Leben und Arbeit sind eins, sagt Thomas Vašek - 27. November 2014

Balance? Quatsch!

Mit dem Tablet am Strand E-Mails be­­ant­­wor­ten, beim Abend­­essen dienst­­liche Anrufe an­neh­men – dafür aber auch während der Ar­beits­zeit private Termine wahr­neh­men und Pause machen können, wann es gerade passt. So sieht der ideale Alltag für den Philosophen aus.

DATEV magazin: Herr Vašek, warum glauben Sie, dass es die oft beschworene Work-Life-Balance gar nicht geben kann?

Thomas Vašek: Der Begriff Work-Life-Balance suggeriert ein Spannungsverhältnis zwischen „lästiger Notwendigkeit“ und dem „Reich der Freiheit“. Hauptsächlich richte ich mich mit meinem Buch gegen dieses Missverständnis von Arbeit. Mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ sagt man den Menschen: Schaffe mehr Ausgleich für deine Arbeit und alles wird gut. Richtige Work-Life-Balance bedeutet für mich aber nicht die Trennung von Arbeit und Leben, sondern deren Vereinbarkeit.

DATEV magazin: Warum?

Thomas Vašek: Viele Menschen glauben, ihr Leben beginne mit dem Feierabend. Das ist aber Quatsch, denn die Menschen leben ja auch in ihrer Arbeit. Außerdem haben wir auch außerhalb der Arbeit immer wieder Aufgaben und Pflichten zu erfüllen.

DATEV magazin: In Ihrem Buch schreiben Sie von der „ausgebrannten und total erschöpften Seelenlage deutscher Arbeitnehmer“. Warum liegt diese Seelenlage derzeit so brach?

Thomas Vašek: Dafür gibt es mehrere Faktoren. Zum einen muss man sagen, dass Arbeit objektiv in vielerlei Hinsicht in den vergangenen Jahrzehnten besser geworden ist: Die Arbeitszeiten sind kürzer, die Arbeitsbedingungen weniger gesundheitsschädlich. Dennoch möchte ich diese Stimmung nicht herunterspielen. Sie resultiert meiner Meinung nach aus den gestiegenen Ansprüchen der Menschen an ihre Arbeit.

DATEV magazin: Inwiefern?

Thomas Vašek: Früher war Arbeit ein Mittel zum Geldverdienen. Noch unsere Elterngeneration lebte nach dem Motto: Jetzt arbeiten, damit ich mir irgendwann mal was leisten kann. Ich glaube, dass das viele Leute heute nicht mehr akzeptieren. Sie erwarten mehr von ihrem Beruf. Hinzu kommt der rapide Wandel der Arbeitswelt – bedingt durch neue Technologien, mit denen wir noch nicht richtig gelernt haben umzugehen.

DATEV magazin: Aber die Leute, die unter Burn-out oder Depressionen leiden, sagen meist: Vorher habe ich meinen Job immer gern gemacht. Reden die Ausgebrannten sich das nur ein?

Thomas Vašek: Burn-out ist ein komplexes Phänomen. Aus meiner Sicht steigt das Risiko, wenn zwei Dinge nicht zusammenpassen: die Umwelt, zu der ich auch die Arbeit zähle, und die Person selbst. Wenn es zwischen diesen beiden Punkten ein Missverhältnis gibt, führt das irgendwann zu Burn-out.

DATEV magazin: Woran liegt das?

Thomas Vašek: Möglicherweise an ständiger, auswegloser Überforderung. Oder am genauen Gegenteil. Nach allem, was wir wissen, entsteht Burn-out nie alleine durch Stress und Arbeitsverdichtung. Die ernsten Erschöpfungszustände kommen von der Ausweglosigkeit des Missverhältnisses. Der beste Schutz ist deswegen auch nicht eine bessere Work-Life-Balance, sondern, sich „gute Arbeit“ zu suchen, die dem Menschen entspricht.

DATEV magazin: Wie macht man seinen Beruf zu dem, was Sie „gute Arbeit“ nennen?

Thomas Vašek: Dazu müssen wir den Begriff zunächst mal klären. „Gute Arbeit“ bringt die Fähigkeiten des Menschen zur Geltung und erzeugt innere Werte – also Werte, die in der Arbeit selbst liegen. Sie sollte Menschen vor Herausforderungen und Probleme stellen, an denen sie wachsen können.

DATEV magazin: Sprechen wir über Rechtsanwälte und Steuerberater, die auch in Ihrem Buch vorkommen. Nehmen wir an, nach jahrelanger Ausbildung und einigen Jahren im Beruf stellt ein Berufsträger fest, dass sein Job keine „gute Arbeit“ ist. Was raten Sie ihm?

Thomas Vašek: Man sollte eine Liste machen, was man von seinem Beruf erwartet. Viele Menschen sind unzufrieden, aber darin sehr diffus. Mit einer Liste stellen sie oft fest, dass das Bild differenzierter ist, als man denkt. Dann sollte man überlegen, wie wichtig die einzelnen Dinge sind. Machen Sie das nicht mit sich allein aus! Reden Sie mit Ihrem Partner oder mit Kollegen. Im dritten Schritt muss man etwas ändern. Wenn alle Möglichkeiten fehlschlagen, muss man den Job hinschmeißen. Allerdings ist mir durchaus klar, dass das vielen Leuten schwerfällt.

DATEV magazin: Aber viele Menschen haben in ihren Berufen doch die Möglichkeit, sich ihre Aufgaben autonom zu suchen und zu erfüllen. Da müsste es ihnen doch eigentlich sehr gut gehen.

Thomas Vašek: Ja, in heutigen Arbeitsprozessen hängen wir die Autonomie oft sehr hoch. Damit wäre ich aber eher vorsichtig. Es kann sich durchaus herausstellen, dass der Grund für eine andauernde Überforderung darin liegt, dass der Grad an Selbstbestimmung zu groß ist.

DATEV magazin: Von der Innen- zu der Außenperspektive. Was raten Sie einem Kanzleiinhaber, der merkt, dass bei seinen Mitarbeitern etwas im Argen liegt?

Thomas Vašek: Er sollte sich die Frage stellen: Welche inneren Werte soll die Arbeit in meiner Kanzlei bei meinen Mitarbeitern erzeugen? Wichtig ist auch die ökonomische Perspektive: Es ist kein Zufall, dass die erfolgreichsten kapitalistischen Unternehmen auch dafür bekannt sind, dass sie besonders „gute Arbeit“ schaffen und zulassen.

DATEV magazin: Eine letzte Frage: Was ist für Sie „Arbeit“?

Thomas Vašek: Arbeit schafft wunschunabhängige Gründe. Wenn etwas nicht getan werden „muss“, ist es keine Arbeit, sondern nur ein Hobby. Bei „guter Arbeit“ geht es darum, dieses „Müssen“ in Einklang zu bringen mit dem „Wollen“. Das ist in der Arbeit genauso wie in der Partnerschaft. Sigmund Freud hat mal gesagt, das Geheimnis des Glücks seien „Arbeit und Liebe“.

Zum Autor

AS
Andreas Schleinkofer

Chefredakteur Medienfabrik Gütersloh GmbH

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