Umsatzsteuer trifft Zoll - 22. Dezember 2022

Die Verknüpfung verstehen

Für den steuerlichen Berater gewinnen auch Regeln des Zolls zunehmend an praktischer Bedeutung. Folglich ist ein Blick auf die Konnexität zwischen Umsatzsteuer und Zollrecht absolut geboten.

Nach Einführung des umsatzsteuerlichen Binnenmarkts zum 1. Januar 1993, dem Beitritt Österreichs zum 1. Januar 1995 sowie den zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 1. Januar 2007 beigetretenen osteuropäischen Staaten Polen, Tschechien, Est­land, Lettland, Litauen, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Slowe­nien zur Europäischen Union (EU) und damit zum Europäischen Binnenmarkt besitzt Deutschland nur noch eine sogenannte Drittlandsgrenze, nämlich die zur Schweiz. Einfuhren und damit verbundene Zollabfertigungen sollten eigentlich der Vergangen­heit angehören und folglich die steuerliche Beraterin und den steuerlichen Berater nicht weiter beunruhigen. Jedoch hat die raue Wirklichkeit nun auch die umsatzsteuerliche Behandlung von Sachverhalten eingeholt, da die Globalisierung vermehrt zu einem Umdenken zwingt. Bereits die einfache Lieferung eines Gegenstands von Deutschland beispielsweise in die Niederlande ist zunehmend nicht ohne den Einbau von Komponenten denk­bar, die aus Fernost kommen und damit in die EU eingeführt werden müssen. Jede Einfuhr wirft aber zollrechtliche Fragen auf, speziell dann, wenn irgendetwas schiefläuft. Und damit ist auch die eigentlich einfache sowie steuerfreie, innergemein­schaftliche Lieferung in Deutschland betroffen. Folglich beein­flusst das Zollrecht zunehmend die umsatzsteuerliche Abwick­lung von Sachverhalten. Und so stellt sich die Frage, woher die herzliche Abneigung des Umsatzsteuerrechtlers gegenüber dem Zollrecht und die des Zöllners gegenüber dem Umsatzsteuer­recht kommt? Verantwortlich für das mangelnde Verständnis der einen für die jeweils andere Seite ist das in Deutschland angeleg­te föderative System. Die Verwaltung des Zollrechts, einschließ­lich der Einfuhrumsatzsteuer, liegt beim Bund, namentlich der Bundeszollverwaltung. Der ausgebildete Zöllner ist Bundesbe­amter. Die Verwaltung der Umsatzsteuer jedoch ist Ländersa­che. Der Finanzbeamte ist Landesbeamter. Das Zollrecht regelt also Vorgänge für das Zollgebiet, das nicht identisch ist mit dem umsatzsteuerlichen Gemeinschaftsgebiet. Und Zollschuldner ist der Anmelder, Steuerschuldner hingegen der Steuerpflichtige, in der Regel ein Unternehmer.

Unterschiedliche Rechtsgrundlagen

Das Zollrecht ist europäisch harmonisiert. Es gilt ausschließlich europäisches Recht. Zum 1. Januar 2016 hat der Unionszollko­dex (UZK) den seit 1994 geltenden Zollkodex (ZK) abgelöst. Ein zwischenzeitlich erlassener, sogenannter Modernisierter Zollko­dex (MZK) sollte eigentlich den ZK ablösen, wurde aber seiner­seits vor Inkrafttreten durch den UZK abgelöst. Der UZK – und das ist die wichtigste Ausnahme zum Umsatzsteuerrecht – stellt unmittelbar geltendes Recht dar, er gilt also direkt und unmittel­bar in allen Mitgliedstaaten. Das Umsatzsteuerrecht hingegen leistet sich nach wie vor den Luxus eines nationalen Rechts, mit dem Umsatzsteuergesetz (UStG). Das europäische Recht in Form der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) gilt grundsätzlich nicht direkt und unmittelbar in den jeweiligen Mit­gliedstaaten, sondern bedarf noch der nationalen Umsetzung. Bei Verstößen gegen Richtlinienbestimmungen kann der Euro­päische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden, der die Unver­einbarkeit einer nationalen Norm mit dem Unionsrecht feststel­len kann. Kompliziert wird das Nebeneinander zwischen MwSt­SystRL und nationalem Umsatzsteuerrecht, weil der EuGH unter bestimmten Bedingungen ein unmittelbares Berufungsrecht auf die Bestimmungen der MwStSystRL erlaubt. Daraus ergeben sich dann Rechtsfolgen, die zu einem sogenannten Anwen­dungsvorrang des Unionsrechts und einem Wahlrecht des Steu­erpflichtigen zwischen nationalem und EU-Recht führen. Diese wenigen Aspekte machen bereits deutlich, warum sich der Um­satzsteuerrechtler gerne dem Zollrecht entzieht und umgekehrt der Zöllner mit dem Umsatzsteuer- beziehungsweise Mehrwert­steuerrecht fremdelt.

Gesetzliche Verknüpfung von Umsatzsteuer und Zoll

Gleichwohl gab es schon immer und durchaus in Übereinstim­mung mit dem Unionsrecht direkte Verknüpfungen zwischen dem nationalen Umsatzsteuerrecht und den Regeln des Zolls. Betroffen waren bisher die nachfolgend aufgelisteten Bereiche.

Neuerungen durch das Jahressteuergesetz 2020

Deutlich gestiegen ist der Einfluss des Zollrechts auf das Um­satzsteuerrecht durch die zum 1. April 2021 sowie am 1. Juli 2021 durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2020 eingefügten Neuerungen zur Umsetzung des sogenannten Digitalpakets (Richtlinie 2017/2455 vom 05.12.2017). Vor allem im Bereich des neu geregelten Fernverkaufs aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat der EU gemäß § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG und § 3c Abs. 2 und 3 UStG mit der Möglichkeit des sogenannten Import-One-Stop-Shop(IOSS)-Verfahrens gemäß § 18k UStG führt die Verknüpfung zwischen Einfuhr und Steuerbarkeit des Umsatzes zu notwendigen Kenntnissen im Zollrecht. Gefordert ist eine Entscheidung über die Höhe des Sachwerts der eingeführten Ware, einem bislang dem Umsatzsteuerrecht fremden, dem Zoll­recht entlehnten Begriff. Gemäß Abschnitt 3.18 Abs. 7 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) ist Sachwert der Preis der Ware selbst beim sogenannten Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der EU ohne Transport- und Versicherungskos­ten, sofern sie nicht im Preis enthalten und nicht gesondert auf der Rechnung ausgewiesen sind, sowie alle anderen Steuern und Abgaben, die von den Zollbehörden anhand der einschlägi­gen Dokumente ermittelt werden können.

Einfuhr im Inland statt Einfuhr in das Inland

Es hat bis zum 1. Januar 2004 gedauert, bis man umsatzsteuer­rechtlich verstanden hat, dass eine Einfuhr im zollrechtlichen Sinne – also die Abfertigung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr – nicht schon bei Einfuhr der Ware ins Inland vorliegt. Erst durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vor­schriften 2003 (StÄndG vom 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645) wurde umsatzsteuerlich klargestellt, dass auch eine noch nicht zum freien Verkehr abgefertigte Ware – die sogenannte Nicht-Unionsware – im Inland transportiert, also bewegt werden kann. Seit dem 1. Januar 2004 stellt der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG klar, dass eine steuerbare Einfuhr erst in dem Zeitpunkt vorliegt, in dem der gelieferte Gegenstand aus dem Drittlands­gebiet im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführt wird. Richtigerweise löst damit eine Warenbewegung aus dem Drittland nur dann umsatzsteuerlich den Tatbestand einer steuerbaren Einfuhr gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG aus, wenn neben dem Verbringen des Gegenstands aus dem Dritt­staat ins Inland dieser Vorgang auch als Einfuhr die Einfuhrum­satzsteuerschuld auslöst.

Gesetzliche Verknüpfung von Umsatzsteuer und Zoll

Steuerbarkeit der Einfuhr von Gegenständen§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UstG
Ortsverlagerung, wenn Leistender Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer§ 3 Abs. 8 UstG
Steuerbefreiung der einer Einfuhr vorangehenden Lieferung§ 4 Nr. 4b UStG
Steuerbefreiung der Einfuhr§ 5 UStG
Bemessungsgrundlage für Einfuhr§ 11 UStG
Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer§ 15 Abs. 1 Nr. 2 UstG
Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer in Abhängigkeit von der Zollschuldentstehung § 13 Abs. 2 UStG i. V. m. § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. UZK
Steuerschuldner für die Einfuhrumsatzsteuer§ 13a Abs. 2 UStG i. V. m. § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. UZK
Sinngemäße Anwendung der Vorschriften für Zölle für die Einfuhrumsatzsteuer § 21 Abs. 2 UStG

Fehlende Definition des Begriffs Einfuhr im Umsatzsteuerrecht

Obwohl das UStG die Einfuhr im Inland steuerbar stellt, hat das deutsche Umsatzsteuerrecht versäumt, den Begriff der Einfuhr für umsatzsteuerliche Zwecke zu definieren. Das parallele Entste­hen von Einfuhrzoll- und der Einfuhrumsatz­steuerschuld sowie die damit verbundene umsatzsteuerrechtliche Definition der Ein­fuhr mittels Zollrecht wurde bisher anhand der zollrechtlichen Vorgaben abgeleitet, und zwar über § 13 Abs. 2 UStG in Verbindung mit der in § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Geltung von zollrechtlichen Vorschriften auch für die Entstehung der Einfuhrumsatz­steuerschuld. Und hier wird es für den Um­satzsteuerrechtler spannend. Nur Kenntnisse im Zollrecht, spezi­ell Art. 77 Abs. 1 UZK, helfen weiter. So bestimmt diese Vorschrift grundsätzlich, dass der Einfuhrzoll – und damit auch die Einfuhr­umsatzsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG – mit Überlassung der einfuhrabgabenpflichtigen Nicht-Unionsware zum zollrechtlich freien Verkehr entsteht. Keine Zollschuld entsteht jedoch, wenn sich die aus dem Drittstaat ins EU-Zollgebiet gelangte Ware in ei­nem Nichterhebungsverfahren (zum Beispiel Versandverfahren) befindet (Art. 5 Nr. 16 i. V. m. Art. 210 ff. UZK). Dann ist die Ware auch nicht im umsatzsteuerrechtlichen Sinne verbracht (Art. 30 Unterabs. 1, Art. 61 MwStSystRL). In diesen Fällen ist die Ware zwar körperlich vom Drittstaat ins Inland gelangt, aber mangels Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr ist noch kein Tatbestand der Einfuhr verwirklicht. Mit Überlassung zum freien Verkehr entsteht die Zollschuld (Art. 79 Abs. 2 UZK) und über §§ 13, 21 Abs. 2 UStG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 UZK auch die Einfuhrumsatzsteuer, jeweils in der Person des An­melders. Solange sich aber die aus dem Drittstaat ins Inland ver­brachte Ware noch unter zollamtlicher Überwachung befindet, liegt noch keine steuerbare Einfuhr vor.

Rechtsprechung des EuGH

Jetzt wird es aber erst richtig kompliziert. Nicht nur, dass der Umsatzsteuerrechtler Kenntnisse vom Zollrecht haben muss, um den Tatbestand der Einfuhr richtig zu erkennen und zu bewerten. Er muss jetzt auch noch die zum Zollrecht ergangene Rechtspre­chung des EuGH im Blick haben. Und hier hat das höchste euro­päische Gericht kürzlich festgestellt, dass die Überlassung von Nicht-Unionsware zum zollrechtlichen freien Verkehr gemäß Art. 201 UZK nur dann zu einer steuerbaren und steuerpflichti­gen Einfuhr führen kann, wenn die Ware im Anschluss an diese Überlassung im Verzollungsmitgliedstaat in den Wirtschafts­kreislauf gelangt (EuGH, Urteil vom 08.11.2012 – Rs. C-165/11 – Profitube spol. s r. o.) beziehungsweise der Unternehmer die Ware bei seiner unternehmerischen Tätigkeit zur Ausführung von Umsätzen einsetzt (Abschn. 15.8 Abs. 4 Satz 1 UStAE).

Zollrecht als Junktim für die Einfuhrumsatzbesteuerung

Das zurzeit an der Schnittstelle zwischen Zoll- und Umsatzsteu­errecht diskutierte Problem beschäftigt sich mit der durch § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Maßgeblichkeit des Zollrechts für die Besteuerung der Ein­fuhrumsatzsteuer. Insbesondere die im Zoll­recht sanktionierten Verstöße, etwa wegen eines pflichtwidrigen Verbringens von Nicht-Unionsware in das Zollgebiet (Stichwort: Schmuggelware), müssten eigentlich wegen des in § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Junk­tims neben einer Zollschuld auch eine Ein­fuhrumsatzsteuerschuld auslösen. Auch hier ist der Umsatzsteuerrechtler gefordert. Er muss sich mit dieser hochkomplexen, für ihn fremden Materie auseinandersetzen, um seinem Beratungsauftrag gerecht werden zu können.

Fazit

All das führt zu der Erkenntnis, dass eine effektive Beratung bei der Umsatzsteuer ohne Kenntnisse im Zollrecht und umgekehrt nicht möglich ist, sondern man seinen Mandatsauftrag insoweit nur dann erfüllen kann, wenn beide Rechtsgebiete miteinander verknüpft werden.

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Zum Autor

Prof. Dr. Hans Nieskens

Steuerberater und Rechtsanwalt sowie Vorsitzender des UmsatzsteuerForums e. V. Gutachter für steuerrechtliche Fragestellungen und Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren.

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