Versicherungspflicht der Syndikusanwälte - 17. Juli 2014

Berufsbild verkannt

Nach den Urteilen des Bundessozialgerichts zum Berufsbild des Rechtsanwalts in Unternehmen und Verbänden sind alle Beteiligten gezwungen, die Vergangenheit zu klären und mit Blick auf die Zukunft für Veränderungen zu sorgen.

Den Paukenschlag und auch das Beben in der Anwaltschaft, die der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit seinen Urteilen vom 3. April 2014 (Az.: B 5 RE 3, 9 und 13/14 R) auslöste, hat der Senat sicherlich vorhergesehen, denn so blauäugig, dies nicht zu erkennen, werden Bundesrichter wohl nicht sein.
Der Senat lehnt jeden Befreiungsanspruch abhängig beschäftigter Syndikusanwälte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI ab. Und diese Entscheidung wird auch Bedeutung für angestellte Rechtsanwälte in Kanzleien haben.

Hintergrund

Mit seinen Urteilen verwarf das Gericht die seit gut 30 Jahren – nach der Schaffung der ersten anwaltlichen Versorgungswerke – bestehende Praxis der Befreiungsmöglichkeit von Rechtsanwälten, die bei einem sogenannten nicht anwaltlichen Arbeitgeber angestellt sind.
Die Befreiungen waren gerade in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein rein formaler Akt, die Mitteilung des Arbeitgebers, dass der Antragsteller bei ihm als Rechtsanwalt tätig sei, reichte noch bis zum Jahr 2005 in aller Regel aus.
In dieser Zeit war es manchmal sogar schwieriger, die Anwaltszulassung als die Befreiung von der Versicherungspflicht zu erhalten.

Veränderung der Berufsbilder

Der Eindruck, der von interessierten Kreisen erweckt wird, dass eine erst seit Kurzem offene Rechtsfrage zur Entscheidung beim Bundessozialgericht anstand, ist einfach falsch.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat – und dies wollte keiner bemerken – bewusst und gewollt seit 2009 darauf hingearbeitet, die Befreiungsmöglichkeiten für Anwälte und ebenso für alle weiteren angestellten Freiberufler, also auch Ärzte, Apotheker, Architekten und so weiter, einzuschränken. Ausgenommen sind nur die Syndikussteuerberater, die eine ausdrückliche Regelung im Gesetz haben und so zu befreien sind.
Dies ist ihr gelungen – und wenn die Politik nicht eingreift, wird das zu einer Veränderung der Berufsbilder führen.

Schadenfreude unangebracht

„Schockierte Anwälte“ überschrieb das Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 8. April 2014 auch einen ausführlichen Bericht über die Auswirkungen der Urteile.
Doch leider gibt es viele Rechtsanwälte, die sich als „richtige“ Anwälte verstehen, weil sie als Kanzleiinhaber um Mandate kämpfen müssen und kein festes Gehalt beziehen. Diese Anwälte empfinden nun eine gewisse Schadenfreude – nach dem Motto: Das geschieht den Syndikusanwälten recht.
Aber das Gericht ging, was sich so richtig erst bei Lektüre eines tags darauf erschienenen Berichts ergab, noch viel weiter: Der Senat bezweifelt die Befreiungsmöglichkeit zunächst für jeden angestellten Freiberufler.
Das hat grundsätzliche Bedeutung auch für andere Berufsgruppen als die Syndikusanwälte, etwa für Tierärzte, Apotheker oder Architekten, wenn sie zum Beispiel in der Industrie oder in Verbänden arbeiten.

Gefahr falscher Beratung

Nachdem große Kanzleien das Thema des Befreiungsrechts lange Zeit mit spitzen Fingern angefasst hatten, überschlagen sie sich nun mit Beratungsangeboten, Veranstaltungen und Newslettern. Jetzt wurde plötzlich der Beratungsmarkt entdeckt, aber oft das tatsächliche Problem nicht gesehen. Zum Teil sind darunter aus meiner Sicht sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer gefährliche Ratschläge.

BSG-Ansicht überzeugt nicht

Die Begründung, die das Gericht in Bezug auf die Rechtsanwälte abgab, ist alles andere als überzeugend. Die Richter gehen von einem völlig falschen und überholten Berufsbild angestellter Rechtsanwälte in Kanzleien und Unternehmen aus. Dies war dem Gericht auch in den Schriftsätzen ausführlich dargelegt und in der mündlichen Verhandlung untermauert worden. Aber anscheinend, wenn es nicht noch in den schriftlichen Gründen geschieht, wollte der Senat sich damit nicht befassen.
Bestimmt wird das Bild des BSG vom Typus des in einer eigenen Kanzlei als Inhaber oder Partner tätigen Anwalts. Er allein kann entscheiden, wie er seine Mandate führt, und muss auch niemanden fragen, ob er die Mandate führen darf und soll.
Hier wird schon übersehen, dass auch Kanzleien heute professionell geführt werden, dass nicht die Partner und angestellten Anwälte immer frei über die Führung der Mandate entscheiden, sondern oftmals die Führung der Kanzlei. Gegen deren Votum werden Mandate für die Sozietät nicht angenommen.
So deutlich wird dies zwar nicht gesagt, ist aber in der Praxis gut bekannt.

Fazit

Heute ist der angestellte Anwalt in einer Kanzlei und im Unternehmen die gängige Praxis. Deutlich über 60 Prozent der Rechtsanwälte dürften heute – einschließlich der Syndikusanwälte – abhängig beschäftigt sein. Diese Entwicklung ignoriert das BSG (siehe dazu auch Huff, ZAP 2010, 1137 und FAZ vom 02.01.2014, S. 10).

Zum Autor

Martin W. Huff

Rechtsanwalt in der Kanzlei LegerlotzLaschet Rechtsanwälte in Köln und Journalist. Er ist zudem Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln und Sprecher des Ausschusses Syndikusanwälte im Kölner Anwaltverein.

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