Anwaltliche Warnpflicht - 15. August 2023

Bei drohender Insolvenz muss Anwalt auch Geschäftsführer warnen

BRAK, Mitteilung vom 15.08.2023 zum Urteil IX ZR 56/22 des BGH vom 29.06.2023

Unterlässt ein Anwalt es, die Geschäftsführer eines Unternehmens vor deren eigener Haftung zu warnen, kann er auf Schadensersatz haften.

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit der bislang kaum diskutierten Frage befassen, ob ein beratender Rechtsanwalt die beiden Geschäftsführer eines insolvenzgefährdeten Unternehmens vor ihrer drohenden persönlichen Haftung hätte warnen müssen und aufgrund seiner Untätigkeit für die daraus entstandenen Kosten haftet. Hierfür war streitentscheidend, ob die Geschäftsführer in den Vertrag zwischen Anwalt und Unternehmen über den Drittschutz mit einbezogen waren. Der BGH bejahte nun zumindest diese Möglichkeit, stellte aber besondere Voraussetzungen für eine solche Konstellation auf: So müsse insbesondere ein Näheverhältnis zu der nach dem Mandatsvertrag geschuldeten Hauptleistung gegeben sein. Ob dies gegeben sei, hänge vom Inhalt des Mandatsvertrages ab. Für eine finale Entscheidung musste der BGH jedoch an die Vorinstanz zurückverweisen (Urteil vom 29.06.2023, Az. IX ZR 56/22).

Rechtsanwalt verletzte möglicherweise Hinweis- und Warnpflichten

Der beklagte Rechtsanwalt hatte eine ehemalige GmbH & Co. KG bereits seit über drei Jahren wiederholt beraten, als diese schließlich Insolvenz beantragen musste. Der Insolvenzverwalter nahm später den tatsächlichen und faktischen Geschäftsführer wegen verbotener Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch. Letztlich mussten sie nach einem Vergleich 85.000 Euro zahlen.

Diesen Betrag zzgl. Rechtsverfolgungskosten i. H. v. knapp 12.000 Euro verlangt nun eine Klägerin aus abgetretenem Recht von dem Haftpflichtversicherer des Rechtsanwalts. Sie meint, der Rechtsanwalt habe seine Beratungspflichten im Blick auf eine bestehende Insolvenzreife der GmbH & Co. KG verletzt. Die Geschäftsführer seien in den Schutzbereich des Mandatsvertrags mit einbezogen.

In erster Instanz bekam sie Recht, doch das Berufungsgericht wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, nur bei Verletzung einer Hauptpflicht komme ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht – hier gehe es aber um Nebenpflichten.

BGH: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kommt in Betracht

Dieser Argumentation erteilte der BGH eine deutliche Absage. Die Rechtsprechung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sei schließlich gerade anhand der Verletzung von nebenvertraglichen Schutz- oder Fürsorgepflichten entwickelt worden. Daher könne es offenbleiben, ob es sich bei der im Raum stehenden Pflichtverletzung um eine Haupt- oder um eine Nebenpflicht gehandelt haben könnte.

Ein Schadensersatzanspruch der ehemaligen Geschäftsführer aus einer möglichen drittschützenden Wirkung des Mandatsvertrags mit der insolventen Firma komme daher grundsätzlich in Betracht. Dafür müssten aber gewisse Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Der Dritte muss mit der vertraglich geschuldeten Hauptleistung bestimmungsgemäß in Berührung kommen.
  2. Der Gläubiger muss ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben.
  3. Die Einbeziehung des Dritten muss dem Vertragsschuldner bekannt oder für ihn zumindest erkennbar sein.
  4. Es besteht ein Bedürfnis für die Ausdehnung des Vertragsschutzes.

Dieses fehlt regelmäßig, wenn der Dritte bereits über einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch verfügt.

Hier könne die mögliche Nichtbeachtung der Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsanwalts grundsätzlich eine haftungsauslösende Pflichtverletzung sein. Droht einem Unternehmen die Insolvenz, müssen beratende Rechtsanwältinnen und -anwälte unter den engen Voraussetzungen des § 102 Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) auf die daran anknüpfenden Pflichten u. a. der Geschäftsleiter hinweisen.

Drittschutz entfaltete diese Pflicht aber nur, wenn die erste der oben genannten Voraussetzungen erfüllt, also das erforderliche Näheverhältnis gegeben sei. Dies hänge entscheidend vom Inhalt des Mandatsvertrags ab, so der BGH. Dazu müsse die Leistung des Anwalts (auch) dazu bestimmt sein, dass der Dritte eine persönliche Haftung vermeiden kann. Ein Drittschutz scheide daher aus, wenn es nur um eine rechtliche Beratung unabhängig von einer Krise gegangen sei. Anders liege der Fall, wenn das Unternehmen den Rechtsanwalt gerade mit der Beratung in einer Krisensituation betraut habe. Hier folge das Näheverhältnis jedenfalls aus der Insolvenzantragspflicht, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft regelmäßig in Betracht zu ziehen sei; zudem aus den bei ihrer Missachtung drohenden Haftungsfolgen.

Außerdem stellte der BGH klar, dass auch ein faktischer Geschäftsführer in den Drittschutz mit einbezogen sein könne. Schließlich sei auch dieser zur Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet und müsse für die zivilrechtlichen Folgen einer verspäteten Antragstellung einstehen. Dessen setze allerdings zusätzlich voraus, dass der Rechtsberater von seiner Existenz hätten wissen können.

Das Berufungsgericht muss nun die weiteren Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches und des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter prüfen.

Quelle: BRAK