EU-Recht - 23. März 2023

30 Jahre EU-Binnenmarkt und langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU

DATEV Informationsbüro Brüssel, Mitteilung vom 16.03.2023

Anlässlich des 30-jährigen Binnenmarktjubiläums hat die EU-Kommission am 16.03.2023 zwei Mitteilungen zu „30 Jahre Binnenmarkt“ und „Langfristiger Ausblick auf die Wettbewerbsfähigkeit“ veröffentlicht.

Die EU-Kommission beschreibt den EU-Binnenmarkt als gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Motor der EU, auf dem 23 Mio. Unternehmen mit ca. 128 Mio. Beschäftigten tätig sind. Zudem hat er erheblichen wirtschaftlichen Nutzen gebracht, indem er das europäische BIP um 9 % gesteigert hat. Jedoch muss der EU-Binnenmarkt noch mehr integriert werden als sich auch fortwährend an neue Gegebenheiten, wie z. B. den ökologischen und den digitalen Wandel, anpassen. Ferner sind insbesondere im Dienstleistungssektor weitere Hindernisse abzubauen.
Die EU-Kommission kündigt an, dass sie zukünftig ihren Fokus auf folgende Bereiche legen wird:

  • Durchsetzung bestehender Binnenmarktvorschriften gestützt auf Benchmarks, um die Defizite bei der Umsetzung und Durchführung der EU-Vorschriften zu beseitigen, u. a.:
    • Vereinfachung der Pflicht der EU-Mitgliedstaaten zur Notifizierung nationaler Vorschriften durch Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für Meldungen im Binnenmarkt. Außerdem soll es ein zentrales Meldefenster für die EU-Mitgliedstaaten geben, über das sie alle Notifizierungen an einem Ort vornehmen können.
    • Da der Binnenmarkt neben der EU-Kommission eine eigene Stimme innerhalb der Verwaltungen braucht, schlägt sie außerdem jedem EU-Mitgliedstaat die Einrichtung eines Binnenmarktbüros vor. Es sollte über angemessene Ressourcen und ein ständiges Mandat verfügen, um u. a. Lösungen innerhalb des nationalen Entscheidungssystems vorzuschlagen als auch die Zusammenarbeit mit SOLVIT ergänzen.
    • Die EU-Kommission schlägt vor, das Umsetzungsdefizit und das Konformitätsdefizit auf 0,5 % zu begrenzen. So wird z. B. für SOLVIT das Ziel vorgegeben, mind. 90 % der Fälle innerhalb von 12 Monaten in jedem EU-Mitgliedstaat zu lösen.
    • Die EU-Kommission wird die Fortschritte des Binnenmarkts weiterhin mithilfe von Instrumenten wie dem Binnenmarkt- und Wettbewerbsfähigkeitsanzeiger sowie dem jährlichen Binnenmarktbericht beobachten.
  • Beseitigung der Hemmnisse in den EU-Mitgliedstaaten, insb. bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung
    • Im Dienstleistungsbereich beabsichtigt die EU-Kommission einen vorrangigen Prozess einzuleiten, um zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten Hindernisse im freien Dienstleistungsverkehr in Bereichen, die einen hohen Dienstleistungsanteil aufweisen, aber noch nicht das volle Potenzial für den grenzüberschreitenden Handel ausgeschöpft haben, zu identifizieren. Hierunter werden u. a. auch Unternehmensdienstleistungen gezählt.
    • Laut Binnenmarkt-Scoreboard sind nur geringe bzw. keine Fortschritte im Zeitraum 2007-2021 im Hinblick auf den Zugang zu und bei der Ausübung von Berufen erzielt worden. Rechtsdienstleistungen zählen sogar zu den meist geschützten Berufen im Binnenmarkt. Die EU-Kommission kündigt an, die Verhältnismäßigkeitsrichtlinie – die für regulierte freiberufliche Dienstleistungen gilt – im Hinblick auf die Anwendung auf Dienstleistungen im Allgemeinen zu prüfen. Dazu will sie das Notifizierungsinstrument der Dienstleistungsrichtlinie anpassen und den EU-Mitgliedstaaten zusätzliche gezielte Leitlinien für die Anwendung der Verhältnismäßigkeitskriterien zur Verfügung stellen.
    • Arbeitnehmerentsendung: 20 EU-Mitgliedstaaten arbeiten mit der EU-Kommission zusammen, um auf freiwilliger Basis eine gemeinsame elektronische Erklärung zur Arbeitnehmerentsendung einzuführen. Die EU-Kommission fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, ihre Arbeiten bis Ende 2023 zum Abschluss zu bringen.
  • Förderung des grünen und digitalen Wandels, u. a.:
    • Die EU-Kommission will in 2023 eine Initiative zur Digitalisierung der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Arbeiten zu einem Pilotprojekt für einen EU-Sozialversicherungsausweis vorlegen. Es soll u. a. aufgezeigt werden, wie die Digitalisierung die Ausübung von Sozialversicherungsansprüchen erleichtert, Chancen und Herausforderungen beschrieben als auch klare Ziele bis 2030 festgesetzt werden.
    • Die EU-Kommission wird einen Datenraum für öffentliche Auftragswesen einrichten. Er soll u. a. Unternehmen dabei helfen, ihre Investitions- und Ausschreibungsstrategie zu verbessern, mehr Transparenz schaffen und ein besseres Preis-Leistungsverhältnis bieten.
    • Fachkräftemangel: Für eine schnellere und einfachere Anerkennung von Berufsqualifikationen in anderen EU-Mitgliedstaaten will die EU-Kommission zusammen mit den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit prüfen, Instrumente wie z. B. den EU-Berufsausweis oder gemeinsame Ausbildungstests umfassender einzusetzen. Außerdem hat sie angekündigt, dass sie in 2023 einen Vorschlag zur vereinfachten Anerkennung von Berufsqualifikationen von Drittstaatenangehörigen vorlegen will. Zudem soll ein europäisches Zertifikat für digitale Kompetenzen pilotiert werden, um ein Mindestmaß an Qualität bei der digitalen Qualifizierung und Weiterbildung als auch deren Anerkennung in der EU zu gewährleisten.

Mitteilung zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit

Zur Förderung der EU-Wettbewerbsfähigkeit will die EU-Kommission in neun Aktionsgebieten tätig werden und den EU-Rechtsrahmen stärken:

  • Mit dem One-in-one-out-Ansatz sollen administrativen Belastungen vermieden werden, indem administrative Kosten (z. B. Berichtspflichten, Zertifizierungen, Labeling) in gleichen Politikbereichen ausgeglichen werden. Die EU-Kommission hat angekündigt, einen „Annual Burden Survey“ mit ersten Ergebnissen vorzulegen.
  • Die EU-Kommission will
    • bis Herbst 2023 in den Bereichen Umwelt, Digitalisierung und Wirtschaft Vorschläge zur Rationalisierung und Vereinfachung von Berichtspflichten für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen vorlegen.
      • Ziel: Reduzierung der Belastungen um 25 %
    • die Entwicklung eines innovationsfreundlichen Ansatzes durch eine bessere Nutzung von Sandboxes/Testbeds ermöglichen, um neue Lösungen in einem kontrollierten Umfeld für eine bestimmte Zeit zu testen.
    • regelmäßig EU-Rechtsakte einer Bewertung/Überprüfung unterziehen und in Bereichen, die einem schnellen technologischen Wandel unterliegen mit sog. Sunset- und Überprüfungsklauseln arbeiten
    • die EU-Mitgliedstaaten bei der korrekten, vollständigen und zeitgerechten Umsetzung von EU-Gesetzen unterstützen. Die EU-Mitgliedstaaten sollen bei der Umsetzung von EU-Rechtsakten in nationales Recht auf das sog. Gold-Plating verzichten.
    • Digitalisierung: Trotz der Bedeutung der ITK-Industrie für die Wettbewerbsfähigkeit ist der EU-Anteil am globalen ITK-Markt gefallen (von 21,8 % in 2013 auf 11,3 % in 2022. In 2022 haben nur 69 % der KMU ein Basisniveau im Hinblick auf die digitale Intensität erreicht (Ziel für 2030: 90 %) und 8 % der Unternehmen nutzen KI-Technologien.

Quelle: DATEV eG Informationsbüro Brüssel