Zivilrecht - 31. Juli 2020

Schadenersatz und Schmerzensgeld nach Unfall mit „Bierbike“

AG Hannover, Pressemitteilung vom 30.07.2020 zum Urteil 512 C 15505/19 vom 29.07.2020 (nrkr)

In einem Zivilrechtstreit um Schadenersatz und Schmerzensgeld anlässlich eines Unfalls mit einem sog. Bierbike hat Herr Richter am Amtsgericht Wiehe am 29. Juli 2020 entschieden, dass der Betreiber des Gefährts aufgrund unzulänglicher Sicherheitsvorkehrungen für entstandene Verletzungsfolgen haftet, wenn der in der Mitte des Gefährts stehende „Zapfer“ zu Fall kommt. Gleichzeitig sieht das Gericht auch bei dem Kläger ein Mitverschulden, sodass seine Ansprüche um ein Drittel zu kürzen sind.

Zuvor hatte Herr Wiehe den Kläger vor Gericht persönlich angehört und fünf Zeugen vernommen.

Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Vorfalls, der sich am frühen Abend des 18.05.2019 auf einer von der Beklagten veranstalteten Bierbike-Tour am Maschsee in Hannover ereignete.

Die Beklagte veranstaltet derartige Touren geschäftsmäßig. Dazu wird den Teilnehmern die Nutzung von Fahrzeugen angeboten, die von 8-15 Personen durch deren Körperkraft über Pedalen angetrieben werden. Dabei sitzen die Teilnehmer an Tresen um einen Ausschank herum. Den Teilnehmern wird zudem ein 20-Liter Bierfass zur Verfügung gestellt, aus dem ein innerhalb des Gefährts stehender Teilnehmer über eine Zapfanlage den Getränkeausschank übernimmt. Dem den Ausschank übernehmenden Teilnehmer stehen keine speziellen Sicherungsgriffe oder Haltevorrichtungen zur Verfügung. Es besteht für ihn jedoch die Möglichkeit, sich an den das Dach des Gefährts abstützenden Metallstreben festzuhalten. Während die übrigen Teilnehmer für den Vortrieb des Gefährts sorgen, wird dieses von einem Mitarbeiter des Beklagten gelenkt und ggf. gebremst.

Der Kläger nahm anlässlich eines Junggesellenabschieds an einer solchen Tour teil.

Die Fahrt wurde mit insgesamt 10 Teilnehmern angetreten. Der Kläger übernahm während der gesamten Tour den Ausschank an die anderen Teilnehmer, wozu er sich stehend im inneren Bereich des Fahrzeuges aufhielt.

Gegen Ende der Tour lenkte die Mitarbeiterin der Beklagten das Gefährt von der Straße über einen abgesenkten Bordstein auf die Einfahrt zum Betriebsgelände. Im Bereich der Einfahrt bremste sie das Gefährt sodann ab. Der im Bereich des Ausschanks stehende Kläger kam zu Fall. Im direkten Anschluss hieran klagte er über Beschwerden, im Anschluss begab er sich in ärztliche Behandlung. Es wurde eine nicht dislozierte Sternumfraktur festgestellt.

Der Kläger verlangte von der Beklagten daher ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 1.500 Euro sowie Fahrtkosten für Arztbesuche und Zuzahlungen für Schmerzmittel, insgesamt weitere 38,90 Euro.

Die Beklagte vertrat die Ansicht, den Unfall nicht verschuldet zu haben. Eine Haftung scheide zudem aus, weil der Kläger an der Fahrt auf eigenes Risiko teilgenommen habe. Zumindest treffe den Kläger ein derart grobes Mitverschulden, dass eine Haftung der Beklagten ausscheide.

Aus den Gründen

Die Beklagte haftet vertraglich wegen einer Pflichtverletzung gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Die Beklagte hat ihr vertraglich auch gegenüber dem Kläger obliegende Schutzpflichten verletzt.

Dabei oblag der Beklagten die Verpflichtung, den Kläger vor Körper- und Gesundheitsschäden im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten zu schützen.

Diese Schutzpflicht ergibt sich ohne weiteres aus den Einwirkungsmöglichkeiten der Beklagten auf den Ablauf der Veranstaltung und die Gestellung des dazu erforderlichen Fahrzeuges.

Das den Teilnehmern zur Verfügung gestellte Fahrzeug war nicht in einer Art und Weise ausgerüstet, die den als Zapfer fungierenden Teilnehmer hinreichend vor Körper- und Gesundheitsschäden schützt.

Das Fahrzeug verfügte im hier relevanten Bereich um die Zapfanlage über keine hinreichenden technischen Einrichtungen, die die dort während der Fahrt aufhältige Person vor Stürzen schützt.

Insbesondere war es nicht hinreichend, dass der Zapfer sich an den Streben für die Dachbefestigung oder an der Zapfanlage selbst festhalten konnte.

Nach den Anpreisungen der Beklagten, die sich auch aus der Formularerklärung Anlage B2 ergeben, sollte während der Fahrt aus dem zur Verfügung gestellten Fass Bier gezapft und getrunken werden. Die Beklagte musste deshalb davon ausgehen, dass die zum Zapfen des Bieres eingesetzte Person nicht stets spontan in der Lage sein würde, bei plötzlichen Fahrmanövern sogleich die Hände frei zu haben und sicheren Halt zu finden. Immerhin wird die Tätigkeit des Bierzapfens – dies ist allgemeinkundig – regelmäßig beidhändig ausgeführt, indem mit einer Hand der Zapfhahn bedient während mit der anderen Hand das Trinkbehältnis gehalten wird. Die auf den Lichtbildern abgebildete Zapfanlage des Gefährts zeigt, dass es auch hier nicht anders ging.

Zudem war auch aus Sicht der Beklagten naheliegend und ohne weiteres zu erwarten, dass sich auch die zum Zapfen eingesetzte Person am Bierkonsum beteiligen und aufgrund der im Lauf der Veranstaltung eintretenden Wirkungen des Alkohols in seiner Aufmerksamkeit und seiner Steuerungsfähigkeit zunehmend beeinträchtigt sein und dadurch die zu beachtende Vorsicht vernachlässigen werde.

Die Beklagte musste auch ohne weiteres damit rechnen, dass es während der Veranstaltungen zu plötzlichen Fahrmanövern kommen würde, die geeignet waren, die zum Zapfen eingesetzte Person aus dem Gleichgewicht zu bringen. Immerhin liegt das Einsatzgebiet der Fahrzeuge der Beklagten im Umfeld des hannoverschen Maschsees. Dort gehen – auch dies ist jedenfalls regional allgemeinkundig – eine Vielzahl von Menschen ihren Freizeitaktivitäten zu Fuß, auf Fahrrädern oder auf Skateboards nach, sodass eine spontan erforderliche Lenk- oder Bremsreaktion auf deren Verhalten durch den Führer des Bierbikes naheliegend ist.

Unter diesen Umständen hätte die Beklagte das Bierbike mit einem Sicherungssystem – etwa einem Gurt – für den Zapfer ausstatten müssen. Dies wäre der Beklagten auch ohne weiteres zumutbar gewesen, schon, weil der Aufwand für die Installation einer entsprechenden Einrichtung doch recht gering ist.

Deshalb ist es für die Frage der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten der Beklagten zunächst unerheblich, warum die Mitarbeiterin der Beklagten hier das Bremsmanöver unternommen hat. Die Beklagte musste nämlich auch damit rechnen, dass die Teilnehmer der Veranstaltung alkoholbedingt übermütig werden und das Fahrzeug beschleunigen könnten. Die Mitarbeiterin der Beklagten musste auf derartiges Verhalten über den gesamten Ablauf der Veranstaltung jederzeit vorbereitet sein. Dies gilt auch für die hier gegebene Situation kurz vor Erreichen des Ziels. Die Mitarbeiterin durfte sich nicht darauf verlassen, dass sich die Teilnehmer aufgrund der Anstrengungen der Fahrt und aufgrund alkoholbedingt eingetretener Müdigkeit nicht mehr anstrengen würden.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht kein Zweifel, dass der Sturz des Klägers jedenfalls auch auf die fehlenden technischen Einrichtungen – etwa die fehlende Möglichkeit seinen Stand sich mittels eines Gurtes zu sichern – zurückzuführen ist. Soweit die Bekundungen der Zeugen hier ergiebig waren, haben sie doch übereinstimmend und glaubhaft ergeben, dass der Kläger hier im Zuge des Bremsmanövers ins Straucheln geraten ist und keinen Halt gefunden hat.

Es ist schließlich davon auszugehen, dass sich der Kläger einer technischen Sicherung im Falle ihres Vorhandenseins und bei entsprechender Einweisung regelrecht verhalten und dieser Möglichkeit bedient hätte.

Schließlich hat auch die Führerin des Fahrzeuges schuldhaft zu dem Unfall beigetragen. Dieses Verschulden muss sich die Beklagte im Rahmen der hier gegebenen vertraglichen Haftung gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.

Die Führerin des Fahrzeuges hatte nämlich die Pflicht, sich auf das Verhalten der für den Vortrieb des Gefährts sorgenden Teilnehmer einzustellen. Sie musste insbesondere damit rechnen, dass die Teilnehmer aus alkoholbedingtem Übermut das Gefährt auch unaufgefordert beschleunigen könnten. Sie hätte das Fahrzeug rechtzeitig und vorsichtig abbremsen müssen. Die Bekundungen der gehörten Zeugen zeigen jedoch auf, dass sie ein stärkeres Bremsmanöver unternommen hat.

Der Kläger muss sich jedoch hier gemäß § 254 BGB auch im Rahmen des gegebenen vertraglichen Haftungsgefüges ein Mitverschulden entgegenhalten lassen, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist und bei der Frage des Schadensersatzes zu einer Haftungsquote (von einem Drittel) führt.

Der Kläger hat sich hier unvorsichtig verhalten und dadurch zur Entstehung des Schadens nicht unmaßgeblich beigetragen.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung besteht kein Zweifel, dass der Kläger die konkrete Gefahr voraussehen konnte und hierauf hätte einstellen können.

Dies ergibt sich schon aus seinem eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach das Fahrzeug kurz vor dem Bremsmanöver von den Teilnehmern – aus welchen Gründen auch – beschleunigt wurde. Dies hatte der Kläger wahrgenommen, wie seine Angaben in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres ergeben. Zudem war es auch für den Kläger durch das kurz zuvor vollzogene Abbiegemanöver von der Straße in die Einfahrt offensichtlich, dass die Fahrt ihrem Ende entgegenging. Es war deshalb auch für ihn naheliegend, dass es – aus welchen Gründen auch immer – in der gegebenen Situation zu Fahrmanövern kommen könnte, die geeignet waren, sich auf seine Standsicherheit auszuwirken. Gleichwohl hat er sich nicht um seine Eigensicherung gekümmert, sondern den Zapfvorgang fortgesetzt.

Nach alledem hat der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, da er durch den Sturz in seiner Gesundheit verletzt wurde.

Nach dem Ergebnis von mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme besteht kein Zweifel, dass der Kläger auf das Bierfass – und nicht auf die Lehne des Fahrersitzes – gestürzt ist und sich dadurch den attestierten Bruch des Brustbeins zugezogen hat.

An dem Sturz auf das Bierfass bestehen keine Zweifel. Der Kläger hat das Geschehene glaubhaft geschildert. Es wird durch die glaubhaften Bekundungen der gehörten Zeugen, soweit deren Angaben ergiebig sind, bestätigt.

Dieses Beweisergebnis wird nicht dadurch erschüttert, dass der Kläger sich nicht sogleich, sondern erst 2 Tage später in ärztliche Behandlung begeben hat. Es ist durchaus plausibel, dass der Kläger hier zunächst, etwa in der Annahme es liege lediglich eine schmerzhafte Prellung vor, zunächst nach Hause begeben und abgewartet hat.

Es besteht kein Anhalt, dass sich der Kläger den Bruch erst im Anschluss an das hier gegenständliche Ereignis zugezogen hat.

Die danach gebotene Abwägung der gegebenen Umstände begründet ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 Euro.

Der Kläger hat glaubhaft geschildert, durch den gegebenen Bruch des Sternums über einen Zeitraum von gut 6 Wochen permanent deutliche Schmerzen gehabt zu haben. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar, da dieser die Rippen verbindende Knochen beim Atmen ständig bewegt wird und jeder Knochenbruch Zeit zur Heilung braucht. Auch werden die Beeinträchtigungen durch die Bekundungen seines damals mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Sohnes glaubhaft bestätigt.

Gleichwohl ist angesichts des Mitverschuldens des Klägers ein über 1.000 Euro hinausgehendes Schmerzensgeld nicht gerechtfertigt, zumal die Verletzungen folgenlos ausgeheilt sind. Zwar liegt das überwiegende Verschulden bei der Beklagten, deren fahrlässiges Handeln im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit liegt.

Das Mitverschulden des Klägers ist jedoch nicht unbeträchtlich. Er konnte sich während der zweistündigen Fahrt mit den Eigenheiten des Gefährts vertraut machen. Er wusste von Anbeginn um seine körperlichen Fähigkeiten. Es war auch seine Sache, sich stets Gewissheit über bevorstehende Fahrmanöver zu verschaffen und für einen sicheren Halt zu sorgen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.