Nachhaltigkeit - 2. September 2022

Wie halten Sie es mit der CO2-Kompensation?

Die Kompensation von CO2-Emissionen stellt für viele Unternehmen ein Mittel dar, CO2-neutral zu werden. Dabei sind jedoch bestimmte Spielregeln zu beachten, um nicht in den Verdacht des Greenwashings zu geraten.

Vermeidung/Reduktion von CO2-Emissionen als Strategie

Die meisten Unternehmen in Deutschland unterliegen keiner aus den Welt-Klimaabkommen abgeleiteten Verpflichtung, ihre CO2-Emissionen senken zu müssen. Ihr Engagement in dieser Hinsicht ist freiwillig. Meist sind es die Stakeholder der Unternehmen wie z.B. Kunden, Anteilseigner oder Finanzpartner, die vom Unternehmen fordern, seine wirtschaftliche Tätigkeit weniger klimaschädlich zu gestalten. Durch die Bepreisung von bestimmten CO2-Emissionen entsteht jedoch auch ein betriebswirtschaftlicher Anreiz – siehe Artikel „Wie Unternehmen mit der CO2-Abgabe Geld sparen können“. Die Unternehmen werden dann in der Regel durch Vermeidung und Reduktion klimaschädlicher Aktivitäten ihren CO2-Ausstoß zu vermindern suchen. Diese Vorgehensweise bringt in der Praxis meist zwei Probleme mit sich. Erstens: Es lassen sich oft keine schnellen Minderungseffekte erzielen. Zweitens: Es bleibt in der Regel ein Rest sogenannter unvermeidbarer CO2-Emissionen.

Kompensation von CO2-Emissionen als Strategie

Diese beiden Probleme lassen sich mit der Kompensationsstrategie adressieren. Unter der Kompensation versteht man einen Mechanismus, bei dem CO2-Emissionen eines Unternehmens durch die freiwillige Finanzierung von Klimaschutzprojekten an anderer Stelle ausgeglichen werden. Der Ausgleich findet also statt, indem Klimaschutzprojekte an anderer Stelle CO2-Emissionen verhindern oder der Atmosphäre CO2 entziehen. Dieser sogenannte „Clean Development Mechanism“ (CDM) ist 1997 von den Vereinten Nationen im „Kyoto-Protokoll“ geschaffen worden. Der CDM verfolgte den Ansatz, freiwilliges Klimaschutz-Engagement zu ermöglichen und dabei zwei Perspektiven im Blick zu behalten: Erstens „global denken“ – schließlich ist es für das Weltklima gleichgültig, wo CO2-Emissionen entstehen und wo sie vermieden werden. Zweitens „Entwicklung durch Technologieexport“ – die Umstellung der Wirtschaft in den Industrieländern auf klimafreundlichere Technologien ist zu verbinden mit klimafreundlichen Entwicklungspfaden in Entwicklungs- und Schwellenländern, um dort das ‚Kohlezeitalter‘ quasi zu ‚überspringen‘.

Die beiden zentralen Fragestellungen zur Kompensation

Bezüglich der Anwendung der Kompensationsstrategie stehen Unternehmen vor zwei wichtigen Fragestellungen:

  • Zunächst die Grundsatzfrage: Will das Unternehmen seine CO2-Emissionen überhaupt durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten kompensieren?
  • Dann die Verrechnungsfrage: Darf das Unternehmen diese freiwilligen Klimaschutzaktivitäten mit seinen eigenen CO2-Emissionen verrechnen, um so Klimaneutralität zu erreichen?  

Beide Fragen stellen sich aufgrund der Tatsache, dass sich allein durch die Anwendung der Vermeidungs- und Reduktionsstrategie keine vollständige CO2-Neutralität erreichen lässt. Starten Unternehmen damit, CO2-Emissionen zu vermeiden/zu reduzieren, lassen sich manchmal anfänglich gewisse Einspareffekte erzielen. Diese nehmen jedoch von Jahr zu Jahr meistens ab, wobei der Aufwand, diese Einspareffekte zu erzielen, zunimmt. Das liegt auf der Hand: um bestimmte CO2-Emissionen zu vermeiden, muss mitunter in komplett neue Technologien investiert werden. Der steigende Investitionsaufwand wird für ein Unternehmen natürlich immer noch betriebswirtschaftlich vertretbar sein müssen. Man kann also zu einem Punkt kommen, wo die Investitionen in die Vermeidungs- und Reduktionsstrategie betriebswirtschaftlich untragbar werden.

Einsatz der Kompensationsstrategie

Hier kommt nun die Kompensationsstrategie als komplementärer Ansatz zum Tragen. Neben der freiwilligen Motivation aus ökologisch-sozialer Verantwortlichkeit sind natürlich auch hier betriebswirtschaftliche Überlegungen ein großer Treiber für das ungebrochene Interesse von Unternehmen an der Finanzierung von Klimaschutzprojekten. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass der Aufwand für die Verminderung einer Tonne CO2 in Entwicklungs- und Schwellenländern deutlich geringer ist als für dasselbe Minderungsvolumen in einem Industrieland. Genau dieses Preisgefälle ermöglicht ja den gewünschten Technologietransfer und den erhofften Triple-Win-Effekt für Unternehmen, Entwicklungsland und den globalen CO2-Haushalt.

Typischerweise gibt es beim Einsatz der Kompensationsstrategie zwei verschiedene Herangehensweisen. Einerseits kommen die Strategien Vermeiden/Reduzieren und Kompensieren zeitlich nacheinander zur Anwendung, andererseits setzt man beide Strategien zeitlich parallel um.

Beispiel

Zu den Institutionen, die zunächst mit den Strategien Vermeidung/Reduktion ihr freiwillig gesetztes Klimaneutralitätsziel erreichen wollen, zählt der Deutsche Alpenverein e.V. (DAV). In Heft 1/2022 der Vereinszeitschrift wird detailliert erläutert, welcher Maßnahmenkatalog dazu bis zum Jahr 2029 abgearbeitet werden soll. Alle dann noch bestehenden, also nicht vermeidbaren oder nicht reduzierbaren CO2-Emissionen sollen zeitlich danach, also ab dem Jahr 2030, durch Kompensation „neutralisiert“ werden.

Nun ist leicht vorstellbar, dass der DAV auch anders vorgehen könnte. Er könnte jedes Jahr die noch nicht durch Vermeidung/Reduktion eingesparten CO2-Emissionen kompensieren. In der Praxis wählt der DAV also die Strategie „Erst Vermeiden/Reduzieren, dann Kompensieren“; ebenso umsetzbar wäre jedoch auch die Strategie „Vermeiden/Reduzieren und Kompensieren“. Zahlreiche Unternehmen, die heute schon Klimaneutralität für sich reklamieren, wählten diese zweite Strategie.

Der Strategie-Mix ist eine individuelle Unternehmensentscheidung

Jedes Unternehmen, das CO2-Neutralität anstrebt, entscheidet individuell, mit welcher Strategie und in welcher Reihenfolge die Strategien eingesetzt werden sollen. Bei dieser Entscheidung für eine zeitlich nacheinander gestaltete Vorgehensweise, sollte jedoch ein Aspekt berücksichtigt werden: Solange ein Unternehmen betriebswirtschaftlich sinnvolle Wege sucht, CO2-Emissionen durch Vermeidung/Reduktion einzusparen, erhöhen diese CO2-Emissionen unverändert den globalen CO2-Haushalt. Das Unternehmen hat also unverändert hohe CO2-Emissionen und übernimmt – über die aktuelle Suche nach Einsparmöglichkeiten hinaus – also keine weitere (freiwillige) Verantwortung für diese Emissionen! Diese Situation ist typisch für eine Transitionsphase, in der anfänglich keine Erfolge erkennbar sind. Diese Phase ist meist für die Unternehmenskommunikation gegenüber den Stakeholdern, die oft schnellere Erfolge sehen wollen, herausfordernd.

Der Einsatz der Kompensationsstrategie kann – ebenso wie die Vermeidungs-/Reduktionsstrategie – von Jahr zu Jahr volumenmäßig gestaffelt erfolgen. So könnte – egal ob die Kompensationsstrategie zeitlich parallel zur oder zeitlich nach der Vermeidung/Reduktion eingesetzt wird – das Unternehmen anfänglich mit der Kompensation von zum Beispiel 30% des emittierten CO2 beginnen und diesen Anteil sukzessive auf 100% hochfahren.

Die Verrechnung des Effekts aus freiwilligen Klimaschutzprojekten

Damit sind wir bei der Verrechnungsfrage: Werden die eigenen CO2-Emissionen durch das eingesparte CO2-Volumen aus freiwillig finanzierten Klimaschutzprojekten neutralisiert? Wenn ja, so dürfte sich das Unternehmen ab dem Jahr, in dem es 100% seiner verbliebenen CO2-Emissionen kompensiert, als klimaneutral bezeichnen. Insofern bietet der Kompensationsansatz sogar die Möglichkeit, von einem Jahr aufs andere CO2-neutral zu werden, weil man sämtliche CO2-Emissionen durch die Finanzierung freiwilliger Klimaschutzprojekte kompensiert hat.

Ob allerdings Unternehmen ihr eigenes CO2-Emissionsvolumen mit dem CO2-Einsparvolumen aus freiwilligen Klimaschutzprojekten verrechnen dürfen, um auf diesem Wege Klimaneutralität zu erreichen, hängt davon ab, welche fachliche (3) und vertragliche Qualität diese Klimaschutzprojekte haben. Hier gibt es aufgrund des in 2015 geschlossenen Übereinkommens von Paris (ÜvP) in Verbindung mit der COP 26 von Glasgow im Jahr 2021 neue ‚Spielregeln‘, die ab dem Jahre 2022 gelten.

Verschärfte Bedingungen aus dem Übereinkommen von Paris

Nach dem ÜvP müssen solche Klimaschutzprojekte strengere Kriterien erfüllen. Dazu gehört, dass das Land, in dem das Klimaschutzprojekt durchgeführt wird (=Empfängerland) dieses Projekt formell akzeptiert und darauf verzichtet, die eingesparten CO2-Emissionen im Rahmen seiner eigenen CO2-Emissionsziele zu berücksichtigen. Dieser „letter of authorization“ sowie das „corresponding adjustment“ sind allerdings nur die formalrechtlichen Mindestbedingung. Die Verrechenbarkeit wird fachlich an weitere Bedingungen geknüpft, die den CDM zu einem „Mechanismus der Treibhausgasreduktion und nachhaltigen Entwicklung“ transformieren. Dazu gehört unter anderem, dass die finanzierten Klimaschutzprojekte

  • mit den Nationalen Emissionssenkungsplänen im Empfängerland kompatibel sind,
  • ambitionierte statt nur Brücken-Technologien ins Empfängerland bringen, die dauerhaft CO2-Neutralität garantieren und vom Empfängerland realistischerweise nicht selbst installiert werden können sowie
  • signifikante Beiträge auch zu anderen Aspekten nachhaltiger Entwicklung im Empfängerland leisten.

Übergangsphase bis 2025 – unklare Situation für Unternehmen

Die bisher geltenden Anforderungen aus dem CDM des Kyoto-Protokolls genügen diesen neuen Spielregeln nicht mehr. Weil die Unterzeichnerländer des ÜvP jedoch Zeit bis zum Jahre 2025 haben, ihre Nationalen Emissionspläne und ihre Behandlung freiwilliger Kompensationsprojekte zu konkretisieren, ergibt sich nun eine Art Übergangsphase. Unternehmen, deren Kompensationsstrategie auf freiwilligen Klimaschutzprojekten basiert, die lediglich den Anforderungen des CDM (Kyoto-Protokoll) genügen, geraten in eine Grauzone, wenn sie diese CO2-Einsparungen weiterhin mit ihren eigenen CO2-Emissionen verrechnen, weil es sein kann, dass die CO2-Einspareffekte sowohl im Empfängerland als auch durch das Unternehmen in Deutschland, das diese Klimaschutzprojekte finanziert, verrechnet werden (4). Das könnte dann der Integrität des Unternehmens auf dem Weg zur Klimaneutralität angelastet werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass viele prominente Unternehmen in genau diesen Verdacht geraten und das Attribut „klimaneutral“ wohl zu Unrecht für sich reklamieren (5).

Unternehmen sollten daher mit ihren Partnern, die für sie die freiwilligen Klimaschutzprojekte abwickeln, klären, wie die in den Projekten eingesparten CO2-Emissionen im Einzelfall zu bewerten sind und ob ihre Verrechnung mit den eigenen CO2-Emissionen vor dem Hintergrund der geltenden Klimaabkommen und ihrer Ausgestaltung von Land zu Land korrekt ist. Nur dann lassen sich eventuelle Integritäts- oder gar Greenwashing-Vorwürfe erfolgreich abwehren.

Freiwillige Klimaschutzprojekte machen auf jeden Fall einen Unterschied

Unternehmen, die Klimaneutralität auch unter Nutzung der Kompensationsstrategie erreichen möchten, müssen also die Einhaltung verschärfter Anforderungen bei Klimaschutzprojekten sicherstellen. Genügen die freiwillig finanzierten Klimaschutzprojekte diesen Anforderungen nicht, dürfen die erzielten CO2-Einspareffekte nicht mit den CO2-Emissionen aus eigener Wirtschaftstätigkeit in der CO2-Bilanz des Unternehmens verrechnet werden.

Allerdings können Unternehmen, bei denen diese Saldierungsmöglichkeit wegfällt, dennoch sehr wohl für sich in Anspruch nehmen und nach außen kommunizieren, dass sie mit einem eingesetzten Investitionsvolumen in individueller Höhe (Euro-Betrag) freiwillige Klimaschutzprojekte mit einem CO2-Einspareffekt in individueller Höhe Menge in Tonnen) Tonnen CO2 finanzieren und somit einen freiwilligen Beitrag zur Verbesserung der globalen CO2-Bilanz leisten! Denn dadurch unterscheiden sie sich von Unternehmen, die keine solchen freiwilligen Klimaschutzprojekte finanzieren. Aus Sicht des globalen Klimas ist es gut, wenn CO2 eingespart wird, auch wenn es in der CO2-Bilanz eines Unternehmens nicht (oder nicht mehr) verrechnet werden darf.

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Torsten Wegener

Redaktion DATEV magazin

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