Versorgung gehören Augenärzte, Chirurgen, Frauenärzte, Hautärzte, HNO-Ärzte, Nervenärzte, Orthopäden, Psychotherapeuten, Urologen und Kinderärzte. Der Planungsbereich umfasst die kreisfreie Stadt, den Landkreis oder die Kreisregion.
Zur spezialisierten fachärztlichen Versorgung gehören Anästhesisten, Radiologen, Fachinternisten sowie Kinder- und Jugendpsychiater. Der Planungsbereich ist die Raumordnungsregion. So sollen beispielsweise ein Anästhesist auf 46.917 Einwohner und ein Kinder- und Jugendpsychiater auf 16.909 Einwohner kommen. Der Ebene der gesonderten fachärztlichen Versorgung gehören Arztgruppen an, die bislang nicht beplant waren, beispielsweise die Humangenetiker und die Transfusionsmediziner. Damit unterliegen nun alle Arztgruppen ausnahmslos der Bedarfsplanung. Schon jetzt lassen sich aus den unterschiedlichen gesetzlichen Neuerungen erste Konsequenzen erkennen.

Entwicklung der Praxiswerte

Die Praxiswerte werden sich zukünftig sehr heterogen entwickeln. Spätestens jetzt sollte jeder Arzt seine individuelle Strategie zur Sicherung und Steigerung seines Praxiswertes festlegen und fortschreiben. Auch wenn die einzelnen regionalen Änderungen heute noch nicht im Detail feststehen, Passivität wird auf jeden Fall bestraft werden. Der Druck auf die innerstädtischen fachärztlichen Praxen wird dabei besonders groß sein, da die Praxisübergabe durch den neuen § 103 Abs.3a Sozialgesetzbuch V (SGB V) nicht gewährleistet ist. Das wird an dieser Stelle zu sinkenden Praxiswerten führen.

Erschwerte Sitzverlegung

Insbesondere die Sitzverlegung hausärztlicher Vertragsarztsitze wird deutlich erschwert. Durch die kleinteiligere Planung in sogenannte Mittelbereiche ist der Aktionsradius deutlich eingeschränkt. Das gilt unverständlicherweise nicht für die Großstädte. Aber auch hier gilt eine mittelfristige Veränderung als wahrscheinlich.

Zusätzliche Vertragsarztsitze

Durch die kleinräumigere Bedarfsplanung bei den Hausärzten könnten in einigen Stadtgebieten neue Vertragsarztsitze entstehen. Expansionsfreudige Hausarztgemeinschaften sollten diese Möglichkeiten zum Ausbau der regionalen Marktbeherrschung nutzen. Dies wird den Trend verstärken, dass hausärztliche Praxen insgesamt größer werden.

Politische Einflussnahme

Erstmalig erhält die Politik in den neu zu bildenden Landesgremien die Möglichkeit, auf die regionale Bedarfsplanung Einfluss zu nehmen. Diese Einflussnahme sollte auch von Beraterseite genutzt werden, um vorhandene Lücken in der Versorgung zu ermitteln und durch eine sinnvolle Neuvergabe von Vertragsarztsitzen zu schließen. Insbesondere größere Verbünde können so indirekt ihren Einfluss geltend machen.

Preisfindung

Was kostet zukünftig beispielsweise ein strahlentherapeutischer Sitz? Diese Frage stellt sich auch für alle anderen bisher freien Arztgruppen. Eine exakte Preisfindung wird sicherlich eine Zeit dauern. Einige gut informierte Kanzleien haben für ihre Mandanten rechtzeitig vor dem Moratorium noch Vertragsarztsitze auf Vorrat gesichert. Demzufolge dürfte auch ein dementsprechendes Angebot auf dem Markt vorliegen.

Gestaltungsmöglichkeiten zur Nachbesetzung

Nicht nur Autos, sondern auch Praxen können jetzt stillgelegt werden. Der Zulassungsausschuss kann zukünftig die Übertragung eines Vertragsarztsitzes ablehnen, wenn aus Versorgungsgründen dieser nicht mehr erforderlich ist. Der abgebende Arzt muss zwar abgefunden werden, fraglich sind jedoch die Höhe der Abfindung und die Abwicklung der Dauerschuldverhältnisse. Dieses Szenario ist bisher noch nicht eingetreten. Der erste Fall wird von allen Seiten mit Spannung erwartet.

Infografik: Einwohner pro Hausarzt

Auf einen Hausarzt sollen 1.671 Einwohner kommen

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Infografik: Arztdichte in Deutschland

Arztdichte in Deutschland zum 31.12.2012 (Einwohner je berufstätigen Arzt)

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Infografik: Anteil der jüngeren Ärzte

Anteil der unter 35-jährigen Ärzte an allen berufstätigen Ärzten

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Kompakt­wissen Gesund­heits­wesen „Neue Bedarfs­planung in der vertrags­ärzt­lichen Ver­sorgung“, ca. 70 Seiten, Print (Art.-Nr. 36771), E-Book (Art.-Nr. 19220)

Zur Autorin

Laura Berthmann

ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht und Partnerin der Kanzlei friebe & partner in Nürnberg. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der betriebswirtschaftlichen und vertragsarztrechtlichen Beratung von Ärzten, insbesondere von Großgerätemedizinern. Sie ist Mitglied im DAV und ARGE Medizinrecht.

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