Forscher empfehlen Mindeststandards für faire Kurzarbeiterregelungen
Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 12.05.2020
Kurzarbeit als Alternative zu Entlassungen hat sich in Europa zur Bewältigung der Corona-Krise breit durchgesetzt. Für rund 50 Millionen Beschäftigte haben Unternehmen in der EU sowie Großbritannien und der Schweiz Ende April 2020 Kurzarbeit beantragt. Allein in den 27 EU-Staaten wurde für rund 42 Millionen Menschen Kurzarbeit beantragt. Dies entspricht knapp 27 Prozent aller Beschäftigten, so das Ergebnis einer neuen gemeinsamen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung und des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (ETUI) in Brüssel.
Am stärksten von Kurzarbeit betroffen waren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Frankreich (11,3 Millionen Anträge bei der nationalen Arbeitslosenversicherung), Deutschland (10,1 Millionen), Italien (8,3 Millionen) und Großbritannien (6,3 Millionen; siehe auch die Abbildung 1 in der PDF-Datei unten). Gemessen an der Beschäftigtenzahl hatte die Schweiz mit 48,1 Prozent den höchsten Anteil aller Anträge zur Kurzarbeit, gefolgt von Frankreich (47,8 Prozent), Italien (46,6 Prozent) und Luxemburg (44,5 Prozent, siehe auch die Abbildung 2 in der PDF-Datei unten). In Deutschland beziehen sich die Anträge auf Kurzarbeit auf etwas mehr als ein Viertel (26,9 Prozent) aller Beschäftigen.
Insgesamt existieren mittlerweile in fast allen EU-Staaten Programme zur Kurzarbeit oder ähnliche Formen einer vorübergehenden Lohnsubvention. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren die Möglichkeit zur Kurzarbeit neu eingeführt, die nun im Rahmen von Sonderprogrammen für die Corona-Krise teilweise stark ausgeweitet wurden. Zwar dürfte letztendlich die Zahl der Anträge spürbar höher sein als die Anzahl der Beschäftigten, die tatsächlich kurzarbeiten, weil Unternehmen oft präventiv für größere Gruppen Kurzarbeit beantragen. Trotzdem sei damit europaweit ein „Allzeit-Rekordhoch erreicht“, schreiben die Autoren der Studie, Dr. Torsten Müller vom ETUI und Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs.
Wie bedeutsam die Kurzarbeit als ein Instrument zur Krisenbewältigung sei, zeigt nach Ansicht von Müller und Schulten der Vergleich mit den USA, wo kaum Kurzarbeiterreglungen genutzt werden und deshalb bereits mehr als 33 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben. Umso wichtiger sei die finanzielle Unterstützung von Kurzarbeit, für die die EU-Kommission in ihrem „SURE“-Programm den Mitgliedstaaten günstige Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will, betonen die Wissenschaftler.
Die nationalen Regelungen weisen in Hinblick auf Höhe und Dauer des Kurzarbeitergeldes deutliche Unterschiede auf. So reicht die Höhe des Kurzarbeitergeldes, gemessen am ausgefallenen Entgelt, je nach Land von 50 Prozent in Polen bis zu 100 Prozent in den Niederlanden, Dänemark oder Irland. In vielen Staaten liegt das Niveau bei 70 oder 80 Prozent. Die Dauer der Zahlungen variiert zwischen zwei Wochen in Rumänien über drei Monate in Dänemark oder Luxemburg, sechs Monate in den Niederlanden oder Österreich bis zu 12 Monaten in Deutschland, der Schweiz oder Frankreich und bis zu 13 Monaten in Finnland. Oft sind Kurzarbeitende mit drastischen finanziellen Einbußen konfrontiert. Auf Basis guter Lösungen, die sie in unterschiedlichen Ländern beobachtet haben, beschreiben die Forscher Mindeststandards für faire und existenzsichernde Kurzarbeiterregelungen. Hierzu gehören u. a.:
- ein Kurzarbeitergeld, das mindestens 80 Prozent des entgangenen Nettoeinkommens ersetzt;
- ein Kündigungsschutz, der über die Zeit der Kurzarbeit hinausreicht;
- eine angemessene Beteiligung von Gewerkschaften und Betriebsräten bei der konkreten Umsetzung der Kurzarbeit.