EU-Recht - 14. September 2023

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Spanien – Verweigerung der Mutterschaftszulage für Väter

EuGH, Pressemitteilung vom 14.09.2023 zum Urteil C-113/22 vom 14.09.2023

Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Spanien: Väter von zwei und mehr Kindern, die sich eine Zulage zu ihrer Invaliditätsrente gerichtlich erstreiten müssen, haben Anspruch auf eine zusätzliche Entschädigung

Aus einer Verwaltungspraxis, die in der systematischen Weigerung besteht, diese Zulage auch Vätern zu gewähren, und damit die Konsequenzen außer Acht lässt, die sich aus einem Urteil von 2019 ergeben, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass die ausschließliche Gewährung dieser Zulage an Mütter diskriminierend ist, ergibt sich für diese Väter eine doppelte Diskriminierung.

Mit Urteil vom 12. Dezember 20191 hat der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt, dass in der Rentenzulage, die Spanien ausschließlich eine Invaliditätsrente beziehenden Müttern mit zwei oder mehr (leiblichen oder adoptierten) Kindern, nicht aber Vätern in vergleichbarer Situation gewährt, eine mit der Gleichbehandlungsrichtlinie2 unvereinbare unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts begründet liegen kann.

Auf der Grundlage jenes Urteils beantragte ein Vater von zwei Kindern im November 2020 bei der spanischen Sozialversicherung, seinen Anspruch auf die Zulage zur Leistung wegen dauernder Vollinvalidität anzuerkennen, die er seit November 2018 beziehe. Infolge der Ablehnung seines Antrags erhob er Klage. In einem ersten Urteil wurde sein Anspruch auf die in Rede stehende Rentenzulage anerkannt, der gleichzeitig gestellte Antrag auf Entschädigung jedoch zurückgewiesen. Sowohl der Vater als auch die spanischen Behörden legten gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galicien, Spanien) ein.

Dieses Gericht möchte wissen, ob eine Praxis, Männern bis zur Anpassung der diskriminierenden spanischen Regelung an das Urteil des Gerichtshofs vom 12. Dezember 2019 die streitige Rentenzulage durchgehend zu verweigern und diese Männer dadurch zur gerichtlichen Geltendmachung der Zulage zu zwingen, eine andere als die mit jenem Urteil festgestellte Diskriminierung darstellt. Außerdem sieht sich dieses Gericht vor die Frage gestellt, ob dem Vater im Falle der Feststellung einer Verletzung des Unionsrechts eine zusätzliche Entschädigung gewährt werden kann und wie sich diese darstellen würde.

Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen haben, ohne die Aufhebung der diskriminierenden Bestimmung durch den Gesetzgeber abzuwarten. Sie haben also auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe, hier die Väter, dieselbe Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe, hier die Mütter, gilt.

Zudem kann die gemäß einer solchen Verwaltungspraxis erlassene ablehnende Entscheidung über die im Urteil vom 12. Dezember 2019 angesprochene Diskriminierung hinaus für die männlichen Versicherten zu einer neuerlichen Diskriminierung führen, da ausschließlich Männer gezwungen sind, ihren Anspruch auf die streitige Rentenzulage gerichtlich geltend zu machen, was u. a. zur Folge hat, dass sie bis zur Gewährung der Zulage länger warten müssen und ihnen gegebenenfalls zusätzliche Kosten entstehen.

Folglich darf sich das nationale Gericht, wenn es mit einer Klage gegen eine solche ablehnende Entscheidung befasst ist, nicht darauf beschränken, dem betroffenen männlichen Versicherten den Anspruch auf die streitige Rentenzulage rückwirkend zuzusprechen. Dies vermöchte nämlich nicht die durch diese neuerliche Diskriminierung entstandenen Schäden zu ersetzen. Die männlichen Versicherten müssen also auch eine angemessene finanzielle Wiedergutmachung erhalten, die die durch die Diskriminierung tatsächlich entstandenen Schäden in vollem Umfang auszugleichen vermag. Diese Wiedergutmachung muss die dem Versicherten entstandenen Auslagen, einschließlich der Prozesskosten und der Anwaltshonorare, berücksichtigen.

Fußnoten

1 Urteil des Gerichtshofs vom 12. Dezember 2019, Instituto Nacional de la Seguridad Social (Rentenzulage für Mütter), C-450/18 (vgl. Pressemitteilung Nr. 154/19).

2 Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

Quelle: EuGH