Für den steuerlichen Berater gewinnen auch Regeln des Zolls zunehmend an praktischer Bedeutung. Folglich ist ein Blick auf die Konnexität zwischen Umsatzsteuer und Zollrecht absolut geboten.
Nach Einführung des umsatzsteuerlichen Binnenmarkts zum 1. Januar 1993, dem Beitritt Österreichs zum 1. Januar 1995 sowie den zwischen dem 1. Januar 2004 und dem 1. Januar 2007 beigetretenen osteuropäischen Staaten Polen, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Ungarn, Slowakei und Slowenien zur Europäischen Union (EU) und damit zum Europäischen Binnenmarkt besitzt Deutschland nur noch eine sogenannte Drittlandsgrenze, nämlich die zur Schweiz. Einfuhren und damit verbundene Zollabfertigungen sollten eigentlich der Vergangenheit angehören und folglich die steuerliche Beraterin und den steuerlichen Berater nicht weiter beunruhigen. Jedoch hat die raue Wirklichkeit nun auch die umsatzsteuerliche Behandlung von Sachverhalten eingeholt, da die Globalisierung vermehrt zu einem Umdenken zwingt. Bereits die einfache Lieferung eines Gegenstands von Deutschland beispielsweise in die Niederlande ist zunehmend nicht ohne den Einbau von Komponenten denkbar, die aus Fernost kommen und damit in die EU eingeführt werden müssen. Jede Einfuhr wirft aber zollrechtliche Fragen auf, speziell dann, wenn irgendetwas schiefläuft. Und damit ist auch die eigentlich einfache sowie steuerfreie, innergemeinschaftliche Lieferung in Deutschland betroffen. Folglich beeinflusst das Zollrecht zunehmend die umsatzsteuerliche Abwicklung von Sachverhalten. Und so stellt sich die Frage, woher die herzliche Abneigung des Umsatzsteuerrechtlers gegenüber dem Zollrecht und die des Zöllners gegenüber dem Umsatzsteuerrecht kommt? Verantwortlich für das mangelnde Verständnis der einen für die jeweils andere Seite ist das in Deutschland angelegte föderative System. Die Verwaltung des Zollrechts, einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer, liegt beim Bund, namentlich der Bundeszollverwaltung. Der ausgebildete Zöllner ist Bundesbeamter. Die Verwaltung der Umsatzsteuer jedoch ist Ländersache. Der Finanzbeamte ist Landesbeamter. Das Zollrecht regelt also Vorgänge für das Zollgebiet, das nicht identisch ist mit dem umsatzsteuerlichen Gemeinschaftsgebiet. Und Zollschuldner ist der Anmelder, Steuerschuldner hingegen der Steuerpflichtige, in der Regel ein Unternehmer.
Unterschiedliche Rechtsgrundlagen
Das Zollrecht ist europäisch harmonisiert. Es gilt ausschließlich europäisches Recht. Zum 1. Januar 2016 hat der Unionszollkodex (UZK) den seit 1994 geltenden Zollkodex (ZK) abgelöst. Ein zwischenzeitlich erlassener, sogenannter Modernisierter Zollkodex (MZK) sollte eigentlich den ZK ablösen, wurde aber seinerseits vor Inkrafttreten durch den UZK abgelöst. Der UZK – und das ist die wichtigste Ausnahme zum Umsatzsteuerrecht – stellt unmittelbar geltendes Recht dar, er gilt also direkt und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Das Umsatzsteuerrecht hingegen leistet sich nach wie vor den Luxus eines nationalen Rechts, mit dem Umsatzsteuergesetz (UStG). Das europäische Recht in Form der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL) gilt grundsätzlich nicht direkt und unmittelbar in den jeweiligen Mitgliedstaaten, sondern bedarf noch der nationalen Umsetzung. Bei Verstößen gegen Richtlinienbestimmungen kann der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden, der die Unvereinbarkeit einer nationalen Norm mit dem Unionsrecht feststellen kann. Kompliziert wird das Nebeneinander zwischen MwStSystRL und nationalem Umsatzsteuerrecht, weil der EuGH unter bestimmten Bedingungen ein unmittelbares Berufungsrecht auf die Bestimmungen der MwStSystRL erlaubt. Daraus ergeben sich dann Rechtsfolgen, die zu einem sogenannten Anwendungsvorrang des Unionsrechts und einem Wahlrecht des Steuerpflichtigen zwischen nationalem und EU-Recht führen. Diese wenigen Aspekte machen bereits deutlich, warum sich der Umsatzsteuerrechtler gerne dem Zollrecht entzieht und umgekehrt der Zöllner mit dem Umsatzsteuer- beziehungsweise Mehrwertsteuerrecht fremdelt.
Gesetzliche Verknüpfung von Umsatzsteuer und Zoll
Gleichwohl gab es schon immer und durchaus in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht direkte Verknüpfungen zwischen dem nationalen Umsatzsteuerrecht und den Regeln des Zolls. Betroffen waren bisher die nachfolgend aufgelisteten Bereiche.
Neuerungen durch das Jahressteuergesetz 2020
Deutlich gestiegen ist der Einfluss des Zollrechts auf das Umsatzsteuerrecht durch die zum 1. April 2021 sowie am 1. Juli 2021 durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2020 eingefügten Neuerungen zur Umsetzung des sogenannten Digitalpakets (Richtlinie 2017/2455 vom 05.12.2017). Vor allem im Bereich des neu geregelten Fernverkaufs aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat der EU gemäß § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG und § 3c Abs. 2 und 3 UStG mit der Möglichkeit des sogenannten Import-One-Stop-Shop(IOSS)-Verfahrens gemäß § 18k UStG führt die Verknüpfung zwischen Einfuhr und Steuerbarkeit des Umsatzes zu notwendigen Kenntnissen im Zollrecht. Gefordert ist eine Entscheidung über die Höhe des Sachwerts der eingeführten Ware, einem bislang dem Umsatzsteuerrecht fremden, dem Zollrecht entlehnten Begriff. Gemäß Abschnitt 3.18 Abs. 7 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) ist Sachwert der Preis der Ware selbst beim sogenannten Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der EU ohne Transport- und Versicherungskosten, sofern sie nicht im Preis enthalten und nicht gesondert auf der Rechnung ausgewiesen sind, sowie alle anderen Steuern und Abgaben, die von den Zollbehörden anhand der einschlägigen Dokumente ermittelt werden können.
Einfuhr im Inland statt Einfuhr in das Inland

Es hat bis zum 1. Januar 2004 gedauert, bis man umsatzsteuerrechtlich verstanden hat, dass eine Einfuhr im zollrechtlichen Sinne – also die Abfertigung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr – nicht schon bei Einfuhr der Ware ins Inland vorliegt. Erst durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften 2003 (StÄndG vom 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645) wurde umsatzsteuerlich klargestellt, dass auch eine noch nicht zum freien Verkehr abgefertigte Ware – die sogenannte Nicht-Unionsware – im Inland transportiert, also bewegt werden kann. Seit dem 1. Januar 2004 stellt der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG klar, dass eine steuerbare Einfuhr erst in dem Zeitpunkt vorliegt, in dem der gelieferte Gegenstand aus dem Drittlandsgebiet im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr überführt wird. Richtigerweise löst damit eine Warenbewegung aus dem Drittland nur dann umsatzsteuerlich den Tatbestand einer steuerbaren Einfuhr gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG aus, wenn neben dem Verbringen des Gegenstands aus dem Drittstaat ins Inland dieser Vorgang auch als Einfuhr die Einfuhrumsatzsteuerschuld auslöst.
Gesetzliche Verknüpfung von Umsatzsteuer und Zoll
Steuerbarkeit der Einfuhr von Gegenständen | § 1 Abs. 1 Nr. 4 UstG |
Ortsverlagerung, wenn Leistender Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer | § 3 Abs. 8 UstG |
Steuerbefreiung der einer Einfuhr vorangehenden Lieferung | § 4 Nr. 4b UStG |
Steuerbefreiung der Einfuhr | § 5 UStG |
Bemessungsgrundlage für Einfuhr | § 11 UStG |
Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer | § 15 Abs. 1 Nr. 2 UstG |
Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer in Abhängigkeit von der Zollschuldentstehung | § 13 Abs. 2 UStG i. V. m. § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. UZK |
Steuerschuldner für die Einfuhrumsatzsteuer | § 13a Abs. 2 UStG i. V. m. § 21 Abs. 2 UStG i. V. m. UZK |
Sinngemäße Anwendung der Vorschriften für Zölle für die Einfuhrumsatzsteuer | § 21 Abs. 2 UStG |
Fehlende Definition des Begriffs Einfuhr im Umsatzsteuerrecht
Obwohl das UStG die Einfuhr im Inland steuerbar stellt, hat das deutsche Umsatzsteuerrecht versäumt, den Begriff der Einfuhr für umsatzsteuerliche Zwecke zu definieren. Das parallele Entstehen von Einfuhrzoll- und der Einfuhrumsatzsteuerschuld sowie die damit verbundene umsatzsteuerrechtliche Definition der Einfuhr mittels Zollrecht wurde bisher anhand der zollrechtlichen Vorgaben abgeleitet, und zwar über § 13 Abs. 2 UStG in Verbindung mit der in § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Geltung von zollrechtlichen Vorschriften auch für die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuerschuld. Und hier wird es für den Umsatzsteuerrechtler spannend. Nur Kenntnisse im Zollrecht, speziell Art. 77 Abs. 1 UZK, helfen weiter. So bestimmt diese Vorschrift grundsätzlich, dass der Einfuhrzoll – und damit auch die Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG – mit Überlassung der einfuhrabgabenpflichtigen Nicht-Unionsware zum zollrechtlich freien Verkehr entsteht. Keine Zollschuld entsteht jedoch, wenn sich die aus dem Drittstaat ins EU-Zollgebiet gelangte Ware in einem Nichterhebungsverfahren (zum Beispiel Versandverfahren) befindet (Art. 5 Nr. 16 i. V. m. Art. 210 ff. UZK). Dann ist die Ware auch nicht im umsatzsteuerrechtlichen Sinne verbracht (Art. 30 Unterabs. 1, Art. 61 MwStSystRL). In diesen Fällen ist die Ware zwar körperlich vom Drittstaat ins Inland gelangt, aber mangels Überlassung zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr ist noch kein Tatbestand der Einfuhr verwirklicht. Mit Überlassung zum freien Verkehr entsteht die Zollschuld (Art. 79 Abs. 2 UZK) und über §§ 13, 21 Abs. 2 UStG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 UZK auch die Einfuhrumsatzsteuer, jeweils in der Person des Anmelders. Solange sich aber die aus dem Drittstaat ins Inland verbrachte Ware noch unter zollamtlicher Überwachung befindet, liegt noch keine steuerbare Einfuhr vor.
Rechtsprechung des EuGH
Jetzt wird es aber erst richtig kompliziert. Nicht nur, dass der Umsatzsteuerrechtler Kenntnisse vom Zollrecht haben muss, um den Tatbestand der Einfuhr richtig zu erkennen und zu bewerten. Er muss jetzt auch noch die zum Zollrecht ergangene Rechtsprechung des EuGH im Blick haben. Und hier hat das höchste europäische Gericht kürzlich festgestellt, dass die Überlassung von Nicht-Unionsware zum zollrechtlichen freien Verkehr gemäß Art. 201 UZK nur dann zu einer steuerbaren und steuerpflichtigen Einfuhr führen kann, wenn die Ware im Anschluss an diese Überlassung im Verzollungsmitgliedstaat in den Wirtschaftskreislauf gelangt (EuGH, Urteil vom 08.11.2012 – Rs. C-165/11 – Profitube spol. s r. o.) beziehungsweise der Unternehmer die Ware bei seiner unternehmerischen Tätigkeit zur Ausführung von Umsätzen einsetzt (Abschn. 15.8 Abs. 4 Satz 1 UStAE).
Zollrecht als Junktim für die Einfuhrumsatzbesteuerung
Das zurzeit an der Schnittstelle zwischen Zoll- und Umsatzsteuerrecht diskutierte Problem beschäftigt sich mit der durch § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Maßgeblichkeit des Zollrechts für die Besteuerung der Einfuhrumsatzsteuer. Insbesondere die im Zollrecht sanktionierten Verstöße, etwa wegen eines pflichtwidrigen Verbringens von Nicht-Unionsware in das Zollgebiet (Stichwort: Schmuggelware), müssten eigentlich wegen des in § 21 Abs. 2 UStG angeordneten Junktims neben einer Zollschuld auch eine Einfuhrumsatzsteuerschuld auslösen. Auch hier ist der Umsatzsteuerrechtler gefordert. Er muss sich mit dieser hochkomplexen, für ihn fremden Materie auseinandersetzen, um seinem Beratungsauftrag gerecht werden zu können.
Fazit
All das führt zu der Erkenntnis, dass eine effektive Beratung bei der Umsatzsteuer ohne Kenntnisse im Zollrecht und umgekehrt nicht möglich ist, sondern man seinen Mandatsauftrag insoweit nur dann erfüllen kann, wenn beide Rechtsgebiete miteinander verknüpft werden.
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