Schreibworkshop für Flüchtlinge beim Literaturfest München - 18. November 2015

Wenn Taten Worte folgen

Heute startet das Literaturfest München – eine der größten Veranstaltungen rund um Bücher und Autoren. In diesem Jahr sponsert DATEV den Event schon zum dritten Mal und zwar sehr gern, weil er Kultur inszeniert, Leser und Autoren zusammenbringt und außerdem Gemeinschaft fördert. Genau deswegen ist uns eine Veranstaltung ganz besonders aufgefallen, nämlich ein Schreibworkshop für Flüchtlinge.

Pierre Jarawan weiß genau, wie sich Flucht anfühlt und was es bedeutet, in einem anderen Land neu anzufangen: Kurz nach seiner Geburt flüchteten seine Eltern aus dem Libanon nach Deutschland. Heute, mit 30 Jahren, ist er einer der erfolgreichsten Poetry Slammer der Republik und verzaubert sein Publikum mit Wortwitz und schlauen Reimen. Nebenbei hat er in diesem Jahr das Literaturstipendium der Stadt München abgestaubt und zählt somit zu den Nachwuchs-Autoren, die man im Auge behalten sollte. Doch seine Vergangenheit hat er nicht vergessen – deswegen engagiert er sich auch beim Literaturfest München für Flüchtlinge.

Nicht mit Taten, sondern mit Worten. In diesem Rahmen leitete Pierre einen Schreibkurs für Flüchtlinge. „Wir haben einen Schreibkurs für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge angeboten, die maximal ein Jahr in Deutschland sind“, fasst er zusammen. „Daher erklärt sich, dass das Deutsch der meisten Teilnehmer sehr schlecht war und wir uns mit Händen und Füßen verständigen mussten.“ Trotzdem freut er sich sehr über den Auftrag, gemeinsam mit seinen Gruppen etwas zu erarbeiten. Denn die acht Jugendlichen haben Schlimmes mitgemacht. „Es entsteht ein Gefühl von Zusammengehörigkeit“, sagt er. „Die Sehnsucht nach der Heimat ist ein starkes verbindendes Element.“ Als Themenschwerpunkt hat er sich bewusst gegen das Thema „Flucht“ entschieden. „Das zieht immer eher Mitleidsblicke auf sich und das wollten wir nicht. Zumal die meisten Teilnehmer schwer traumatisiert sind und über das Erlebte sowieso noch nicht reden können.“ Daher wurde die „Neue Heimat“ als kleinster gemeinsamer Nenner festgelegt.

Viele persönliche und emotionale Texte sind dabei herausgekommen, die der Poetry Slammer gemeinsam mit seinen Workshop-Teilnehmern am 22.11. im „Einstein Kultur“ in München vorträgt. Begleitet werden die Literaten von Philipp Eißler aus Stuttgart, der die Texte individuell und in improvisierten Klängen nachbereitet. Unter dem Vorgetragenen wird Selbstverfasstes genau so sein wie Texte fremder Autoren. Eine Gruppe Eritreer beispielsweise liest aus dem Werk eines bekannten Schriftstellers ihrer Heimat. „Am Ende ist es mein Wunsch, dass die Besucher jede einzelne Geschichte kennen und das Thema Flüchtlinge in 3-D erfassen“, wünscht sich Pierre. „Wenn man erst mal die individuelle Geschichte und das Gesicht dazu kennt, werden Vorurteile abgebaut und man bekommt ein besseres Verständnis für die Situation des Einzelnen“.

Das ist Pierre Jawaran

Pierre Jarawan gehört zu den erfolgreichsten Poetry Slammern der Republik. Mehr als 120 davon gewann er – 2012 war er deutschsprachiger Meister. Wer eine Kostprobe seines Könnens sehen und wissen möchte, was Poetry Slams genau sind, findet auf seiner Homepage einige unterhaltsame Beispiele. So viel schon mal vorab: Ein Poetry Slam ist eine Art „freier“ Dichterwettstreit, bei dem verschiedene Teilnehmer zu einem bestimmten Thema innerhalb einer begrenzten Zeit selbstgeschriebene Texte vortragen. In diesem Jahr wurde der Nachwuchsautor außerdem mit dem Literaturstipendium der Stadt München ausgezeichnet. Sein Roman „Am Ende bleiben die Zedern“ überzeugt die Jury aufgrund von Pierres großartigem Gespür für Sprache und Text.  Das Buch erscheint im März 2016 im deutschen Buchhandel. Weitere Informationen rund um das Literaturfest in München finden Sie auf der Homepage der Veranstaltung.

Alles Wissenswerte über Pierre können Sie auf seiner Website nachlesen – oder Sie folgen ihm auf Facebook.

Bild: KeyMunich

Zur Autorin

Astrid Schmitt

Redaktion DATEV magazin

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