Nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zur Rentenversicherungspflicht der Syndikusanwälte verbietet es sich, in Hektik zu verfallen. Denn ohne die schriftlichen Urteilsgründe, die noch ausstehen, bleiben viele Fragen offen.
Die Tätigkeit in einem Unternehmen wird von den Richtern nur als juristische, nicht aber als anwaltliche Tätigkeit angesehen. Kern ist der Satz im Terminbericht: „Wer daher eine weisungsgebundene Tätigkeit ausübt, die seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt, kann überhaupt kein Anwalt sein.“
Und dann wird von einem „allgemeinen anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit besteht“, gesprochen; woher diese Erkenntnisse genommen werden, begründet der Senat im Terminbericht aber nicht. Dabei übersehen wird, dass ein Großteil der Syndikusanwälte in gehobener Position tätig ist und in seinem Rechtsrat in aller Regel tatsächlich und auch rechtlich weisungsfrei ist.
Übersehen wird auch, dass etwa im Compliance-Bereich die Weisungsunabhängigkeit sogar vorgeschrieben ist, etwa in den Regelungen der BaFin und so weiter. Ebenso übersehen wird die Weisungsfreiheit im Bereich des Datenschutzrechts.
Klausel im Arbeitsvertrag?
Auffällig ist auch, dass der Senat sich dazu äußert, ob und wie angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien zu befreien sind. Hier verlangt er „entsprechend ausgestaltete Anstellungsverhältnisse“. Man darf gespannt sein, wie dies in den Begründungen konkretisiert wird. Denkbar wäre hier
Ob das wirklich zutrifft, nicht zuletzt auch mit Blick auf Haftungsgesichtspunkte, bezweifele ich sehr. Und ob die Kanzleien entsprechende Arbeitsverträge erstellen – diese Entwicklung wird mit Spannung zu beobachten sein. Ich bin mir sicher, dass sich die Deutsche Rentenversicherung (DRV) in Zukunft jeden Arbeitsvertrag genau ansehen wird.
Die Vier-Kriterien-Theorie
Nur noch Makulatur ist jetzt die Vier-Kriterien-Theorie, die sich in der Praxis bewährt hatte.
Nur noch Makulatur ist jetzt die sogenannte Vier-Kriterien-Theorie, die seit neun Jahren zur Anwendung gekommen ist und sich in der Praxis bewährt hat. Sie ist im Zusammenhang mit der Befreiung vom Senat einfach beiseite gewischt worden.
Da ihre Anwendung von allen anerkannt war – die DRV Bund hatte in der mündlichen Verhandlung sogar noch einmal deutlich für die Aufrechterhaltung der bisherigen Praxis plädiert –, musste der Senat etwas zu der Vergangenheit sagen. Er formuliert, dass es ein „rechtlich geschütztes Vertrauen in den Bestand dieser Entscheidungen“ gibt, „das über den Schutz durch die §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) X hinausgehen dürfte“, was auch immer dies heißen mag.
Vielleicht ist es ein Hinweis darauf, dass Fristen etwa in § 48 SGB X zur Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung (solche sind die Befreiungsbescheide) vonseiten der Behörde nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wie etwa die Zwei-Jahres-Frist für die Aufhebung nach einer Ermessensentscheidung der Behörde.
Gang zum Verfassungsgericht
Im Wege der Verfassungsbeschwerde wird wahrscheinlich eines der Urteile überprüft werden. Ansatzpunkte dafür sind potenzielle Verstöße gegen Art. 12 und Art. 3 Grundgesetz (GG). Der Senat selbst erkennt ja durchaus eine verfassungsrechtliche Problematik, wenn er schreibt, dass er einen Eingriff in Art. 12 GG „allenfalls am Rande“ sieht. Doch das verhindert natürlich nicht die Rechtskraft der Entscheidung des obersten Sozialgerichts.
Urteilsgründe abwarten
Vor allen Entscheidungen der betroffenen Anwälte und der Arbeitgeber müssen zunächst die schriftlichen Urteilsgründe abgewartet werden. Denn es kann dann durchaus Ansatzpunkte für noch offene Verfahren geben.
Was ist etwa mit Fällen, in denen im Arbeitsvertrag ein „Rechtsanwalt“ eingestellt und auch die Zulassung Bestandteil des Vertrags ist, bei Verlust der Zulassung der Arbeitsvertrag gekündigt werden kann (siehe dazu etwa ausdrücklich für eine Befreiung in Kenntnis der negativen Urteile des LSG NRW das SG Köln, Urteil vom 20.12.2013 – Az. S 33 R 1108/13).
Oder etwa, wenn Inhalt des Arbeitsvertrags nicht die anwaltliche Tätigkeit gegenüber dem Arbeitgeber, sondern gegenüber Vereins- und Verbandsmitgliedern ist und hier zum Beispiel eine Weisungsfreiheit besteht. Das gilt auch im Unternehmen – etwa bei Tätigkeiten im Datenschutz oder im Compliance-Bereich. Der Senat stellt im Terminbericht nur auf eine Fallgruppe ab, sodass viele Fragen offenbleiben.
Ruhende Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sollten von den Betroffenen nicht aufgegriffen werden, sondern das Ruhen sollte bis zu einer Entscheidung aus Karlsruhe erhalten bleiben.
Gleiches gilt für die Aufarbeitung der Vergangenheit, denn was unter dem weitergehenden Vertrauensschutz zu verstehen ist, erschließt sich aus dem Terminbericht leider nicht.
Allgemeinverfügung der DRV
Noch nicht aufgehoben beziehungsweise geändert ist zudem die wohl als „Allgemeinverfügung“ zu wertende Veröffentlichung der DRV Bund vom 10. Januar 2014. So einfach ist das auch nicht, da sie sich ja nicht nur an Rechtsanwälte, sondern an alle Berufsgruppen wendet, die einen Befreiungsantrag stellen können. Zudem setzt sie allgemein die Urteile des BSG vom 31. Oktober 2013 für die Verwaltung bindend um.
Verhalten bei Altbescheiden
Zurzeit laufen Gespräche bei den betroffenen Verbänden, wie man mit der DRV ins Gespräch kommt, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. An dieser Stelle können gar nicht alle bekannten Fallgestaltungen erläutert werden, die hier anzusprechen sind. So wird es sicherlich zu Auseinandersetzungen über die Formulierung in Altbescheiden der DRV kommen.
Im 2001 verwendeten Formular der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) heißt es etwa wörtlich: „Die Befreiung erstreckt sich, sofern die Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer weiter besteht, auch auf andere berufsständische versicherungspflichtige Tätigkei
Sinnvoll wäre hier eine generelle Verwaltungsregelung für alle anhängigen Fälle bis zum 3. April 2014, denn nur so lässt sich auch eine Vielzahl von Klagen bei den Sozialgerichten vermeiden.
Verhalten bei Neueinstellungen
Bei allen Neueinstellungen von Freiberuflern hat jetzt zu Tätigkeitsbeginn eine Anmeldung bei der DRV zu erfolgen.
Klar ist aber: Bei allen Neueinstellungen von Freiberuflern hat jetzt zu Tätigkeitsbeginn eine Anmeldung des Mitarbeiters bei der DRV zu erfolgen. Der Mitarbeiter muss dann – mit der Unterstützung des Arbeitgebers – möglichst innerhalb der Frist des § 6 Abs. 4 SGB VI (damit die Rückwirkung zum Beschäftigungsbeginn erhalten bleibt) einen Befreiungsantrag nach § 6 Abs. 1 SGB VI stellen. Alles andere wäre auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten (§ 266a StGB) falsch.
Es kann durchaus sinnvoll sein, für neue Tätigkeiten weiterhin Befreiungsanträge zu stellen, damit alle Rechte erhalten bleiben, verboten sind solche Anträge nicht. Hier können jetzt ja auch Arbeitsverträge unter Umständen entsprechend gestaltet werden. Und die DRV hat mittlerweile angekündigt, solche Anträge nicht sofort abzulehnen, sondern erst einmal die Urteilsgründe abzuwarten.
Tätigkeitswechsel im Unternehmen
Für die Zukunft müssen Tätigkeitswechsel im Unternehmen sehr viel stärker als bisher geplant und mit den Fachvorgesetzten und Mitarbeitern besprochen werden. Muss ein Wechsel im Unternehmen zu einem Neuantrag führen? Das ist dann der Fall, wenn es sich um einen wesentlichen Tätigkeitswechsel handelt. Was genau dies ist, ist bisher heftig umstritten. Die reine Beförderung ist es wohl nicht, auch nicht die Übernahme eines neuen Rechtsgebiets und die andere organisatorische Zuordnung einer Abteilung.
Hier ist der Mitarbeiter über die Entscheidung entsprechend zu belehren, sonst kann das unter Umständen auch Schadensersatzansprüche der Mitarbeiter gegenüber dem Arbeitgeber auslösen. Zu denken ist aber auch an die Regelung des § 6, Abs. 5, Satz 2 SGB VI, die eine Aufrechterhaltung der Befreiung bei einer befristeten berufsfremden Tätigkeit (Stichwort: Abordnung) ermöglicht.
Veränderungen im Verhalten von Syndikusanwälten sind schon zu bemerken. Wenn der Arbeitgeber einen wesentlichen Tätigkeitswechsel sieht, sinkt zurzeit die Wechselbereitschaft deutlich oder muss mit einem finanziellen Ausgleich verbunden sein.
Vorauseilender Gehorsam
Zu bemerken ist, dass die DRV jetzt schnell reagiert: Mit Bezug auf die „gefestigte verfassungs- und berufsrechtliche Rechtsprechung“ und ohne die BSG-Urteile vom 4. März 2014 werden jetzt viele Anträge einfach abgelehnt, zum Teil nach Laufzeiten von vielen Monaten. Es ist schon erstaunlich, dass die Behörde selbst nicht einmal die Entscheidungsgründe abwartet.
Und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH ist gar nicht so eindeutig, wie das BSG und die DRV zu glauben scheinen. Es schadet nicht, hier nochmals die Entscheidungen zu lesen.
Appell an die Anwaltschaft
Schon vor dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ist festzuhalten: Es ist das geschehen, was ich immer befürchtet habe (siehe nur Huff, BRAK-Mitteilungen 2013, 215 [220]): Nicht die deutsche Anwaltschaft definiert ihr Berufsbild, sondern das Bundessozialgericht. Die deutsche Anwaltschaft ist jetzt aufgefordert, rasch mit der DRV Bund über eine vernünftige Aufarbeitung der Vergangenheit zu verhandeln (siehe dazu ausführlich Huff, AuA 2014, 300 ff.). Für die Vergangenheit wäre dies auch gesetzgeberisch möglich, etwa über eine Änderung und Ergänzung des Art. 231 SGB VI, die Auffangnorm für alle Übergangsvorschriften. Hier hoffe ich sehr, dass sich auch die Wirtschaftsverbände entsprechend einsetzen. Denn es geht nicht nur um viel Geld, um das in Zukunft bei Betriebsprüfungen gestritten werden wird, sondern auch um die Frage, wie offene Fragen der Befreiung mit den Mitarbeitern geklärt werden können.
Ausblick
Wenn sich die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwalt Verein sowie der Bundesverband der Unternehmensjuristen nicht rasch gemeinsam darauf einigen, wie das Problem rechtlich in den Griff zu bekommen ist, dann steht die deutsche Anwaltschaft vor einer Spaltung und die bisher möglichen Wechsel zwischen den Tätigkeiten werden sehr viel schwieriger. Auch die örtlichen Rechtsanwaltskammern und die Versorgungswerke werden das zu spüren bekommen, was auch nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft liegen kann.
Letzterer und allen Freiberuflern muss daran gelegen sein, im Befreiungsrecht für mehr Klarheit zu sorgen. Denn die regelmäßigen Auseinandersetzungen um die Frage, wer eine befreiungsfähige Tätigkeit nach § 6 SGB VI ausübt, müssen eingeschränkt werden.
Es sollte über eine Regelung nachgedacht werden, die die Befreiung nach § 6 SGB VI an eine Bestätigung der jeweiligen Berufskammer anknüpft, dass es sich um eine berufsspezifische Tätigkeit handelt. Daran wäre dann die DRV gebunden.
Und die Frage, was zum Beruf gehört, würde dann mit den Kammern und nicht mit der DRV ausgetragen. Solche Aufgaben gehören zum klassischen Tätigkeitsbild der Kammern, die als Behörden an Recht und Gesetz gebunden sind. Ein Weg, den auch die DRV und das Bundesministerium für Arbeit mitgehen könnten.