Zivilrecht - 15. Juli 2020

LG Osnabrück sieht bei 2020 eingereichten Klagen in der „Abgasaffäre“ Ansprüche als verjährt an

LG Osnabrück, Pressemitteilung vom 15.07.2020 zu den Urteilen 6 O 842/20 vom 03.07.2020 und 4 O 483/20 vom 08.07.2020 (nrkr)

Viele Autofahrer haben in der sog. Abgasaffäre Klage gegen die Hersteller ihrer Dieselfahrzeuge erhoben und Schadensersatz verlangt. Mittlerweile hat auch der Bundesgerichtshof sich mit Fällen dieser Art befasst. Ungeklärt ist aber bisher die Frage, wann eine Verjährung entsprechender Ansprüche eintritt.

Das Gesetz sieht für Ansprüche aus unerlaubter Handlung grundsätzlich eine Verjährungsfrist von drei Jahren vor. Sie beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht und der Inhaber des Anspruchs erstmals erfährt, dass er einen Anspruch hat und gegen wen dieser sich richtet. In zwei Verfahren hat nun das Landgericht Osnabrück entschieden, dass diese Voraussetzungen bei der sog. Abgasaffäre jedenfalls in bestimmten Fällen spätestens im Jahr 2016 eintraten (Urteil vom 3. Juli 2020, Az. 6 O 842/20; Urteil vom 8. Juli 2020, Az. 4 O 483/20).

Geklagt hatten zwei Pkw-Eigentümer, die ihre von der sog. Abgasaffäre betroffenen Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern mit einem Motor des Typs EA 189 vor Bekanntwerden der mutmaßlichen Dieselmanipulationen im Herbst 2015 erworben hatten. 2020 reichten sie dann Schadensersatzklagen gegen Volkswagen ein und forderten den Kaufpreis zurück. Der Vertrieb der Fahrzeuge stelle, so die Kläger, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Volkswagen dar.

In dem Verfahren verteidigte Volkswagen sich gegen den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung und erhob außerdem die Einrede der Verjährung. Spätestens 2016 wäre es, so Volkswagen, den Klägern bereits möglich gewesen, ihre Klagen auf den Weg zu bringen. Sämtliche Umstände, die die Kläger nun ihren Klagen zugrunde legten, seien schon damals durch entsprechende Medienberichte öffentlich bekannt gewesen. Deshalb seien die Ansprüche drei Jahre später, nämlich mit Schluss des Jahres 2019 und damit noch vor Klageerhebung, verjährt.

Die Kläger sahen dies anders. Sie beriefen sich darauf, dass Volkswagen bis heute die Voraussetzungen einer Haftung abstreite. Details über die internen Abläufe und Verantwortlichkeiten, die zur sog. Abgasaffäre geführt hätten, seien der Öffentlichkeit weiterhin unbekannt. Ebenso wenig habe Volkswagen selbst die Kunden zu irgendeinem Zeitpunkt vollständig und zutreffend über die mutmaßlichen Abgasmanipulationen informiert. Erst ab dem Jahr 2017 hätten erste Gerichte trotz der Unklarheiten über die genauen Abläufe im Volkswagenkonzern klagenden Kunden Schadensersatz zugesprochen. Frühestens ab diesem Zeitpunkt sei es auch anderen Kunden zumutbar gewesen, Klage zu erheben.

Die beiden für die konkreten Verfahren zuständigen Kammern des Landgerichts Osnabrück gaben nun in erster Instanz der beklagten Volkswagen AG Recht. Im Laufe des Jahres 2016 seien die mutmaßlichen Hintergründe der sog. Abgasaffäre in wesentlichen Teilen ans Licht gekommen. Die Erfolgsaussichten von Klagen der betroffenen Kunden seien damit hinreichend erkennbar gewesen. Dass Einzelheiten der internen Abläufe und der Rechtslage betreffend die zivilrechtliche Haftung noch nicht abschließend geklärt gewesen seien, hindere den Beginn der Verjährungsfrist nicht. Niemand könne sich darauf verlassen, dass er mit einer Klage warten dürfe, bis alle relevanten Tatsachen im Detail bekannt und alle Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt seien. Die Verjährungsfrist habe in den beiden zu entscheidenden Fällen demnach spätestens Ende des Jahres 2016 begonnen. Die jeweiligen Kläger hätten während der laufenden Verjährungsfrist keine Maßnahmen ergriffen, die die Verjährung hätten hemmen können. Die Ansprüche der beiden klagenden Kunden seien damit Ende des Jahres 2019 verjährt. Beide Kammern wiesen deshalb im Ergebnis die Klagen der Fahrzeugeigentümer ab. Diese haben auch die Verfahrenskosten zu tragen.

Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Sie können mit der Berufung zum Oberlandesgericht Oldenburg angegriffen werden. Es handelt sich um Einzelfallentscheidungen, die keine Bindungswirkung für andere Verfahren entfalten.