EU-Recht - 29. März 2023

EuG zur Gewährung einer Beihilfe für eine Fluggesellschaft im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie

EuG, Pressemitteilung vom 29.03.2023 zum Urteil T-142/21 vom 29.03.2023

Die Klage gegen den Beschluss, mit dem die EU-Kommission, die der Fluggesellschaft Blue Air von Rumänien im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gewährte Beihilfe genehmigt hat, wird in vollem Umfang abgewiesen.

Am 18. August 2020 teilte Rumänien der Europäischen Kommission eine Beihilfemaßnahme zugunsten der Fluggesellschaft Blue Air Aviation S. A. (im Folgenden: Blue Air) mit, die in Form eines zinsvergünstigten Darlehens über rund 62.130.000 Euro gewährt und durch den rumänischen Staat gesichert wurde.

Die mitgeteilte Maßnahme umfasste zwei verschiedene Beihilfen, die auf zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt waren, wobei jede Beihilfe jeweils einen bestimmten Betrag abdeckte. Bei der ersten handelte es sich um ein Darlehen in Höhe von 28.290.000 Euro als Ersatz für die Schäden, die Blue Air im Zeitraum vom 16. März bis zum 30. Juni 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie unmittelbar durch die Streichung und Verschiebung ihrer Flüge infolge der Einführung von Reisebeschränkungen entstanden waren (im Folgenden: Maßnahme zum Ersatz von Schäden). Die zweite Beihilfe betraf ein Darlehen in Höhe von 33.840.000 Euro zur teilweisen Deckung des durch die Betriebsverluste nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie entstandenen dringenden Liquiditätsbedarfs von Blue Air (im Folgenden: Rettungsbeihilfe).

Ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV stellte die Kommission mit Bescheid vom 20. August 2020 1 fest, dass es sich bei der mitgeteilten Maßnahme um eine staatliche Beihilfe handele, deren beiden Teile mit dem Binnenmarkt vereinbar seien. Die Kommission erklärte die Maßnahme zum Ersatz von Schäden daher für gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV 2 mit dem Binnenmarkt vereinbar. Die Rettungsbeihilfe wurde gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV 3 in Verbindung mit den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (im Folgenden: Leitlinien) 4 für vereinbar erklärt.

Die von der Fluggesellschaft Wizz Air Hungary Zrt. gegen diesen Beschluss erhobene Nichtigkeitsklage wird von der Zehnten Kammer des Gerichts abgewiesen. Das Gericht bestätigt mit seinem Urteil das Ergebnis der von der Kommission vorgenommenen Prüfung der Vereinbarkeit der mitgeteilten Maßnahme mit dem Binnenmarkt.

Würdigung durch das Gericht

Erstens weist das Gericht den auf eine fehlerhafte Anwendung von Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV gestützten Nichtigkeitsgrund zurück. Damit warf die Klägerin der Kommission u. a. vor, sie habe den Schaden, der Blue Air durch die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängten Reisebeschränkungen entstanden sei, fehlerhaft bemessen.

Das Gericht weist insoweit darauf hin, dass nach Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV nur Schäden, die unmittelbar durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, ausgeglichen werden dürfen.

Daraus folgt, dass Beihilfen, die die von ihren Empfängern erlittenen Verluste übersteigen könnten, nicht unter Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV fallen. Weiter führt das Gericht aus, dass das schadensbegründende Ereignis, wie es im angefochtenen Beschluss festgestellt wurde, der entscheidende Grund für den durch die in Rede stehende Beihilfe zu beseitigenden Schaden sein und diesen unmittelbar verursacht haben muss.

Die Kommission musste also, um die Maßnahme zum Ersatz von Schäden für gemäß Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar erklären zu dürfen, ein besonderes Augenmerk auf die Frage richten, ob die im Rahmen der COVID-19-Pandemie verhängten Reisebeschränkungen wirklich der entscheidende Grund für den Schaden waren, der durch diese Maßnahme beseitigt werden sollte, oder ob vielmehr ein Teil dieses Schadens den bereits vorher bestehenden Schwierigkeiten von Blue Air geschuldet war.

Im Hinblick auf diese Ausführungen weist das Gericht u. a. das Argument der Klägerin zurück, dass die Kommission den infolge der COVID-19-Pandemie erlittenen Schaden überbewertet habe, weil sie die Verluste nicht ausgenommen habe, die bereits vorher bestehenden Schwierigkeiten von Blue Air geschuldet gewesen seien. Das Gericht präzisiert insoweit, dass die Kommission die tatsächliche finanzielle Lage von Blue Air mit einer kontrafaktischen Fallgestaltung, wie sie ohne die Reisebeschränkungen eingetreten wäre, verglichen und sich dabei auf die im Budget 2020 für den Zeitraum vom 16. März bis zum 30. Juni 2020 veranschlagten Einnahmen und Ausgaben gestützt habe. Für diese kontrafaktische Fallgestaltung berücksichtigte die Kommission die bereits vor der COVID-19-Pandemie bestehenden Schwierigkeiten von Blue Air. Da sich diese Schwierigkeiten auch in den von Blue Air tatsächlich erzielten Ergebnissen widerspiegelten und folglich in beiden von der Kommission miteinander verglichenen Szenarien zum Ausdruck kamen, stellt das Gericht fest, dass sich die Auswirkungen bei der Berechnung des Schadens, der Blue Air durch die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängten Reisebeschränkungen entstanden ist, gegenseitig aufhoben.

Zweitens weist das Gericht den Nichtigkeitsgrund zurück, der auf eine im Licht der Leitlinien fehlerhafte Anwendung von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV gestützt wird. Die Klägerin machte insoweit u. a. geltend, die Kommission habe fälschlicherweise angenommen, dass die Rettungsbeihilfe ein Ziel von gemeinsamem Interesse im Sinne von Rn. 43 der Leitlinien verfolge. Das Gericht führt in diesem Zusammenhang aus, dass die mitgeteilte Beihilfe gemäß Rn. 43 der Leitlinien, damit sie nach diesen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden kann, insofern ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgen muss, als sie soziale Härten verhindern oder ein Marktversagen beheben soll. Dafür spricht auch Rn. 44 dieser Leitlinien, wonach die Mitgliedstaaten nachweisen müssen, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde, indem sie insbesondere nachweisen, dass die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben ist, der nur schwer zu ersetzen ist, wobei es für Wettbewerber schwierig wäre, die Erbringung der Dienstleistung einfach zu übernehmen.

Aus dem Beschluss der Kommission ergibt sich in Bezug auf die Frage, ob die von Blue Air erbrachte Dienstleistung wichtig ist, dass diese die Anbindung Rumäniens sicherstellte, da sie nationale und internationale Strecken flog und dabei auf zwei spezifische Gruppen von Fluggästen abzielte, die auf Billigflugverbindungen angewiesen seien, nämlich die lokalen Kleinunternehmen und die im Ausland lebenden rumänischen Bürgerinnen und Bürger. Nach Auffassung der Kommission wären die Luftverkehrsdienstleistungen von Blue Air zudem auch deshalb schwer zu ersetzen, weil die anderen Billigfluggesellschaften auf den meisten von Blue Air bedienten Strecken kaum oder gar nicht vertreten seien und Blue Air daher eine Nische besetze, die auf dem rumänischen Markt nicht von anderen Billigfluggesellschaften bedient werde.

Keines der von der Klägerin vorgebrachten Argumente vermag diese Feststellungen zu entkräften, weshalb das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Kommission zutreffend davon ausgegangen ist, dass im Fall eines Marktaustritts von Blue Air eine konkrete Gefahr bestünde, dass bestimmte als wichtig erachtete Beförderungsdienste für Fluggäste unterbrochen würden, die unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles schwer zu ersetzen gewesen wären, und daher die Beihilfe zu einem Ziel von gemeinsamem Interesse beitrage.

Da auch die anderen von der Klägerin vorgebrachten Klagegründe unbegründet waren, weist das Gericht die Klage insgesamt ab.

Fußnoten

1 Beschluss C(2020) 5830 final der Kommission vom 20. August 2020 betreffend die staatliche Beihilfe SA.57026 (2020/N) – Rumänien – COVID-19: Beihilfe zugunsten von Blue Air.
2 Gemäß dieser Bestimmung sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar.
3 Gemäß dieser Bestimmung können Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.
4 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 2014, C 249, S. 1).

Quelle: EuG