Störerhaftung - 26. Januar 2017

Die Internetfalle

Anbieter ungeschützter WLAN-Netze haften geschädigten Rechteinhabern weiterhin auf Unterlassung – trotz einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung und eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs.

Wer kennt die Situation nicht? Man ist als Tourist oder Geschäftsreisender in einer fremden Stadt eines fremden Landes, trinkt einen Kaffee in einer kleinen Bar und freut sich, wenn man dort ein frei zugängliches WLAN findet, das heißt ohne Passwortschutz. Dann kann man unterwegs unkompliziert Urlaubsfotos verschicken oder E-Mails senden und empfangen. Natürlich möchten auch Cafés, Bars und Hotels ihren Gästen diese Annehmlichkeit bieten. Gerade kleine Lokale können dadurch auf sich aufmerksam machen und den Kunden besseren Service bieten. Was in den meisten europäischen Ländern gang und gäbe ist, sucht man in Deutschland jedoch ver­ge­bens. Warum nur? Das Phänomen hat einen Namen: Störerhaftung. Nach der derzeitigen Recht­spre­chung des Bundesgerichtshofs (BGH) haftet nicht nur derjenige für eine Ur­he­ber­rechts­ver­letzung im Internet, der ein urheberrechtlich geschütztes Werk ohne Zustimmung des Rechte­in­habers öffentlich zugänglich gemacht hat. Neben dem unmittelbaren Täter haftet auch der Inhaber des Internetanschlusses – zwar nicht auf Schadensersatz, aber zumindest auf Unter­las­sung. Er ist sogenannter Störer, wenn er indirekt für die Rechtsverletzung mitverantwortlich ist. Das kann vor allem zwei Gründe haben. Zum einen hat der An­schluss­in­haber den Haupttäter nicht vor Beginn der Nutzung des WLAN unmissverständlich über die Gefahren einer Verwendung von Peer-to-Peer-Netzen aufgeklärt und solche illegalen Nutzungen verboten beziehungsweise die Einhaltung des Verbots überwacht. Der BGH hat insoweit jedoch dem weitverbreiteten Bedürfnis nach ständiger Internetnutzung Rechnung getragen und klargestellt, dass der Anschlussinhaber volljährige Gäste nicht ohne Anlass belehren muss, ehe er ihnen sein WLAN-Passwort mitteilt. Es müssen Anhaltspunkte vorliegen, dass der Benutzer das WLAN missbrauchen könnte (BGH, Urteil vom 12.05.2016, I ZR 86/15). Ein Verstoß ist aber auch zu bejahen, wenn das WLAN-Netzwerk nicht durch ein ausreichend sicheres Passwort geschützt wird. Der BGH hat jedoch entschieden (BGH, Urteil vom 25.11.2016, I ZR 220/15), dass ein voreingestelltes Passwort mit einer 16-stelligen Zahlenkombination ausreichend ist, wenn das Passwort nur für den konkreten Router und nicht für eine Vielzahl von Geräten voreingestellt wurde; zudem muss das Passwort zum Zeitpunkt des Kaufs dem technischen Standard genügt haben (eine WPA2-Verschlüsselung war im Jahr 2014 ausreichend).

Abmahnanwälte

Auf die skizzierten Fallkonstellationen haben sich seit Jahren gewisse Kanzleien spezialisiert. Sie spüren Internetanschlüsse auf, von denen aus Rechtsverletzungen begangen werden und mahnen den Inhaber des Anschlusses ab. Daher ist es nur allzu verständlich, dass Cafés, Bars und Hotels entweder gar kein WLAN anbieten oder dieses mit einem Passwort schützen, das wiederum Gäste nur auf Anfrage erhalten. Diese Situation ist sowohl für Gastronomen als auch für Kunden un­be­frie­di­gend.

Abhilfe durch eine Gesetzesreform?

Diese Problematik hatte auch die Bundesregierung erkannt. Auf deren Gesetzesinitiative hin trat am 27. Juli 2016 das Zweite Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes in Kraft. Danach sollen nach eigener Aussage der Bundesregierung künftig neue Geschäftsmodelle nahezu ohne Auf­wand gestartet werden. Auch bereits erfolgreich etablierte Geschäftsmodelle profitieren von der neuen gesetzlichen Grundlage. Das Gesetz zielt darauf ab, WLAN-Betreibern die nötige Rechts­sicher­heit in Haftungsfragen zu verschaffen, um auf diesem Wege eine größere WLAN-Ab­de­ckung in Deutschland zu erreichen. Demzufolge hat der Gesetzgeber einen neuen, dritten Absatz zu § 8 Telemediengesetz (TMG) hinzugefügt. Dadurch sollen nun auch Anbieter von WLAN-Netzwerken ebenso wie bereits Access-Provider – also etwa T-Mobile, 1 & 1, Vodafone – für fremde Informationen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln, nicht verantwortlich sein, wenn sie

  • die Übermittlung nicht veranlasst,
  • den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und
  • die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben.

Diese Merkmale treffen zwar auch auf WLAN-Anbieter zu, aber leider handelt es sich dabei um einen Pyrrhussieg, denn das Gesetz hält nicht, was es verspricht. Vielmehr sorgt es weiterhin für Rechtsunsicherheit. Das Problem dabei ist, dass nach der zum bisherigen § 8 TMG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BGH, 26.11.2015 – I ZR 174/14) sogar Access Provider als Störer für Rechts­ver­let­zun­gen haften können. Der neu eingefügte § 8 Abs. 3 TMG stellt demgegenüber nicht klar, ob und weshalb diese BGH-Rechtsprechung auf WLAN-Betreiber nicht übertragbar sein soll. Eine solche Klarstellung enthält lediglich die Gesetzesbegründung – diese ist jedoch nicht verbindlich.

EuGH-Urteil vom 15. September 2016

Auch das aktuelle Urteil des EuGH bringt keine Abhilfe (EuGH, Urteil vom 15.09.2016 – C-484/14). Die Vorlage durch das Landgericht München aus dem Jahr 2014 galt zwar noch dem alten § 8 TMG (ohne den neu eingefügten dritten Absatz, der WLAN-Anbieter den Access Providern gleich­stellt), die Entscheidung ist jedoch auch für die geltende Rechtslage relevant. § 8 TMG beruht auf Art. 12 der E-Commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG). Die Richtlinie enthält eine Regelung, die im deutschen § 8 TMG keinen Einschlag gefunden hat: Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedsstaaten nach dem jeweils geltenden Rechts­sys­tem vom Diensteanbieter verlangen können, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern. Nach einer EuGH-Entscheidung und entsprechend der Regelung in Art. 12 Abs. 1 und 3 der E-Commerce-Richtlinie können nationale Gerichte WLAN-Anbieter daher verpflichten, technische Maßnahmen zu ergreifen, um Dritte daran zu hindern, der Öffentlichkeit eine Internet­tausch­börse zur Verfügung zu stellen. Denkbare Maßnahme ist etwa ein Passwort, das die Benutzer des WLAN nur bekommen, wenn sie ihre Identität offenbaren. Die fehlende Anonymität schrecke potenzielle Rechtsverletzer ab. Über die Frage, ob WLAN-Anbieter auch als Störer auf Unter­lassung haften, hat der EuGH leider nicht entschieden. Deshalb ist davon auszugehen, dass deutsche Gerichte WLAN-Anbieter im Fall einer Rechtsverletzung nach der BGH-Rechtsprechung weiterhin als Störer betrachten. Zusätzlich wird angeordnet, dass der Anbieter seinen Gästen den WLAN-Zugang künftig nur gegen Eingabe eines Passworts gewähren darf. Das Passwort darf der Betreiber dem Kunden aber nur mitteilen, wenn dieser seine Identität preisgibt. Eine praxis­taug­liche EuGH-Ent­schei­dung hätte anders ausgesehen. Zum einen klärt das Urteil die bislang bestehenden Unklar­heiten zur Störerhaftung nicht, zum anderen stellt es WLAN-Anbieter vor zusätzliche Schwie­rig­kei­ten. Und ob durch einen Passwortschutz tatsächlich Rechtsverletzungen verhindert werden, ist sehr zweifelhaft.

Auswirkungen in der Praxis

Kleine Cafés und Restaurants werden auch in Zukunft kein offenes WLAN anbieten. Denn die Inhaber müssten stets befürchten, dass Rechteinhaber sie als Störer auf Unter­lassung in Anspruch nehmen und Abmahnkosten verlangen. Die Ports, die für die Verwendung von Filesharing-Diensten nötig sind, sollte der Betreiber sperren, wobei dies Filesharing nicht gänzlich verhindern kann. Größere Hotels outsourcen den WLAN-Zugang übrigens in den allermeisten Fällen. Externe WLAN-Dienstleister sorgen dann dafür, dass jeder WLAN-Nutzer einen individuellen Zugang mit eigenem Benutzernamen und Passwort erhält. Eine Rechtsverletzung kann dann eindeutig auf den jeweiligen Gast zurückverfolgt werden.

Fazit

Die Störerhaftung von Anbietern ungeschützter WLAN-Netze besteht weiterhin, sodass die Anbieter den Rechteinhabern gegenüber trotz des am 27. Juni 2016 in Kraft getretenen § 8 Abs. 3 TMG sowie des EuGH-Urteils vom 15. September 2016 weiter auf Unterlassung haften. Jedem WLAN-Anbieter, gleich ob privat oder gewerblich, ist daher zu empfehlen,

  • sein Netzwerk auch künftig mit einem 16-stelligen Passwort zu schützen,
  • dieses regelmäßig zu ändern,
  • die Identität der einzelnen Benutzer im Voraus festzustellen und
  • das Passwort erst danach herauszugeben.

Kommt es dennoch zu einer Abmahnung, muss der in Anspruch Genommene schnell und richtig darauf reagieren. Im Zweifel sollte ein Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht den Sachverhalt prüfen und die richtigen Maßnahmen ergreifen, denn nicht selten erfolgen Abmahnungen zu Unrecht.

Fotos: nickylarson974, Daft_Lion_Studio / Getty Images

Zum Autor

Dr. Maximilian Greger

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht sowie Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in der Kanzlei SNP Schlawien Partnerschaft mbB Rechtsanwälte | Steuerberater am Standort in München

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