Verwaltungsrecht - 29. Juni 2023

Verwaltungsgericht Osnabrück weist Klagen von Lebensmittelmarkt-Betreibern wegen Zwangsbons ab

VG Osnabrück, Pressemitteilung vom 29.06.2023 zu den Urteilen 1 A 52/22 und 1 A 68/22 vom 28.06.2023 (nrkr)

Mit Urteilen vom 28. Juni 2023 hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück die Klagen zweier Betreiber von Lebensmittelmärkten anlässlich der Verweigerung der Eichung von Waagen-Kassen-Systemen in den Märkten und eichrechtlicher Beanstandungen dieser Systeme durch den beklagten Landesbetrieb für Mess- und Eichwesen Niedersachsen (MEN) abgewiesen.

In den Märkten wurde bei Prüfungen ihrer Waagen-Kassen-Systeme im November 2021 bzw. Januar 2022 festgestellt, dass ein Programm installiert worden war, das den kundenseitigen Verzicht auf einen ausgedruckten Bon und stattdessen die Wahl eines Digitalbons zuließ. Daraufhin verweigerte der MEN die Eichung der Waagen-Kassen-Systeme, beanstandete diese und forderte die Inhaber der Märkte auf, die Mängel abzustellen. Es müsse zwingend ein physischer Bon ausgegeben werden (sog. Zwangsbon). Ein Verzicht hierauf durch den Kunden und die Ausgabe eines digitalen Bons anstelle des physischen Bons seien nicht zulässig.

Anlässlich der Eichverweigerungen und der Beanstandungsbescheide haben die Kläger im Februar 2022 Klage erhoben. Die Beanstandungen seien rechtswidrig, da die Richtlinie 2014/31/EU keinen physischen Zwangsbon fordere. Die im Anhang I der Richtlinie unter Ziffer 14 UAbs. 4 genannten Worte „ausgedruckt auf einem Bon oder Etikett“ deuteten nicht zwingend auf einen physischen Bon hin. Drucken könne auch im Sinne einer elektronischen Ausgabe verstanden werden. Gängig sei mittlerweile auch der Begriff des PDF-Drucks bzw. des virtuellen Druckens, was sich auch aus internationalen Normwerken ergebe. Der Verbraucherschutz sei in keiner Weise beeinträchtigt, da die Kunden eine Wahlmöglichkeit zwischen digitalem und physischem Bon hätten. Es würden ohne erkennbaren Mehrwert wöchentlich zehntausende Bons gedruckt, die niemand benötige – weder die Kunden noch die Eichbehörden.

Der MEN ist der Auffassung, dass die Waagen-Kassen-Systeme der Kläger ohne Zwangsbon nicht den Vorgaben der Prüfungsbescheinigung der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) für die einschlägigen Systeme entsprächen. Zudem erfüllten die Systeme nicht die wesentlichen Anforderungen der Richtlinie 2014/31/EU. Die klägerische Auslegung sprenge den Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen.

Das Gericht ist dem Vortrag des MEN gefolgt. Die Kammer hat in ihrer mündlichen Urteilsbegründung zum einen ausgeführt, dass der Wortlaut der Richtlinie 2014/31/EU, nach dem die Angaben über Wägevorgänge „auf einem Bon oder Etikett ausgedruckt“ werden müssten, eindeutig sei. Ein kumulatives Verständnis von „Ausdrucken“ als (auch) digitales Drucken, „Bon“ als Oberbegriff auch für einen digitalen Bon und „auf“ im Sinne von „in einer Datei“ schieden aus. Es seien für das Gericht zwar in der Sache keine Gründe vorgetragen worden oder ohne Weiteres ersichtlich, weshalb ein digitaler Bon die Erreichung der Ziele des Richtliniengebers gefährden könne. Allerdings könne die Zulässigkeit des Digitalbons angesichts des eindeutigen Wortlautes dann nur im Wege der Rechtsfortbildung erreicht werden. Zu einer entsprechenden Rechtsfortbildung sehe sich die Kammer hier allerdings nicht befugt. Angesichts der Reichweite der Änderung (Vielzahl betroffener Fälle), ihres technischen Charakters und zur Gewährleistung der Normenklarheit müsse der Richtliniengeber hier tätig werden. Zum anderen – das Urteil selbstständig tragend – widersprächen die Waagen-Kassen-Systeme auch der Prüfungsbescheinigung der PTB und damit der Konformitätserklärung des Herstellers, deren Teil die Prüfungsbescheinigung sei. Hier müsse nach Auffassung des Gerichts der ursprüngliche Hersteller der Systeme oder ggf. der Verwender als Hersteller im Sinne von § 2 Nr. 6 Hs. 2 MessEG eine Änderung der Prüfungsbescheinigung gegenüber der Physikalisch Technischen Bundesanstalt erwirken.

Die Urteile (Az. 1 A 52/22 u. 1 A 68/22) sind noch nicht rechtskräftig und können binnen eines Monats nach Zustellung der Urteilsgründe mit der Zulassung der Berufung vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht angefochten werden.

Quelle: Verwaltungsgericht Osnabrück